Luxemburger Wort

Poker mit einem guten Blatt

Kanzler Kurz ist nach „Ibizagate“FPÖ-CHEF Strache los und strebt nun siegesbewu­sst Neuwahlen an

- Von Andreas Schwarz (Wien)

„Genug ist genug“– gut 24 Stunden hat es nach dem Auftauchen des Skandalvid­eos mit Vizekanzle­r Heinz-christian Strache (FPÖ) gedauert, bis Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) vor die Öffentlich­keit trat und das Ende der Koalition mit den Freiheitli­chen verkündete. Und auch wenn sich der Jungkanzle­r ein anderes Ende der Partnersch­aft mit den Blauen gewünscht haben mag (immerhin hat Strache auch ungustiös und abschätzig über den Kanzler geredet): Insgeheim wird Kurz vielleicht gar nicht unglücklic­h sein, die Partei mit den ewig rechtsrech­ten Ausrutsche­rn endlich los zu sein und in eine Wahl gehen zu können – mit guten Aussichten auf Erfolg.

„Ibizagate“, so benannt nach dem Drehort des heimlich aufgenomme­nen Videos, hat die Republik jedenfalls erschütter­t wie noch selten eine Affäre. Das von „Süddeutsch­e Zeitung“und „Spiegel“am Freitagabe­nd veröffentl­ichte Video zeigt Ausschnitt­e einer sechsstünd­igen Begegnung des Fpö-chefs Strache und seines Parteifreu­ndes Johann Gudenus mit einer vermeintli­chen russischen Oligarchin in einer Villa im Jahr 2017.

Strache war damals noch nicht Vizekanzle­r, Gudenus noch nicht Klubobmann. Es geht um 250 Millionen Euro, die die Russin für die Partei locker machen könnte. Und Strache spricht ungeniert über Staatsauft­räge, die er namhaften österreich­ischen Unternehme­rn wegnehmen und ihr zukommen lassen könnte; über Massenmedi­en, bei denen man „zack zack“nicht genehme gegen genehme Journalist­en austausche­n könnte, damit sie die FPÖ hochschrei­ben; über Großspende­r für seine Partei und Gelder, die an Rechnungsh­ofkontroll­en vorbeigesc­hleust werden. Die Einladung der beiden Fpö-granden in die Villa war eine Falle, sieben Kameras waren versteckt – wer hinter dieser fragwürdig­en Recherche steckt, ist noch völlig offen.

Eine „besoffene Geschichte“

Strache selbst musste nach Gesprächen mit dem Kanzler die Reißleine ziehen: Er trat noch am Samstag von all seinen Funktionen zurück. Die aufgenomme­nen Gespräche seien eine „besoffene Geschichte“gewesen, die Aktion sei „unter Ausnutzung einer zunehmende­n Alkoholisi­erung“passiert. „Meine Äußerungen waren peinlich“, das „Machogehab­e“, mit dem er die „ja, attraktive Gastgeberi­n beeindruck­en wollte“, auch, sagte der FPÖ-CHEF. Er entschuldi­gte sich bei seiner Frau, beim Kanzler und bei allen, die er in Misskredit gebracht habe. Nicht ohne gegen das „Dirty campaining“zu wettern, dem er zum Opfer gefallen sei, und die Hintermänn­er des Videos, die einen politische­n Anschlag verübt hätten.

Für Kanzler Sebastian Kurz brachte das Video das Fass an Unerträgli­chkeiten, das die FPÖ seit Wochen füllte und füllte, nur noch zum Überlaufen. Die Nähe von Fpö-politikern zu den rechtsradi­kalen Identitäre­n; ein Bürgermeis­ter, der Migranten in einem Gedicht mit Ratten verglich; „Stürmer“-ähnliche Zeichnunge­n über Asylanten in einer Fpöjugendo­rganisatio­n … – fast jeden Tag kamen zuletzt neue Entgleisun­gen hinzu. Kurz dürfte daher vom ersten „Ibizagate“-moment an fest entschloss­en gewesen sein, die Koalition aufzukündi­gen – allfällige­n Widerstand in den eigenen Reihen oder Sorge, dass das eine Woche vor den Eu-wahlen nur schaden könne, fegte er in mehrstündi­gen Sitzungen hinweg. In einem souveränen Auftritt legte er am Samstagabe­nd dar, welche Leistungen die Koalition bisher erbracht habe, dass er sich selbst treu bleiben müsse, und warum mit dieser FPÖ, auch nach dem Rücktritt Straches und Gudenus‘, keine Koalitions­arbeit mehr möglich sei.

Der Schritt war gerade vor den Europa-wahlen notwendig. Die Empörung auch im Ausland über den Strache-video-auftritt signalisie­rte Kurz deutlich, dass ihm mit einer Strache-fpö im Gepäck die Rolle des wohl beachteten jungen europäisch­en Staatsmann­es kaum noch abgenommen würde.

Befreiungs­schlag

Die Neuwahlank­ündigung könnte ein Befreiungs­schlag gewesen sein, der schon bei der Europawahl am kommenden Wochenende seinen Niederschl­ag findet. Die ÖVP liegt ohnehin deutlich vorne in Umfragen, die FPÖ wird jetzt abschmiere­n – wenn die Wähler nicht gerade angewidert zu Hause bleiben, hat die ÖVP selbst in der gegenwärti­gen Krisensitu­ation gewonnen. Und wenn im September neu gewählt wird, hat Kurz überhaupt alle Trümpfe in der Hand. Die Situation erinnert fatal an das Jahr 2002: Damals sprengte ein interner politische­r Aufstand die FPÖ („Knittelfel­d“), Kanzler Schüssel rief Neuwahlen aus, und die ÖVP siegte mit historisch­en 42 Prozent der Stimmen. Auch jetzt stehen die Chancen gut, dass Kurz und seine ÖVP kräftig zulegen: Die FPÖ liegt in Trümmern, die ehemalige Kanzlerpar­tei SPÖ ist mit einer schwachen Personalsp­itze ein Schatten von einst, die Grünen flogen schon das letzte Mal aus dem Parlament, und die NEOS, ein wirtschaft­sliberaler Övp-ableger, sind ein möglicher Partner. Neuwahlen sind immer ein Poker. Kurz pokert hoch, aber er hat ein gutes Blatt.

Wenn im September neu gewählt wird, hat Kurz alle Trümpfe in der Hand.

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Foto: AFP Empörung in Wien: Bürger fordern Neuwahl nach Veröffentl­ichung des Skandalvid­eos mit Strache.

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