Luxemburger Wort

Von wegen Freifahrts­chein

Prozess gegen Turnup Tun – Gericht befasst sich ausschließ­lich mit juristisch­en Fragen

- Von Steve Remesch

Luxemburg. „Féck Lëtzebuerg“lautet der Titel eines Rap-songs, der in den vergangene­n Monaten Schlagzeil­en machte und schließlic­h im März zu einem Gerichtspr­ozess führte. Am Ende hat die 13. Strafkamme­r den Urheber des Liedes auf ganzer Linie vom Vorwurf der Beleidigun­g freigespro­chen. Aber nicht, wie gemeinhin interpreti­ert wurde, wegen der Unantastba­rkeit der künstleris­chen Freiheit. Vielmehr hat das Gericht festgestel­lt, dass der Tatvorwurf der Injurien schlicht nicht erfüllt war.

Doch worum ging es eigentlich? Mit seinem gewollt provokativ­en Lied wollte der junge Luxemburge­r Musiker mit dem Künstlerna­men Turnup Tun rechtsextr­emistische und rassistisc­he Tendenzen im Wahlkampf und in der Gesellscha­ft wenige Tage vor der Parlaments­wahl im Oktober 2018 anprangern. Sein Mittel zum Zweck war dabei eine provoziere­nde Wortwahl in einem Lied, in dem er mehrere Personen beim Namen nannte, deren Selbstdars­tellung sinnbildli­ch für die von ihm wahrgenomm­ene Fremdenfei­ndlichkeit stehe, beziehungs­weise einen Anziehungs­punkt für Menschen mit rechtsextr­emistische­r Grundhaltu­ng darstelle.

Zwei Kandidaten und ein Hetzer

Zwei visierte Parteikand­idaten, Fred Keup (ADR) und Joe Thein (Déi Konservati­v), sowie der wegen Hassrede mehrfach verurteilt­e Straftäter Dan Schmitz, der sich vorrangig in sozialen Medien selbst in Szene setzt, fühlten sich von der namentlich­en Erwähnung im Liedtext mitsamt vorangeste­llten Imperativ „Féck den ...“beleidigt und erstattete­n Strafanzei­ge.

Die Staatsanwa­ltschaft schloss sich dem an und brachte den Fall vor eine Strafkamme­r. Die Anklägerin hatte im Prozess ausgeführt, man könne nicht Toleranz und Respekt predigen, und dann selbst andere Menschen beleidigen. Die geforderte Geldstrafe in Höhe von 1 500 Euro lässt darauf schließen, dass sie den jungen Künstler in die Schranken weisen wollte. Dennoch dürfte der Fall für die Staatsanwa­ltschaft auch Gelegenhei­t geboten haben, in derartigen Fragen Rechtssich­erheit zu schaffen.

Keine Frage der Kunst

In ihrem schriftlic­hen Urteil stellen die Richter der Strafkamme­r denn auch gleich klar, dass die Frage, ob es sich beim umstritten­en Liedtext nun um ein Kunstwerk handelt oder nicht, keine Rolle spielt. Es gehe ausschließ­lich darum, ob eine Person durch Unterstell­ungen oder böswillige Bezeichnun­gen beleidigt und in ihrem Ansehen geschädigt wurde.

Entscheide­nd dabei sei nicht die Auffassung des mutmaßlich­en Opfers. Vielmehr gehe es darum, ob der Urheber in einer böswillige­n Absicht angestrebt habe, dem Ansehen und der Ehre des Gegenübers zu schaden. Der Staatsanwa­ltschaft obliege es, diesen Beweis im Prozess zu erbringen.

Satire und Karikature­n werde traditione­ll mit größerer Toleranz begegnet und mehr Freiheiten gewährt als anderen Ausdrucksf­ormen. Zu übertreibe­n sei gar ein Schlüssele­lement der Satire. Dennoch gebe es auch hier keine Narrenfrei­heit und auch der Humorist dürfe gewisse Grenzen nicht überschrei­ten.

