Jetzt kommen die Hardliner
Theresa May überlässt ihrem Nachfolger ein polarisiertes Land
Charakteristischerweise endete Theresa Mays Amtszeit mit einer Niederlage. Die Nachwahl in der englischen Stadt Peterborough gewann Labour mit hauchdünnem Vorsprung. An zweiter Stelle kamen jedoch nicht die Konservativen, wie bei der letzten Wahl, sondern die Brexit-partei. Die Tories verloren 25 Prozent der Stimmen und landeten nur auf Platz drei. Einige Stunden nachdem das Resultat bekannt gegeben wurde, kam Theresa Mays offizieller Rücktritt. Sie hinterlässt ein tief gespaltenes Land, ihr wichtigstes Projekt, die Umsetzung des Euaustritts, ist gescheitert.
Genau das hatte sie eigentlich verhindern wollen. Hartnäckig, geradezu stur, hatte sie seit vergangenem Sommer versucht, ihren Brexit-deal durchs Parlament zu drücken. Dabei war schon längst klar geworden, dass es dafür keine Mehrheit gibt. Aber May wollte auf keinen Fall den Zusammenhalt ihrer Partei gefährden. Zudem sind britische Premierminister stets um ihr Vermächtnis bemüht: Was wird von ihrer Amtszeit bleiben, für welche Errungenschaft werden sie in die Geschichte eingehen? May wollte auf keinen Fall als die Premierministerin bekannt sein, die am Brexit gescheitert ist – aber genau das ist sie.
Sicher, am Eu-austritt hätte sich mancher Regierungschef die Zähne ausgebissen. Aber dass er zu einem solchen Schlamassel geführt hat, liegt nicht zuletzt an ihren Entscheidungen. So legte sie beispielsweise einfach selbst fest, wie der Brexit zu interpretieren sei: Großbritannien müsse die Kontrolle über die Grenzen, die Gesetze und das Geld haben. Sie versäumte es, das Gespräch mit der Opposition zu suchen, oder im Land einen Konsens zu finden. Stattdessen trat sie als Populistin auf, die den angeblichen „Willen des Volkes“umsetze. Einzig auf die Brexit-hardliner in ihrer eigenen Partei nahm sie Rücksicht.
Damit bereitete sie der Polarisierung den Weg, die die britische Gesellschaft heute prägt. Der Raum für Kompromisse ist kleiner geworden, und bei vielen Tories hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Partei nur mit einer harten Brexit-politik zu retten sei. Entsprechend müsse der neue Parteichef und Premierminister ein begeisterter Eu-gegner sein, andernfalls drohen die Tories in der Irrelevanz zu versinken. Der Vormarsch der Brexit-partei, die in Peterborough um ein Haar die Sensation geschafft hätte, wird diesem Argument neuen Auftrieb geben.
Elf Anwärter wollen es wissen
So blickt Großbritannien einem Szenario entgegen, das man vor ein paar Jahren noch für einen schlechten Witz gehalten hätte: Boris Johnson ist der aussichtsreichste Kandidat für Mays Nachfolge. Mit Mays Resignation hat der Wahlkampf offiziell begonnen. Er wird mehrere Wochen dauern, das Resultat wird erst gegen Ende Juli bekannt gegeben. In dieser Zeit wird May als Regierungschefin im Amt bleiben. Insgesamt haben elf Tories ihren Hut in den Ring geworfen.
Johnson, der ehemalige Außenminister und Brexit-hardliner, der droht, Großbritannien Ende Oktober ohne Nachfolgevertrag aus der EU zu führen, ist besonders bei der Parteibasis beliebt – und auf diese wird es ankommen. Die Tory-abgeordneten im Parlament wählen von der breiten Palette an Kandidaten zwei Spitzenkandidaten aus, und diese stellen sich dann den 160 000 Parteimitgliedern, die das letzte Wort haben. In einer verabschiedet sich Umfrage unter Tory-mitgliedern liegt Johnson eindeutig in Führung.
Auch manche Parlamentarier aus der Mitte der Partei haben durchblicken lassen, dass sie sich mit Johnson als Parteichef abfinden können. Ihr Kalkül ist folgendes: Wenn der neue Premierminister mit seinem Versuch, einen neuen Brexit-deal mit der EU auszuhandeln, scheitert, dann sind Neuwahlen unvermeidlich; diese zu gewinnen und Corbyns Labour-partei zu schlagen, trauen sie dem Populisten Johnson am ehesten zu. 42 Abgeordnete haben ihm die Unterstützung bereits zugesichert, der zweitplatzierte Michael Gove hat bislang erst 28.
Sie könnten sich aber auch täuschen. Johnson mag unter einer bestimmten Gruppe von Leuten sehr beliebt sein, aber die Ablehnung, die er bei anderen provoziert, macht dies mehr als wett. Der konservative Meinungsforscher Robert Hayward ist zum Schluss gekommen, dass 23 Prozent der Wähler, die 2017 für die Tories stimmten, Johnson für eine schlechten Kandidaten als Regierungschef halten. Ohne die Unterstützung dieser Leute wird er die Wahl nicht gewinnen können.