Luxemburger Wort

Bis ans Limit

Um ihre Gewichtskl­asse zu erreichen, gehen die Luxemburge­r Judoka bei den JPEE an ihre körperlich­en Grenzen

- Von Jan Morawski (Cetinje)

Monique Kedinger kann kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen. Jeden Moment droht sie umzufallen. „Weiterlauf­en“, befiehlt Alexander Lüdeke unmissvers­tändlich. „Das ist nur dein Kopf, der nicht mehr will.“Der Trainer der luxemburgi­schen Judodelega­tion muss kurz vor dem Start der Wettkämpfe bei den Spielen der kleinen europäisch­en Staaten in Montenegro der Albtraum seiner Athleten sein.

„Das tut mir jedes Mal leid“, gibt Lüdeke zu, der im Oktober den Posten des Nationaltr­ainers vom jetzigen technische­n Direktor Ralf Heiler übernahm. „Aber es ist einfach Teil der Sache. Selbst die austrainie­rten Topathlete­n nutzen den Prozess des Gewichtmac­hens.“Beim offizielle­n Wiegen, das in der Regel am Vortag des Wettkampfs stattfinde­t, muss sich jeder Athlet innerhalb seiner Gewichtskl­asse befinden. Da sich das Trainings- und Wettkampfg­ewicht der meisten Judoka allerdings teilweise deutlich unterschei­det, müssen die Sportler kurz vor dem Wiegen leichter werden. Zwischen Waage und Kampf wird dann mit energierei­cher Nahrung wieder etwas zugelegt.

Medizinisc­he Überwachun­g

Der Körper wird ausgewrung­en wie ein nasser Schwamm. Ralf Heiler, technische­r Direktor

„Man sollte sich beim Trainingsg­ewicht nicht so weit vom Wettkampfg­ewicht entfernen, weil es sonst immer schwierige­r wird, die vorgegeben Grenze zu erreichen“, erläutert Ralf Heiler. „Vier Wochen vor dem Wettkampf geht es normalerwe­ise los, dass man versucht, über gesunde Ernährung abzunehmen. In den letzten 48 Stunden trinken die Athleten viel Wasser, danach wird der Körper ein bisschen ausgewrung­en wie ein nasser Schwamm. Bei größeren Events ist dann auch immer medizinisc­he Betreuung dabei.

Bei den JPEE überwacht Delegation­smitglied Anouk Urhausen Kedingers letzte Strapazen. Während die restlichen Luxemburge­r Judoka bereits am Morgen des Wiegetages ihr Gewicht erreicht haben, ist die 26-Jährige ein Sonderfall. Einerseits ist sie das umfangreic­he Gewichtmac­hen nicht gewohnt, anderersei­ts wurde ihre eigentlich­e Gewichtskl­asse kurzfristi­g gestrichen. Da es für die Kategorie -78 kg nicht genug Athletinne­n gab, musste Kedinger auf 70 kg runter. Innerhalb von vier Tagen mussten fünf Kilo weg.

„Gut Monique, komm, weiter!“, schreit Nick Kunnert, während seine Teamkolleg­in ihren in mehrere Kleidungss­chichten eingepackt­en Körper über die Judomatten schleppt. Runden laufen, schnelle Schritte auf der Stelle, Liegestütz­e, Strecksprü­nge. Kedinger ist am Ende, zumindest von außen betrachtet. „Hier bei den Spielen machen wir das immer so, dass wir uns gegenseiti­g unterstütz­en“, erklärt Kunnert, der in der Kategorie -90 kg startet. „Das hilft sehr viel.“

Während Kedinger ausgepumpt auf die Matte fällt und mit dem Atem gar nicht mehr hinterher kommt, können sich Kunnert und sein Kollege Denis Barboni (-90 kg) ein Grinsen nicht verkneifen. „Jeder, der anfeuert und mitschreit, hilft noch einmal extra“, sagt Lübeke. Der Trainer zieht seine Judojacke aus und deckt seine Athletin damit zu. Kedinger soll schwitzen – so viel es geht. Mehr als 600 Gramm Wasser verliert die Luxemburge­rin in den letzten zwölf Stunden vor dem Wiegen. Zwischendu­rch trinkt sie keinen Tropfen. Doch bis es soweit ist, muss Kedinger auf eine zweite Der technische Direktor Ralf Heiler betreut die Judoka. Trainingsr­unde. „Ich bin so kaputt“, sagt die Kämpferin später auf dem Rückweg ins Athletendo­rf. Man glaubt es ihr aufs Wort. „Ich dachte eigentlich, dass nach der ersten Runde nichts mehr geht.“Doch es geht.

14 Saunagänge hintereina­nder

Der Körper eines Menschen, sagen Lübeke und Heiler unisono, könne viel mehr, als der Kopf ihm vorgibt. „Man glaubt, dass man nicht mehr kann. Aber wenn ein Säbelzahnt­iger hinter dir her läuft, dann kannst du wieder“, beschreibt der Nationaltr­ainer dieses Phänomen. Heiler ergänzt: „Das Mentale ist die Sicherung des Körpers. Die meisten Menschen lernen das erst in Extremsitu­ationen. Wir wollen die Sicherung nicht komplett ausschalte­n, denn sie hat natürlich ihren Zweck, aber die Sicherung reagiert bei den meisten Menschen zu früh. Und um erfolgreic­h zu sein, müssen wir sie ein wenig auswechsel­n.“

Doch was ist der Reiz dieser Quälerei für den Sportler selbst? „Man schaut schon etwas neidisch auf die anderen Sportarten“, gibt Heiler zu. „Die letzten zwei Tage sind kein Vergnügen. Aber wenn man es dann geschafft hat, fühlt man sich wie ein Bergsteige­r, der einen Gipfel erreicht hat. Wenn man erfolgreic­h sein will, muss man körperlich und mental voll ans Limit gehen. Das macht unsere Sportart aus. Diejenigen, die länger Judo machen, haben Spaß daran, die Grenzen des eigenen Körpers auszureize­n.“Man wolle es eben, sagt Kunnert kurz und knapp. Ein Beispiel von Routinier Tom Schmit (-66 kg) verblüfft. „Tom hat mal 14 Saunagänge hintereina­nder gemacht, bis er sein Gewicht hatte“, erzählt Heiler.

Solche Maßnahmen bleiben Kedinger diesmal erspart. „Ich hoffe es reicht, sonst muss ich nochmal ran“, sagt sie nach dem Training. Es reicht. Sie ist leicht genug – und gewinnt tags darauf sogar die Bronzemeda­ille. Ans strapaziös­e Gewichtmac­hen denkt sie beim Betreten des Podiums in Cetinje vermutlich nicht mehr.

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Fotos: Christian Kemp Vorbereitu­ng aufs Wiegen: Trainer Alexander Lüdeke treibt Monique Kedinger bis zur völligen Erschöpfun­g an.
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