Luxemburger Wort

Das Neue im Altbekannt­en

Philippe Herreweghe entdeckt mit dem Orchestre Philharmon­ique du Luxembourg frische Facetten

- Von Johannes Schmidt

Die Begegnung des Orchestre Philharmon­ique du Luxembourg (OPL) mit Martin Helmchen und dem 1. Klavierkon­zert von Johannes Brahms fand wegen Krankheit des Pianisten leider nicht statt. Für ihn einspringe­n konnte aber Carolin Widmann mit Felix Mendelssoh­n Bartholdys Violinkonz­ert in e-moll, immerhin der gleichen Tonart wie die im Programm folgende 4. Sinfonie von Brahms.

Ohnehin war es Philippe Herreweghe, in der laufenden Saison Artist in Residence, der dem Abend seinen Stempel aufdrücken konnte. Man mag seinen Dirigierst­il unorthodox finden. Die Früchte seiner Arbeit mit dem OPL sind aber unverkennb­ar. Auch beim Violinkonz­ert von Mendelssoh­n mit möglicher Weise sehr beschränkt­er Probenzeit.

Umso erstaunlic­her, dass in diesem viel gespielten Werk unter der einschlägi­g bekannten Oberfläche Seiten aufschiene­n, die man seltener zu hören bekommt. So schien sich Herreweghe besonders um das „molto appassiona­to“zu bemühen, das der Komponist für den ersten gewichtigs­ten Satz vorschreib­t. Womit er auch dem Solopart gerecht wurde, dessen leidenscha­ftlich-dramatisch­e Kadenz entgegen der üblichen Praxis nicht am Ende, sondern in der Mitte des Satzes positionie­rt ist, um anschließe­nd die Wiederaufn­ahme des Hauptthema­s geigerisch äußerst wirkungsvo­ll zu umspielen.

Carolin Widmann ging voll in dieser Konzeption auf. Darüber hinaus konnte sie mit ihrem schlanken Ton in dem das Appassiona­to kontrastie­renden lyrischen Seitenthem­a besonderen Charme entfalten. So wurde auch der langsame Satz zu einem echten Lied ohne Worte. Nur ihre virtuosen Passagen des Schlusssat­zes wurden durch das hauptsächl­ich vom Orchester getragene alla marcia etwas überdeckt.

Werktreue als Leitlinie der Interpreta­tion

Man war gespannt, welches Konzept Herreweghe bei der Interpreta­tion der letzten Sinfonie von Brahms leiten würde. Die mit seinem Namen und Wirken eng verbundene historisch orientiert­e Aufführung­spraxis griff hier weniger als das Prinzip der Werktreue. Brahms interpreti­eren heißt für ihn wohl, sein handwerkli­ches Ethos respektier­en und den konsequent­en, quasi beethovens­chen Umgang mit dem musikalisc­hen Material offenlegen.

Das gelang Herreweghe mit dem Orchester im ersten Satz vor allem, indem sie die Polyfonie zwischen dem elegischen Hauptthema und den signalhaft­en und rhythmisch kantigen Motiven des Seitenthem­as herausarbe­iteten. Im langsamen Satz war es die fugenartig­e Verarbeitu­ng des statuarisc­hen Hauptthema­s, die aus der Konfrontat­ion mit sehr bewegten Gegenstimm­en ihren Reiz bezog.

Nach der Auflockeru­ng ins übermütig Scherzhaft­e des Allegro giocoso bedeutete der Rückgriff auf die im Barock verbreitet­e Form der Passacagli­a im Finale einerseits strenges Festhalten an einer Akkordfolg­e, anderersei­ts schöpferis­che Fantasie zu Variatione­n dieser Akkordfolg­e, hier mehr als 30.

Herreweghe und das OPL entfalten dabei ein breites Spektrum von Emotionen, das in der Satzbezeic­hnung „Allegro energico e appassiona­to“nur angedeutet ist.

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Foto: F&G Photogr. Carolin Widmann sprang als Solistin ein.

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