Das Geschäft mit dem Virus
Luxemburg. Dass es kompliziert wird, zeigt sich daran, dass Dr. Jean-Claude Schmit, Direktor der Santé, Stift und Papier zur Hand nimmt und zu zeichnen beginnt. Ganz oben auf dem Blatt, die Hersteller, dazwischen die Großhändler und ganz unten schließlich die Apotheken. „Der Markt für Grippeimpfstoff ist frei, dynamisch und komplex“, erklärt Schmit. Er fügt hinzu: „Und oft unvorhersehbar.“
Im Oktober gab es Diskussionen wegen des Herstellers eines Grippeimpfstoffs, der Luxemburg trotz Zusage nicht mehr beliefern konnte. Einer der beiden verbliebenen Hersteller, der Pharmakonzern Mylan, war in letzter Minute abgesprungen. Deswegen konnten rund 30 000 Impfdosen, die der Hersteller liefern sollte, nicht an die luxemburgischen Abnehmer verteilt werden. Und dies obwohl sich der Hersteller bereits im Februar des vergangenen Jahres dazu verpflichtet hatte.
Einer liefert nicht Allgemeinmediziner und auch Apotheker kritisierten, dass es zu Engpässen kam und zwischenzeitlich nur ein einziger Hersteller übrig blieb, der Luxemburg beliefern konnte. Aussagen, die Dr. JeanClaude Schmit, Direktor der Santé, so aber nicht stehen lassen will. „Es stimmt, dass der Produzent Mylan abgesprungen ist mit dem Argument, dass die Produktion nicht so gelaufen sei, wie geplant. Die Herstellung, die im März beginnt, verläuft mit lebendem Material und ist sehr komplex, da bleiben Pannen nicht aus.“Laut Schmit habe Mylan durch den Produktionsausfall seine Zusagen auf dem europäischen Markt nicht einhalten können. „Es überwogen dann kommerzielle Interessen und Mylan hat an das Land geliefert, das am meisten zahlte“, so Schmit. Das Land war in diesem Fall nicht Luxemburg. Allerdings konnte der zweite Hersteller, GlyxoSmithKline GSK, die fehlenden Dosen nachliefern.
Komplexe Preisgestaltung Doch wer legt diesen Preis überhaupt fest? Laut Schmit ist dies per Gesetz festgelegt. Die von der Gesundheitskasse zurückerstatteten Impfstoffe dürfen demnach nicht teurer sein als im Herkunftsland. In diesem Fall ist das Belgien. Die belgischen Behörden handeln die Lieferpreise mit den großen Herstellern Sanofi, GlaxoSmithKline oder Mylan aus. Dieser Preis wird dann auch in Luxemburg übernommen. „Das macht durchaus Sinn“, erklärt Schmit. „Erstens handeln die Belgier meistens einen ziemlich vernünftigen Preis aus, und zweitens wäre der luxemburgische Markt, wenn er auf sich allein gestellt wäre, zu klein, um für die Hersteller von Interesse zu sein.“
Um das System zu verstehen, greift Schmit also zum besagten Blatt Papier. „Das Ganze läuft auf mehreren Ebenen ab. Oben haben wir die fünf großen europäischen Hersteller wie Sanofi, GSK, Mylan, Sekirus und Midimmun. Von GSK haben wir für die kommende Saison bereits eine feste Zusage, ebenfalls von Mylan. Sanofi soll uns nächste Woche informieren und Sekirus ist prinzipiell bereit, nach Luxemburg zu liefern. Insgesamt wäre die Impfstofflieferung nach Luxemburg mit vier potenziellen Herstellern also gewährleistet.“
Zwischen den Herstellern und den Apotheken stehen die luxemburgischen Großhändler Comptoir pharmaceutique, Hanff und Pharma Goedert. Die rund 100 Apotheken bestellen dann auf ihren Wunsch hin die benötigten Quantitäten an Impfstoff beim Zulieferer ihrer Wahl. Hier spielen die Regeln des freien Marktes. „Der Apotheker fragt die Preisangebote des Großhändlers ab, dieser wiederum verhandelt die Preise mit dem Hersteller. Das ist ein regelrechtes Handelsspiel zwischen den einzelnen Konkurrenten“, so Schmit.
Die Regeln des freien Marktes Das einzige, was feststeht, ist der Verkaufspreis in der Apotheke, weil dieser ja von der Gesundheitskasse zurückerstattet wird. Im Schnitt beträgt die Gewinnspanne für Händler und Apotheker um die zehn Prozent. Die bestellten Quantitäten basieren dabei auf den Verkäufen vom Vorjahr. „Bisher sind das rund 43 000 Dosen an Vorbestellungen“, so Schmit. „Die Zahlen können allerdings noch variieren. Als Behörde kontrollieren wir die Gesamtzahl. Im Schnitt sind dies 55 000 Dosen, letztes Jahr waren es 77 000, das war ungewöhnlich hoch. Am liebsten hätten wir jetzt um die 60 000 bis 70 000 Dosen.“Garantieren kann das aber niemand, denn der Hersteller, der eine große Anzahl produziert, riskiert später auf seinem Produkt sitzen zu bleiben. Da der Impfstoff nur saisonal eingesetzt wird, landet die nicht verkaufte Menge auf dem Müll.
Doch warum müssen nationale Gesundheitssysteme diesem Kommerzdenken ausgesetzt sein? Geht es nicht auch anders? „Ich habe keine gesetzliche Handhabe“, meint Schmit. „Ich könnte einen Großhändler beauftragen, anstatt 40 000 Dosen deren 60 000 zu bestellen. Der Staat würde dann garantieren, die 20 000 Dosen abzunehmen. Wenn aber kein Bedarf da ist, sind Steuergelder verbrannt.“
Eine andere Möglichkeit wäre eine europaweite öffentliche Ausschreibung. „Doch dann wäre der Hersteller, der zurückbehalten wird, wieder in einer Monopolsituation. Bekommt er Produktionsprobleme, müsste dennoch ein zweiter einspringen“, erklärt Schmit. Schmit gibt zu bedenken, dass dann aber die Apotheker aus dem Geschäft wären. „Die würden mir die Tür einrennen.“