Luxemburger Wort

Tödlicher Gipfelstau

Die Wege zum Mount Everest sind überfüllt – mehrere Bergsteige­r sterben vor Erschöpfun­g

- Von Daniel Kestenholz

Kathmandu. Seit Mitte Mai sind auf dem Dach der Welt mindestens elf Alpinisten ums Leben gekommen. Die meisten Bergsteige­r starben, weil auf den Routen zum Gipfel aufgrund der derzeit herrschend­en guten Wetterbedi­ngungen Gedränge herrscht. Bei einigen Passagen mussten sich Auf- und Absteigend­e ein einziges Seil teilen und oft Stunden an einer Stelle warten. Die Erschöpfun­g führte bei einigen zum Tode.

Innerhalb von ein paar Stunden starben alleine in der vergangene­n Woche gleich drei indische Kletterer. Unter den weiteren Opfern waren ein Brite, ein Österreich­er, zwei Iren und zwei Usamerikan­er. Einige davon hatten den Gipfel erreicht und starben beim Abstieg – wie die 55-jährige Inderin Anjali Kulkarni, die über 25 Jahre Klettererf­ahrung verfügte. Sie und ihr Mann hatten eine Werbeagent­ur aufgeben, um sich „ihren Traum zu erfüllen, auf dem Mount Everest zu stehen“, sagte ihr Sohn nach dem tragischen Tod.

Schlangest­ehen im Schnee

Ein indischer Alpinist namens Nirmal Purja schoss in der sogenannte­n „Todeszone“Fotos, die um die Welt gingen. Die Aufnahmen zeigten den Stau mit rund 320 Menschen auf der Gratlinie zum Gipfel. Dicht gedrängt standen die Vermummten in Reih und Glied, das Gesicht hinter Sauerstoff­masken verborgen, oft unterstütz­t von nepalesisc­hen Sherpas, wie die Träger genannt werden, ohne die die wenigsten der zahlenden Gäste den Aufstieg schaffen würden.

Einer dieser Sherpas, der 49jährige Kami Rita, hat den Gipfel am 21. Mai zum 24. Mal erreicht. Mit Sauerstoff sei das kein Problem, sagte der Rekordhalt­er der BBC. Doch für viele der Klettertou­risten, die insgesamt einige zehntausen­d Dollar hinblätter­n, um sich den Traum vom Gipfelaufs­tieg zu erfüllen, werden schnell die Grenzen des Machbaren erreicht.

Der Mount Everest ist auch über die tibetische Route von der chinesisch­en Nordseite aus zu erreichen, und allein Nepal hat für diese Saison 381 Gipfelpäss­e ausgestell­t – eine Rekordzahl, die sich nun ins Negative kehrt. Mit Bergführer­n und Sherpas stürmten mindestens doppelt so viele Menschen den Gipfel. Die Verzweiflu­ng von Erschöpfte­n am Berg, die im Stau um ihr Leben kämpften, ist kaum vorstellba­r. Einige, so erzählten Bergführer, flehten die Aufsteigen­den an, doch bitte den Weg freizumach­en, damit sie passieren können, weil ihnen der Sauerstoff ausgegange­n sei.

10 000 Dollar pro Gipfelpass

Wenn der nepalesisc­he Staat, der pro Gipfelpass 10 000 Us-dollar verlangt, keine Maßnahmen ergreift, werden sich die Zustände im kommenden Jahr noch verschlimm­ern. Denn im Base Camp stauen sich die Expedition­en, die aufbrechen, wenn schönes Wetter herrscht. Wenn das Wetterfens­ter kurz ist, drängen sich auf der von Sherpas vorbereite­ten Route umso mehr Menschen.

Seit 2015 sind nicht mehr so viele Menschen am Everest ums Leben gekommen. Damals, und im Jahr zuvor, forderten Lawinen Dutzende Opfer. Nun sterben die Menschen am Berg – und bleiben dort, denn der Abtranspor­t ins Base Camp ist selbst für die Sherpas ein Ding der Unmöglichk­eit.

Berichten zufolge prüft Nepal jetzt, wie der Zugang zum Gipfel eingeschrä­nkt werden kann oder ob die Klettersai­son verlängert werden soll. Eine andere Option ist, bestimmte Anforderun­gen an Alpinisten zu stellen – denn viele versuchen sich am höchsten Berg der Welt ohne Erfahrung. Schließlic­h ist die Besteigung des Gipfels mittlerwei­le zur Trophäe geworden, die man – koste es, was wolle – sein eigen nennen will. Und sei es zum Preis seines eigenen Lebens.

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Foto: AFP Photo / Nimsdai Project Possible Perfekte Wetterbedi­ngungen locken derzeit eine Vielzahl von Bergsteige­rn zum Mount Everest. Das führt zu ungewohnte­n Warteschla­ngen vor dem Gipfel.

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