Auge um Auge
Verbrechen haben ihren Preis. Um den eigenen Kopf müssen Kriminelle hierzulande vor Gericht aber nicht mehr fürchten. Doch vor nicht allzu langer Zeit waren Richter Herren über Leben und Tod.
Luxemburg. Dort, wo einst das Herz des Mörders schlug, klafft heute ein Loch. Die Einschussspuren an dem zersplitterten Holzpfahl bezeugen Nikolaus Bernardys letzte Augenblicke. An ihm war der zum Tode Verurteilte gefesselt, als ein Erschießungskommando am 7. August 1948 zwölf Gewehrläufe auf ihn richtete.
Fünf Menschenleben hatte Bernardy auf dem Gewissen. Die Pächterfamilie Weyer und ihre zwei Angestellten hatte er im Sommer 1945 auf dem Windhof in der Nähe von Welscheid bei einem Raubüberfall kaltblütig ermordet. Die Gerichtsverhandlung dauerte nur zwei Tage – die Richter fällten ihr Urteil noch am letzten Prozesstag.
Nikolaus Bernardy sollte den höchsten Preis bezahlen. Großherzogin Charlotte wies sein Gnadengesuch zurück. In der Morgendämmerung jenes Samstags zerriss auf dem Schießstand in Reckenthal eine Gewehrsalve ein Leben.
Die Hinrichtung des Raubmörders gilt als Markstein der Luxemburger Sozial- und Rechtsgeschichte. Nikolaus Bernardy war der letzte Gemeinverbrecher, der hierzulande hingerichtet wurde. Auch wenn die Todesstrafe seitdem für Verbrecher nicht mehr ausgesprochen wurde, blieb sie noch mehrere Jahrzehnte im Gesetz verankert.
Vor 40 Jahren, am 17. Mai 1979, stimmte eine knappe Mehrheit von 32 Abgeordneten im Parlament einem Gesetzesentwurf des sozialistischen Justizministers zu, der die Abschaffung der Hinrichtungen vorsah. Ganz aus den juristischen Sphären war die Todesstrafe damit aber nicht verschwunden, denn die Verfassung hielt die Todesstrafe weiterhin in Strafsachen bei. Am 21. April 1999 wurden die entsprechenden Texte angepasst. Seitdem sieht die Verfassung vor, dass die Todesstrafe hierzulande nicht wieder eingeführt werden darf.
Das Recht, Leben zu nehmen
Heute ordnen Gerichte weltweit weiterhin in 20 von 198 Staaten Hinrichtungen an – unter anderem in den Vereinigten Staaten und in China. In einem modernen Strafrecht hat die Todesstrafe aber keinen Platz mehr. Der Strafvollzug soll human sein und strebt danach, verurteilte Verbrecher wieder so gut wie möglich in die Gesellschaft einzugliedern. Das Strafrecht hat sich somit im Laufe der Zeit gewandelt – wie deutlich, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.
Denn jahrhundertelang galt das Recht, Todesurteile zu verhängen und zu vollstrecken, als hohes Privileg. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war dies an einer Erlaubnis des Landesherren, die sogenannte Hochgerichtsbarkeit, geknüpft. König Wenzel gab der Stadt Luxemburg dieses Recht erstmals im Jahr 1411 und machte die Machthaber damit zu Herren über Leben und Tod.
Ein Privileg, das allerdings nur knapp 30 Jahre anhielt. Denn nach der Machtübernahme der Burgunder 1443 wurde dem Magistrat das Recht zur Urteilsvollstreckung entzogen und einem übergeordneten Propsteigericht zugeordnet. Erst 1673 erhielt die Stadt Luxemburg ihre Hochgerichtsbarkeit zurück.
Der Richter und sein Henker
Für die Vollstreckung der Urteile war der Henker der Stadt Luxemburg zuständig. Er brachte Verurteilten den Tod und entlockte Angeklagten durch diverse Foltermethoden Geständnisse. Blieben die Verurteilten aus, beseitigte er tote Tiere, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Die Hinrichtungsmethoden des Mittelalters und der frühen Neuzeit reichten von Erhängen über Enthauptungen bis hin zum Tod durch Verbrennung oder Ertränken. Die Todesurteile wurden stets von einem Publikum begleitet – eine Regelung, die erst Ende des 19. Jahrhunderts abgeschafft wurde.
Mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen 1795 in Luxemburg-stadt sollten sich aber hierzulande die Hinrichtungsmethoden ändern. Fortan sollte eine Machine à tuer par simple mécanisme – die Guillotine – zum Einsatz kommen. Das Todeswerkzeug wurde zu jener Zeit