Luxemburger Wort

Freund und Feind lecken ihre Wunden

Nach dem Wahlsieg der rechtspopu­listischen Lega herrscht Ernüchteru­ng und Ratlosigke­it beim Regierungs­partner

- Von Dominik Straub (Rom)

Was machen wir jetzt? Ziehen wir der Regierung den Stecker?“Und: „Bin ich das Problem? Wollt ihr, dass ich zurücktret­e?“Diese beiden Fragen hat der Politikche­f und Vizepremie­r der Fünf-sterne-protestbew­egung Luigi Di Maio laut Medienberi­chten in einer Krisensitz­ung seinen Mitstreite­rn gestellt – und diese sollen erst einmal verneint haben. Der Schock über das Wahldebake­l vom Sonntag war noch zu frisch, um Entscheidu­ngen zu fällen. Aber Di Maio steht unter großem Druck: In nur 15 Monaten hat die Fünfsterne-protestbew­egung unter seiner Führung die Hälfte ihrer Stimmen verloren und kam noch auf 17 Prozent – während der bisherige Juniorpart­ner in der Regierung, die Lega, ihren Stimmenant­eil auf 34 Prozent verdoppeln konnte. Salvinis Lega diktiert Fünf-sterneprot­estbewegun­g Agenda Die Fünf Sterne zahlten an den Wahlurnen die Zeche dafür, dass sie sich im vergangene­n Jahr von Salvini die politische Agenda hatten diktieren lassen und viele ihrer Ideale über Bord geworfen haben. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, im Gegenteil: Der Innenminis­ter hat, gestärkt durch den Wahlerfolg der von ihm geführten Lega, gleich nachgelegt: Als nächstes müssten unter anderem der Bau des Basistunne­ls zwischen Turin und Lyon in Angriff genommen und die finanziell­e Teilautono­mie der nördlichen Regionen eingeführt werden.

Das Problem für Di Maio: Beide Projekte haben die Fünf Sterne stets kategorisc­h abgelehnt. Wenn die Protestbew­egung in der Regierung bleibt und dem Druck Salvinis auch in diesen Punkten nachgibt, wird sie ihren letzten Rest an Glaubwürdi­gkeit verlieren.

Salvini wird auf diese beiden politische­n Projekte mit Sicherheit nicht verzichten, zumal seine Lega am Sonntag neben der Europawahl auch gleich noch die Wahl in der Region Piemont gewonnen hat, in welcher sich die Tunnelbaus­telle befindet. Er sieht den Wahlsieg als Wählerauft­rag, den Tunnel, über den in Italien seit Jahrzehnte­n diskutiert wird, endlich zu bauen. Ebenfalls nicht verzichten wird Salvini auf die Einführung einer „Flat Tax“(Pauschalst­euer) von 15 Prozent – obwohl das hoch verschulde­te Italien keinen Cent für Steuersenk­ungen in diesem Ausmaß zur Verfügung hat und die Finanzmärk­te auf diese Ankündigun­g vorgestern und gestern mit steigenden Risikoaufs­chlägen auf italienisc­hen Schuldpapi­eren reagiert haben.

Sozialdemo­kratische Opposition kann sich nur leicht erholen

Wenig zu lachen hat auch die Opposition: Der sozialdemo­kratische PD stürzte im Vergleich zur Europawahl 2014 von 41 auf 23 Prozent ab. Der neue Parteichef Nicola Zingaretti konnte sich immerhin damit trösten, dass er den freien Fall seiner Partei – eher überrasche­nd – stoppen konnte: Gegenüber der historisch­en Wahlschlap­pe bei den Parlaments­wahlen vom 4. März 2018, als der damals regierende PD auf unter 20 Prozent abstürzte, konnte die gebeutelte Partei wieder ein paar Prozente zulegen. Der Verlust des Piemont wurde damit aber auch nicht verhindert. Und mit dem Resultat vom Sonntag ist der PD nach wie vor weit von einer Rückkehr in die Regierungs­verantwort­ung entfernt, zumal Zingaretti eine Zusammenar­beit mit den Fünf Sternen nach einem eventuelle­n Sturz der Regierung kategorisc­h ausschließ­t. Lega mittlerwei­le auch im Süden

Italiens auf dem Vormarsch Wie stark Italien inzwischen „salvininis­iert“ist, zeigte sich auch in Süditalien, deren Bewohnerin­nen und Bewohner der Mailänder Salvini noch vor wenigen Jahren als „Nichtstuer“, „Schmarotze­r“und „Erdfresser“betitelt hatte. Besonders symbolträc­htig sind die Resultate der Kommunalwa­hlen in Riace und in Lampedusa: Das kalabresis­che Bergstädtc­hen Riace, das in den letzten zwanzig Jahren unzählige Flüchtling­e aufgenomme­n hatte und sich damit vor dem Aussterben durch Abwanderun­g bewahrt hatte, galt noch bis vor kurzem über Italien hinaus als Modell für gelungene Integratio­n. Es wird seit den Kommunalwa­hlen von einem der Lega nahestehen­den Bürgermeis­ter regiert.

Dasselbe gilt für die kleine Insel Lampedusa, wo die Lega nun ebenfalls den Bürgermeis­ter stellt: Der südlichste Vorposten Europas im Mittelmeer ist für die Schutz suchenden Flüchtling­e ebenfalls kein sicherer und offener Hafen mehr. Sondern, im übertragen­en Sinn, eine abweisende Mauer mit Stacheldra­ht.

In nur 15 Monaten hat die Fünfsterne-bewegung die Hälfte ihrer Stimmen verloren.

 ?? Foto: AFP ?? Nicola Zingaretti, Chef der sozialdemo­kratischen PD, hat den Abwärtstre­nd seiner Partei bei den Europawahl­en gestoppt. Im Vergleich zu den Nationalwa­hlen kann die PD leicht zulegen.
Foto: AFP Nicola Zingaretti, Chef der sozialdemo­kratischen PD, hat den Abwärtstre­nd seiner Partei bei den Europawahl­en gestoppt. Im Vergleich zu den Nationalwa­hlen kann die PD leicht zulegen.

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