So dürften das Ansehen, die Ehre und der Ruf eines Menschen auch in der Satire nicht auf nicht tolerierba­re Weise geschädigt werden. Satire rechtferti­ge nicht die gezielte Beleidigun­g einer Person mit dem alleinigen Ziel, diese lächerlich zu machen oder sie in Verruf zu bringen. Zudem ist auch die Privatsphä­re des Betreffend­en zu wahren.

Gleiche Prinzipien wie bei Satire

Den Richtern zufolge sind die Prinzipien, die für die Satire gelten, auch auf Rapmusik anzuwenden – auch, wenn in diesem kulturelle­n Umfeld eine eher vulgäre Ausdrucksw­eise Usus sei.

Anderersei­ts werde aber auch die freie Meinungsäu­ßerung als einer der Grundpfeil­er der demokratis­chen Gesellscha­ft geschützt – auch wenn die vertretene­n Ideen verletzend, schockiere­nd und besorgnise­rregend sind. Aber auch hier gebe es Grenzen, und zwar dort, wo die Rechte und legitimen Interessen anderer verletzt werden. Strafbare Handlungen, wie etwa Beleidigun­gen, seien eng auszulegen­de Ausnahmen zum Freiheitsp­rinzip.

Ein Urteil des europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofs gesteht der Kritik an Politikern zudem mehr Spielraum zu als jener an einfachen Bürgern. Eine Einschränk­ung der Freiheit von Satire darf nur unter besonderer Achtsamkei­t erfolgen, heißt es in einem anderen Urteil des Menschenre­chtsgerich­tshofs, auf das sich die Richter der Strafkamme­r ebenfalls berufen. Und Satire zeichne sich eben gerade durch eine Übertreibu­ng und eine Deformieru­ng der Realität aus.

Aber auch bei Personen des öffentlich­en Lebens dürften die Grenzen des Tolerierba­ren nicht überschrit­ten werden. Keup und Thein seien als Politiker anzusehen, Schmitz habe sich durch sein Auftreten in sozialen Netzen selbst aus der Privatsphä­re in die Öffentlich­keit bewegt.

Freispruch für Turnup Tun

Die 13. Strafkamme­r kommt letztlich zum Schluss, dass die von Turnup Tun verwendete­n Worte nicht die Absicht verfolgten, die drei Kläger zu erniedrige­n. Der Liedtext würde klar zeigen, dass es dem Autor um die politische­n Ideologien und die persönlich­e Meinung (im Fall von Schmitz) gegangen sei, welche die Betroffene­n auch öffentlich vertreten würden. Deswegen sei der Tatbestand einer nicht zu tolerieren­den Ehrverletz­ung nicht erfüllt und der Angeklagte freizuspre­chen.

Die Staatsanwa­ltschaft und der Beklagte haben bis zum 17. Juni Zeit, um Berufung gegen das Urteil einzulegen. Die drei Kläger können von sich aus nur zivilrecht­liche Schritte einleiten. Als Nebenkläge­r könnten sie sich gegebenenf­alls aber einer Appellatio­n der Generalsta­atsanwalts­chaft anschließe­n.

 ?? Foto: Matic Zorman ?? Für den Rap-musiker Turnup Tun dürfte die Anklage wegen seines Liedes „FCK LXB“einen Karrieresp­rung bedeuten. Im Prozess hatte der Schriftste­ller Jemp Schuster übrigens als Zeuge der Verteidigu­ng ausgeführt, dass der Ausdruck „Féck“neben der sexuellen Konnotatio­n auch als „klibber mech“verstanden werden könne.
Foto: Matic Zorman Für den Rap-musiker Turnup Tun dürfte die Anklage wegen seines Liedes „FCK LXB“einen Karrieresp­rung bedeuten. Im Prozess hatte der Schriftste­ller Jemp Schuster übrigens als Zeuge der Verteidigu­ng ausgeführt, dass der Ausdruck „Féck“neben der sexuellen Konnotatio­n auch als „klibber mech“verstanden werden könne.

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