Tödlicher Gipfelstau
Die Wege zum Mount Everest sind überfüllt – mehrere Bergsteiger sterben vor Erschöpfung
Kathmandu. Seit Mitte Mai sind auf dem Dach der Welt mindestens elf Alpinisten ums Leben gekommen. Die meisten Bergsteiger starben, weil auf den Routen zum Gipfel aufgrund der derzeit herrschenden guten Wetterbedingungen Gedränge herrscht. Bei einigen Passagen mussten sich Auf- und Absteigende ein einziges Seil teilen und oft Stunden an einer Stelle warten. Die Erschöpfung führte bei einigen zum Tode.
Innerhalb von ein paar Stunden starben alleine in der vergangenen Woche gleich drei indische Kletterer. Unter den weiteren Opfern waren ein Brite, ein Österreicher, zwei Iren und zwei Usamerikaner. Einige davon hatten den Gipfel erreicht und starben beim Abstieg – wie die 55-jährige Inderin Anjali Kulkarni, die über 25 Jahre Klettererfahrung verfügte. Sie und ihr Mann hatten eine Werbeagentur aufgeben, um sich „ihren Traum zu erfüllen, auf dem Mount Everest zu stehen“, sagte ihr Sohn nach dem tragischen Tod.
Schlangestehen im Schnee
Ein indischer Alpinist namens Nirmal Purja schoss in der sogenannten „Todeszone“Fotos, die um die Welt gingen. Die Aufnahmen zeigten den Stau mit rund 320 Menschen auf der Gratlinie zum Gipfel. Dicht gedrängt standen die Vermummten in Reih und Glied, das Gesicht hinter Sauerstoffmasken verborgen, oft unterstützt von nepalesischen Sherpas, wie die Träger genannt werden, ohne die die wenigsten der zahlenden Gäste den Aufstieg schaffen würden.
Einer dieser Sherpas, der 49jährige Kami Rita, hat den Gipfel am 21. Mai zum 24. Mal erreicht. Mit Sauerstoff sei das kein Problem, sagte der Rekordhalter der BBC. Doch für viele der Klettertouristen, die insgesamt einige zehntausend Dollar hinblättern, um sich den Traum vom Gipfelaufstieg zu erfüllen, werden schnell die Grenzen des Machbaren erreicht.
Der Mount Everest ist auch über die tibetische Route von der chinesischen Nordseite aus zu erreichen, und allein Nepal hat für diese Saison 381 Gipfelpässe ausgestellt – eine Rekordzahl, die sich nun ins Negative kehrt. Mit Bergführern und Sherpas stürmten mindestens doppelt so viele Menschen den Gipfel. Die Verzweiflung von Erschöpften am Berg, die im Stau um ihr Leben kämpften, ist kaum vorstellbar. Einige, so erzählten Bergführer, flehten die Aufsteigenden an, doch bitte den Weg freizumachen, damit sie passieren können, weil ihnen der Sauerstoff ausgegangen sei.
10 000 Dollar pro Gipfelpass
Wenn der nepalesische Staat, der pro Gipfelpass 10 000 Us-dollar verlangt, keine Maßnahmen ergreift, werden sich die Zustände im kommenden Jahr noch verschlimmern. Denn im Base Camp stauen sich die Expeditionen, die aufbrechen, wenn schönes Wetter herrscht. Wenn das Wetterfenster kurz ist, drängen sich auf der von Sherpas vorbereiteten Route umso mehr Menschen.
Seit 2015 sind nicht mehr so viele Menschen am Everest ums Leben gekommen. Damals, und im Jahr zuvor, forderten Lawinen Dutzende Opfer. Nun sterben die Menschen am Berg – und bleiben dort, denn der Abtransport ins Base Camp ist selbst für die Sherpas ein Ding der Unmöglichkeit.
Berichten zufolge prüft Nepal jetzt, wie der Zugang zum Gipfel eingeschränkt werden kann oder ob die Klettersaison verlängert werden soll. Eine andere Option ist, bestimmte Anforderungen an Alpinisten zu stellen – denn viele versuchen sich am höchsten Berg der Welt ohne Erfahrung. Schließlich ist die Besteigung des Gipfels mittlerweile zur Trophäe geworden, die man – koste es, was wolle – sein eigen nennen will. Und sei es zum Preis seines eigenen Lebens.