Von wegen Freifahrtschein
Prozess gegen Turnup Tun – Gericht befasst sich ausschließlich mit juristischen Fragen
Luxemburg. „Féck Lëtzebuerg“lautet der Titel eines Rap-songs, der in den vergangenen Monaten Schlagzeilen machte und schließlich im März zu einem Gerichtsprozess führte. Am Ende hat die 13. Strafkammer den Urheber des Liedes auf ganzer Linie vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Aber nicht, wie gemeinhin interpretiert wurde, wegen der Unantastbarkeit der künstlerischen Freiheit. Vielmehr hat das Gericht festgestellt, dass der Tatvorwurf der Injurien schlicht nicht erfüllt war.
Doch worum ging es eigentlich? Mit seinem gewollt provokativen Lied wollte der junge Luxemburger Musiker mit dem Künstlernamen Turnup Tun rechtsextremistische und rassistische Tendenzen im Wahlkampf und in der Gesellschaft wenige Tage vor der Parlamentswahl im Oktober 2018 anprangern. Sein Mittel zum Zweck war dabei eine provozierende Wortwahl in einem Lied, in dem er mehrere Personen beim Namen nannte, deren Selbstdarstellung sinnbildlich für die von ihm wahrgenommene Fremdenfeindlichkeit stehe, beziehungsweise einen Anziehungspunkt für Menschen mit rechtsextremistischer Grundhaltung darstelle.
Zwei Kandidaten und ein Hetzer
Zwei visierte Parteikandidaten, Fred Keup (ADR) und Joe Thein (Déi Konservativ), sowie der wegen Hassrede mehrfach verurteilte Straftäter Dan Schmitz, der sich vorrangig in sozialen Medien selbst in Szene setzt, fühlten sich von der namentlichen Erwähnung im Liedtext mitsamt vorangestellten Imperativ „Féck den ...“beleidigt und erstatteten Strafanzeige.
Die Staatsanwaltschaft schloss sich dem an und brachte den Fall vor eine Strafkammer. Die Anklägerin hatte im Prozess ausgeführt, man könne nicht Toleranz und Respekt predigen, und dann selbst andere Menschen beleidigen. Die geforderte Geldstrafe in Höhe von 1 500 Euro lässt darauf schließen, dass sie den jungen Künstler in die Schranken weisen wollte. Dennoch dürfte der Fall für die Staatsanwaltschaft auch Gelegenheit geboten haben, in derartigen Fragen Rechtssicherheit zu schaffen.
Keine Frage der Kunst
In ihrem schriftlichen Urteil stellen die Richter der Strafkammer denn auch gleich klar, dass die Frage, ob es sich beim umstrittenen Liedtext nun um ein Kunstwerk handelt oder nicht, keine Rolle spielt. Es gehe ausschließlich darum, ob eine Person durch Unterstellungen oder böswillige Bezeichnungen beleidigt und in ihrem Ansehen geschädigt wurde.
Entscheidend dabei sei nicht die Auffassung des mutmaßlichen Opfers. Vielmehr gehe es darum, ob der Urheber in einer böswilligen Absicht angestrebt habe, dem Ansehen und der Ehre des Gegenübers zu schaden. Der Staatsanwaltschaft obliege es, diesen Beweis im Prozess zu erbringen.
Satire und Karikaturen werde traditionell mit größerer Toleranz begegnet und mehr Freiheiten gewährt als anderen Ausdrucksformen. Zu übertreiben sei gar ein Schlüsselelement der Satire. Dennoch gebe es auch hier keine Narrenfreiheit und auch der Humorist dürfe gewisse Grenzen nicht überschreiten.
So dürften das Ansehen, die Ehre und der Ruf eines Menschen auch in der Satire nicht auf nicht tolerierbare Weise geschädigt werden. Satire rechtfertige nicht die gezielte Beleidigung einer Person mit dem alleinigen Ziel, diese lächerlich zu machen oder sie in Verruf zu bringen. Zudem ist auch die Privatsphäre des Betreffenden zu wahren.
Gleiche Prinzipien wie bei Satire
Den Richtern zufolge sind die Prinzipien, die für die Satire gelten, auch auf Rapmusik anzuwenden – auch, wenn in diesem kulturellen Umfeld eine eher vulgäre Ausdrucksweise Usus sei.
Andererseits werde aber auch die freie Meinungsäußerung als einer der Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft geschützt – auch wenn die vertretenen Ideen verletzend, schockierend und besorgniserregend sind. Aber auch hier gebe es Grenzen, und zwar dort, wo die Rechte und legitimen Interessen anderer verletzt werden. Strafbare Handlungen, wie etwa Beleidigungen, seien eng auszulegende Ausnahmen zum Freiheitsprinzip.
Ein Urteil des europäischen Menschenrechtsgerichtshofs gesteht der Kritik an Politikern zudem mehr Spielraum zu als jener an einfachen Bürgern. Eine Einschränkung der Freiheit von Satire darf nur unter besonderer Achtsamkeit erfolgen, heißt es in einem anderen Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs, auf das sich die Richter der Strafkammer ebenfalls berufen. Und Satire zeichne sich eben gerade durch eine Übertreibung und eine Deformierung der Realität aus.
Aber auch bei Personen des öffentlichen Lebens dürften die Grenzen des Tolerierbaren nicht überschritten werden. Keup und Thein seien als Politiker anzusehen, Schmitz habe sich durch sein Auftreten in sozialen Netzen selbst aus der Privatsphäre in die Öffentlichkeit bewegt.
Freispruch für Turnup Tun
Die 13. Strafkammer kommt letztlich zum Schluss, dass die von Turnup Tun verwendeten Worte nicht die Absicht verfolgten, die drei Kläger zu erniedrigen. Der Liedtext würde klar zeigen, dass es dem Autor um die politischen Ideologien und die persönliche Meinung (im Fall von Schmitz) gegangen sei, welche die Betroffenen auch öffentlich vertreten würden. Deswegen sei der Tatbestand einer nicht zu tolerierenden Ehrverletzung nicht erfüllt und der Angeklagte freizusprechen.
Die Staatsanwaltschaft und der Beklagte haben bis zum 17. Juni Zeit, um Berufung gegen das Urteil einzulegen. Die drei Kläger können von sich aus nur zivilrechtliche Schritte einleiten. Als Nebenkläger könnten sie sich gegebenenfalls aber einer Appellation der Generalstaatsanwaltschaft anschließen.