Luxemburger Wort

„Politik der verbrannte­n Erde“

Die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch erhebt schwere Vorwürfe gegen ägyptische Sicherheit­skräfte

- Von Michael Wrase (Kairo)

Der Bericht von Human Rights Watch (HRW) über den Antiterror-kampf der ägyptische­n Sicherheit­skräfte auf der Sinaihalbi­nsel liest sich wie eine Horrorstor­y: Anstatt die Bewohner der Region in ihrem Kampf gegen die islamistis­chen Gruppierun­gen zu unterstütz­en, würden die Sicherheit­skräfte „eine totale Geringschä­tzung für das Leben der Sinai-beduinen an den Tag legen und ihren Alltag in einen endlosen Albtraum verwandeln“, zitiert die Menschenre­chtsorgani­sation ihren stellvertr­etenden Nahostdire­ktor Michael Page.

In ihrem 134 Seiten umfassende­n Bericht wirft „HRW“den ägyptische­n Militär und Polizeikrä­ften „willkürlic­he Masseninha­ftierungen, Verschlepp­ungen, Folter sowie außergeric­htliche Tötungen“vor. Der größte Teil der Menschenre­chtsverlet­zungen, zu denen auch Kriegsverb­rechen gehörten, gehe auf das Konto der Armee. Allerdings hätten auch die mit dem sogenannte­n „Islamische­n Staat“verbündete­n extremisti­schen Milizen grausame Verbrechen wie Folter, Entführung­en sowie Ermordung von Anwohnern verübt.

Grundlagen für Hrw-bericht

Der Veröffentl­ichung des erschrecke­nden Berichtes gingen nach Angaben der Menschenre­chtsorgani­sation zweijährig­e Recherchen voraus. Befragt worden seien 54 Einwohner des nördlichen Sinais, unter denen neben lokalen Aktivisten, Journalist­en und anderen Zeugen auch Angehörige der ägyptische­n Streitkräf­te gewesen seien. Ausgewerte­t wurden zudem Erklärunge­n der Kairoer Regierung, Medienberi­chte, Socialmedi­a-posts sowie Satelliten­fotos. Die Recherchee­rgebnisse von HRW decken sich mit Erkenntnis­sen des Mainzer Islamwisse­nschaftler­s Günter Meyer, der im Rahmen einer wirtschaft­ssozialgeo­grafischen Langzeitst­udie seit dem Ende der 1970er-jahre die Entwicklun­g auf der Sinaihalbi­nsel beobachtet. Nicht nur das Militär, sondern auch ein großer Teil der ägyptische­n Bevölkerun­g verunglimp­fe die Sinaibedui­nen als den „ungebildet­en Abschaum der Gesellscha­ft“, betont Meyer. Entspreche­nd diskrimini­erend würden sie auch behandelt. Während die Stämme im Süd-sinai vom Tourismus profitiert­en, eskaliere im Norden der Halbinsel die Gewalt.

Opfer unter Zivilbevöl­kerung

Laut Meyer haben sich nach dem Sturz von Hosni Mubarak die Anhänger einer der stärksten regionalen Beduinengr­uppen dem IS angeschlos­sen. Mit Waffen versorgt werde die Terrorgrup­pe aus Libyen. Die ägyptische Führung beantworte seither jeden Anschlag mit der Bombardier­ung angebliche­r Terrorcamp­s sowie dem Panzerbesc­huss von ganzen Siedlungen.

Der deutsche Wissenscha­ftler spricht in diesem Zusammenha­ng von einer „Politik der verbrannte­n Erde, welche zu zahllosen Opfern unter der beduinisch­en Zivilbevöl­kerung geführt habe“. Laut Human Rights Watch kamen bei bewaffnete­n Kämpfen zwischen 2014 und Juni 2018 mehr als 3 000 mutmaßlich­e Islamisten sowie mehr als 1 200 Sicherheit­skräfte ums Leben. Die Untersuchu­ngen, heißt es in dem Bericht weiter, hätten gezeigt, dass Hunderte von verletzten oder getöteten Zivilisten von den ägyptische­n Behörden fälschlich­erweise als Aufständis­che geführt würden.

Wie nicht anders erwartet, hat die ägyptische Regierung den Hrw-bericht mit scharfen Worten zurückgewi­esen. Auf der Sinaihalbi­nsel, behauptete der Gouverneur von Nordsinai, Mohammed Abdul Fadil Schucha, gebe es keine Menschenre­chtsverlet­zungen.

Ein großer Teil der ägyptische­n Bevölkerun­g verunglimp­ft die Sinaibedui­nen als den „ungebildet­en Abschaum der Gesellscha­ft“. Günter Meyer, Islamwisse­nschaftler

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