Luxemburger Wort

Abschied vom Rock'n'roll-zirkus

„The hottest band in the world“– Kiss startet ihre letzte Europa-tournee

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Seit Jahrzehnte­n ist es ein Ritual. Erst brummen die Verstärker. „You wanted the best, you got the best“, brüllt es aus den Batterien von Lautsprech­ern, „the hottest band in the world: Kiss!“Ein ohrenbetäu­bender Knall, der schwarze Vorhang mit dem silbernen Bandlogo fällt, und das Rock'n'roll-spektakel beginnt. In Leipzig starten Kiss den europäisch­en Teil ihrer ausgedehnt­en „End Of The Road“-tour. Es soll ihre letzte Tournee sein.

Auf leuchtende­n Plattforme­n gleiten Kiss auf die Bühne hinab, während sie „Detroit Rock City“vom Albumklass­iker „Destroyer“(1976) spielen und im Hintergrun­d der Bühne das Feuerwerk in Strömen regnet. Auf ihrer Abschiedst­our geben Paul Stanley, Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer in der Arena Leipzig noch mal einige ihre größten Hits zum Besten: „Shout It Loud“, „Calling Dr. Love“oder „Cold Gin“sind unter Rockfans seit Jahrzehnte­n Kult.

„End Of The Road ... aber ist es das?“, lautet der erste Satz im Programmhe­ft zur Tour. Schon einmal kündigten Kiss ihren Abschied an und gingen in den Jahren 2000-2001 auf „Farewell Tour“. Doch Stanley und Simmons machten kurz darauf einen Rückzieher, tauschten die Originalmi­tglieder Ace Frehley und Peter Criss wegen Differenze­n durch die jüngeren Thayer und Singer aus und tourten einfach weiter.

Jetzt soll wirklich Schluss sein. „Wir können das nicht ewig machen“, betonte Bassist und Sänger Simmons vor dem Konzert im Gespräch mit der Deutschen Presseagen­tur. Simmons ist 69, sein langjährig­er Bandpartne­r und Kissmitgrü­nder Stanley ist 67. „Wir sind jetzt auf der Spitze des Olymps und genießen die Aussicht“, sagt Simmons. „Wenn du die Spitze erreicht hast, ist der richtige Zeitpunkt aufzuhören.“

Simmons findet seine Band wichtiger als den Papst. „Was wir machen, ist viel bedeutende­r, als wenn der Papst am Ostersonnt­ag eine Rede hält“, so der Rockstar. „Wenn der Papst spricht, hören ihm nur Leute von seiner Religion zu. Wenn Angela Merkel oder Präsident Trump sprechen, hören Leute zu, die denen zustimmen. Die anderen wollen sich das nicht anhören.“

Kiss aber machten Musik für alle, betonte Simmons. „Unsere Show machen wir für jeden, für jede Hautfarbe, jeden Glauben, jede politische Überzeugun­g“, sagte der Musiker. „Die Welt könnte mehr davon vertragen, was wir machen. Wenn du die Welt vereinen willst, gründe mehr Rockbands, nicht politische Parteien und Religionen.“

Religion trenne die Menschen, meinte Simmons, der selbst jüdischen Glaubens ist. „Es gibt religiöse Kriege, aber keine Kriege, weil einer Led Zeppelin mag und der andere Abba. Musik bringt Leute zusammen“, sagte der Rocker und scherzte: „Jetzt bekomme ich sicher Ärger.“

Während der rund zweistündi­gen Abschiedss­how erinnert die Band an alte Zeiten. Auf dem riesigen Bildschirm auf der Bühne sind frühe Aufnahmen von Kiss aus den Siebzigerj­ahren zu sehen. Damals war alles wilder: die Haare, die Posen, das Benehmen. Heute lassen es Kiss vergleichs­weise etwas langsamer und gemütliche­r angehen – verständli­ch, wenn man wie Frontmann Stanley eine neue Hüfte hat.

Stimmlich muss sich der Sänger bei den höheren Tönen mehr anstrengen als früher – aber er liefert. Und er lässt es sich nicht nehmen, an einem Drahtseil über das Publikum zu fliegen. Von einem Podest in der Mitte der Halle singt er erst „Love Gun“und dann den wohl größten Kiss-hit in Deutschlan­d: „I Was Made For Loving You“.

Kein Song, bei dem nicht etwas explodiert oder brennt

Die spektakulä­ren Bühnenshow­s sind neben dem Make-up das Markenzeic­hen von Kiss. Kaum ein Song, bei dem nicht irgendwas explodiert oder brennt, scherzt Simmons, der während der Show mehrfach deutsch spricht. Am Ende des stampfende­n „War Machine“speit er Feuer, später wird er beim düsteren „God Of Thunder“Kunstblut spucken. In den Siebzigerj­ahren schockten Kiss mit solchen Ideen die Eltern und Moralwächt­er. Religiöse Gruppen protestier­ten gegen die Band aus New York. Heute ist Kiss Familienun­terhaltung, und die als „Kiss Army“bekannte Fangemeind­e erstreckt sich über mehrere Generation­en. Einige Fans haben ihre Kinder mitgebrach­t, manche womöglich sogar ihre Enkelkinde­r. „Dieser Song ist von 1983“, kündigt Stanley „Lick It Up“an, „ich weiß, einige von euch waren da noch nicht geboren.“

Immer wieder senken sich ein knappes Dutzend kleinerer Bildschirm­e von der Hallendeck­e und sorgen für ein beeindruck­endes, buntes Bühnenbild. Zum Showfinale mit der berühmten Hymne „Rock And Roll All Nite“klatscht und singt das Publikum – viele mit Make-up – lautstark mit. Die Konfetti-kanonen, die Flammenwer­fer und Feuerwerks­batterien schießen noch mal aus allen Rohren und sorgen für einen lauten und würdigen Abschluss dieses unterhalts­amen Rock'n'roll-theaters.

Nach Konzerten in München, Essen, Berlin, Hannover, Iffezheim und zahlreiche­n anderen europäisch­en Städten setzen Kiss ihre Tournee in Nordamerik­a und Australien fort. Danach muss nicht unbedingt Schluss sein. Wie lange die „End Of The Road“-tour weitergeht, wollte Simmons lieber nicht sagen: „Wenn du dich auf einer Party gut amüsierst, und dich fragt jemand, wie lange du bleibst, weißt du das doch nicht.“dpa

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Fotos: dpa Make-up und spektakulä­re Bühnenshow­s sind das Markenzeic­hen von Kiss, die derzeit auf „End Of The Road“-tournee sind.
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