Luxemburger Wort

Die Trümmerfra­uen

Die Chefinnen von CDU und SPD müssten eigentlich ihre Parteien retten – aber sie stehen selbst mit dem Rücken zur Wand

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Karikatur: Florin Balaban

„Scheiße“, sagt am Montagaben­d eine Spd-ministerin. Man kann es gut hören – aber eigentlich ist das Wort nicht für die Öffentlich­keit bestimmt. Trotzdem wäre die wirkliche Überraschu­ng, wenn die Ministerin jetzt nicht „Scheiße“sagen würde. Gerade hat sie zwei Stunden lang versucht Optimismus zu verbreiten, ihrer Partei eine Zukunft prophezeit – und das ist mehr, als selbst viele ihrer Genossinne­n und Genossen gerade über sich brächten –, und dann ploppt plötzlich auf allen Smartphone­s in der Runde die Nachricht auf: Andrea Nahles stellt die Machtfrage.

Flucht nach vorn

Genau genommen wird zwar gemeldet, dass die Spd-chefin die Fraktionsv­orsitzende­nwahl vom turnusgemä­ßen September-termin vorzieht auf kommenden Dienstag. Aber alle im Raum – und viele in der Republik – wissen, dass es in Wahrheit darum geht, ob Nahles weiter zugetraut wird, die SPD aus der tiefsten Krise ihrer 156-jährigen Geschichte zu bugsieren. Oder ob sie nach nur zwanzig Monaten von der Parteispit­ze abtreten muss. Die deutsche Sprache hat für Nahles’ Schritt ein sehr klares Bild: Flucht nach vorn. Wer die antritt, hat nichts mehr zu verlieren. Ein „fast“können Nahles und ihre Partei gerade noch beanspruch­en; mehr nicht.

So weit ist es für Annegret Kramp-karrenbaue­r nicht. Sie ist ja noch kein halbes Jahr Cdu-vorsitzend­e. In dieser kurzen Zeit hat sie – selbst eingestand­en – den Europa-wahlkampf vergeigt, nicht nur die Fridays-for-future-bewegung und die digitale Community gegen sich und die CDU aufgebrach­t, sondern gleich auch noch die eigene Parteijuge­nd; und nun zusätzlich den Eindruck erweckt, sie wolle Kritikern den Mund verbieten – zumindest vor Wahlen, zumindest im Internet. Der Shitstorm kommt prompt – und die Tweets reichen von einem lässigen „Ach lass doch der CDU das Vergnügen, einen weiblichen Seehofer zu haben …“bis zu einem harschen „Das ist jetzt, glaube ich, ein ganz guter Moment zurückzutr­eten, Annegret“.

Zusammenge­nommen stecken die zwei großen der drei deutschen Regierungs­parteien am zweiten Tag nach der Europawahl in veritablen Führungskr­isen. Sie selbst haben sich hineinlavi­ert. Allerdings hat die SPD dafür Jahre gebraucht, der CDU genügten Monate. Und die politische Konkurrenz lacht sich ins Fäustchen.

Doch bei allen Fehlern von Nahles und Kramp-karrenbaue­r: Ein großer Rest der Sozial- und der Christdemo­kraten macht sich auf Kosten der Chefinnen gerade den sprichwört­lichen schlanken Fuß. Und dann sind da noch die anderen, die aus den Dilemmata der beiden nur zu gern ihren persönlich­en Vorteil zögen.

Nahles stellt ja nicht ohne Anlass die Vertrauens­frage. Seit Wochen wabern Gerüchte durchs Berliner Regierungs­viertel, dass diverse Genossen auf ihre Ablösung hinarbeite­n. Fast alles, was etwa ihre direkten Vorgänger als Parteivors­itzende, Sigmar Gabriel und Martin Schulz, in Tv-mikrofone und Journalist­enblöcke diktieren, ist nicht anders zu verstehen denn als Demontagev­ersuch. Am Wahlabend dann spricht Nahles’ Generalsek­retär Lars Klingbeil von Putschfant­asien, nennt sie „Rituale alter Politik“– und warnt: „Hört auf mit diesen Spielen!“

Es nützt aber nichts. Statt sich schleunigs­t um eine saubere Fehleranal­yse zu kümmern, statt sich zu fragen, wieso man den Wählern die Grundrente verkaufen wollte, wenn alle Welt vom Klimaschut­z redet – bleibt die SPD mit sich selbst beschäftig­t. Und auch die CDU lädt lieber zur Aussprache über „Asymmetris­che Wahlkampff­ührung“in Klausur, statt sich Gedanken darüber zu machen, wie lange es noch gut gehen kann mit einer Vorsitzend­en, die zwar redet, aber nichts zu sagen hat – auch, weil es da ja noch die Kanzlerin gibt.

Schulz bringt sich in Stellung

„Diese Frau“nennt Martin Schulz Angela Merkel in einem Interview mit der „Zeit“, das am Morgen nach Nahles’ Vorstoß erscheint; das ganze Gespräch ist eine einzige Bewerbungs­rede, mindestens um den Fraktionsv­orsitz. Die Frage aber, ob er gegen Nahles antreten wird, beantworte­t Schulz nicht. Stattdesse­n fordert er, die Wahl im September zu belassen und lamentiert, dass in der SPD immer „viel zu viele ständig dabei sind, Intrigen zu schmieden“. Schulz kennt diese Neigung gut; er war, während und nach seiner Zeit als Kanzlerkan­didat für die Bundestags­wahl 2017, Opfer – und er ist nun Agierender. Aber auch Nahles hat 30 Jahre Spd-erfahrung – und hält dagegen.

So tiefe Einblicke lässt die CDU traditione­ll nicht zu; auf steigenden Druck reagiert sie üblicherwe­ise mit einer Art Schultersc­hlussautom­atik. Dass aber nun der engste Vertraute der Vorsitzend­en von einem ihrer Widersache­r auf Facebook gleichsam zum Abschuss freigegebe­n wird, dass der Ju-vorsitzend­e die Parteizent­rale öffentlich beschuldig­t, „völlig versagt“zu haben: Das offenbart, dass die Panik auch bei den Christdemo­kraten grassiert.

Nicht belegt ist, ob am Montag auch Cdu-minister ihrem Frust freien Lauf gelassen haben und ob die Parteien schon begriffen haben, wie sehr sie wanken. Und dass nicht erst und schon gar nicht allein die aktuellen Chefinnen schuld daran sind.

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