Spiel mit den Rändern
Künstler des Talentlab#19 singen und tanzen abseits üblicher Wege
Frauen, die singend an der Schwindsucht vergehen oder tanzend von eifersüchtigen Liebhabern erstochen werden; Männer, die sich im Duett den Todesstoß versetzen oder just nach ihrer Arie durch die Pistole des Widersachers sterben: Die klassischen Dramen der unglücklich Liebenden ziehen, oft als große Ausstattungsorgie inszeniert, viele treue Fans in die Opernhäuser.
Aber was ist mit den jenen, die sich nicht mit den Helden eines Puccini, Verdi oder Berlioz identifizieren können und die auch keinen Zugang zu frischen, auch noch so gut gemeinten Neuinterpretation finden? Mit dieser Frage hat sich Claire Pasquier auseinandergesetzt und eine Antwort gefunden. „Wir müssen auch Erzählungen schaffen, die mehr zu uns und zu unserem Leben passen.“
Den entsprechenden Rahmen für ihr Projekt hat die französische Regisseurin im diesjährigen Talentlab ausgemacht. Das morgen, unter Federführung des Grand Théâtre startende Festival dauert bis zum 9. Juni und bringt in seiner vierten Ausgabe innerhalb eines Mentorenprogramms erneut junge Talente aus den Sparten Tanz, Theater und Oper mit etablierten Künstlern zusammen.
Neue Texte für zugänglichere Opernstücke
Pasquier wird während des Talentlab#19 mit „Le furieux“eine partizipative Oper starten, bei dem das Luxemburger Publikum gefragt ist – und zwar schon vom Beginn der Proben an. Interessierte Laien können sich noch für das Projekt anmelden (weitere Informationen im Kasten). Die Teilnehmer müssen keine erprobten Talente sein, sondern nur interessiert; Schicht, Beruf und Alter sind unwichtig.
Mit „Le Furieux“inszeniert Pasquier eine musikalische Performance, bei der ein Kollektiv aus Künstlern und Laien zwei von insgesamt sechs Szenen, inklusive Prolog und Epilog, gemeinsam schreiben und aufführen. Als Vorlage dient das Stück „Onysos le furieux“des Prix-goncourt-preisträgers Laurent Gaudé. Als Talentlab-paten stehen Jean Bellorini, Direktor des Théâtre Gérard Philipe von Saint-denis, und Bellorinis künstlerischer Mitarbeiter Mathieu Coblentz zur Seite.
Pasquier fand ihre Inspiration am Teatro delle Albe in Ravenna, wo die Kompagnie mit Jugendlichen klassische Texte umschrieb und auf die Theaterbühne brachte. Im Vorjahr begleitete sie in einer Residenz die Entstehung der partizipativen Oper „Orfeo & Majnun“, die in Brüssel und Aixen-provence aufgeführt wurde und 800 Schüler, 220 Amateurkünstler und 25 Berufskünstler in Musik, Gesang, Tanz und Schauspiel zusammenführte. „Das Partizipative ist eine sehr starke Kraft“, konstantiert Pasquier, deren eigene erste partizipative Oper mit insgesamt 24 Laiendarstellern allerdings in einem kleineren Rahmen gehalten ist. „Musik spricht direkt zum Herzen, es ist zu schade, wenn Oper institutionalisiert ist.“
Die partizipative Oper soll jene in die Oper führen, die von den Claire Pasquier will jene erreichen, die sonst nicht in die Oper gehen. institutionalisierten Werken nicht erreicht werden und sich nicht für klassische Aufführungsmuster interessieren. „Neue Texte für die Oper zu schreiben scheint schwieriger als im Theater, aber es ist genauso möglich“, sagt Pasquier und will damit neue Wege breiter machen.
Allein die Produktionsbedingungen auf den Opernbühnen empfindet sie, vor allem in Bezug auf Zeit und Möglichkeiten zur Recherche, oft als zu begrenzt.
Perkussionsklänge dank getoastetem Brot
Die Proben für „Le furieux“beginnen an diesem Samstag im Grand Théâtre. Eine Szene wird lyrisch, die andere performativ gestaltet. „In kurzen Gesängen legen sich die Stimmen der Teilnehmer über die des Mezzosoprans“, erklärt Pasquier das Prinzip der ersten Szene. In der zweiten erstellen die Teilnehmer eine Perkussionscollage – unter anderem mit dem Geräusch getoasteter Brotscheiben. „Wir bieten mittels Dramaturgie und Ästhetik den Rahmen, innerhalb dessen die Teilnehmer Vorschläge einbringen können.“
Während die Laien vor allem Kreativität beisteuern sollen, garantieren die Bühnenexperten das Niveau. „Die Qualität ist wichtig und der Kontext ist ein professioneller.“Die vier anderen Szenen sollen in Folgeprojekten in weiteren Städten entstehen, wobei an jedem Ort neue Teilnehmer gesucht werden. Eine Vorstellung des kompletten Werks ist für den Sommer 2020 in Italien geplant. Ebenfalls neue Wege wird Yotam Peled beschreiten. Der junge israelisch-ungarische Tänzer, Choreograf und Akrobat wird zum ersten Mal während des Kreationsprozesses mit einem Mentor arbeiten – und noch dazu mit einem berühmten.
Für seine dreiteilige Kreation „Alpha“, deren erstes Kapitel ab morgen in Luxemburg entsteht, bekommt er Unterstützung von Hofesh Shechter. Shechter tanzte bereits in der Batsheva Dance Company und in Stücken von Wim Vandekeybus, gründete 2008 seine Dance Company und gastierte zuletzt im Winter mit „Political Mother“im Grand Théâtre.
Vor dem ersten Arbeitstreffen in Luxemburg hat Peled Shechter sein Projekt in einem Skype-telefonat vorgestellt. „Ich konnte in Hebräisch mit ihm über meine Ideen sprechen, wir stammen aus der gleichen Gesellschaft und haben einen ähnlichen Hintergrund.“ Aber für den jungen Künstler ist es ungewohnt, mit einem weiteren Choreografen im Studio zu stehen. „Während dieses Gesprächs ist mir aufgefallen, dass wir sehr unterschiedlich arbeiten; mein Ansatz ist sehr narrativ, nah am Tanztheater mit Charakteren und Handlung“, erklärt Peled. Umso gespannter, wenn auch et
Es ist zu schade, wenn Oper institutionalisiert ist. Claire Pasquier, Regisseurin