Luxemburger Wort

Jetzt kommen die Hardliner

Theresa May überlässt ihrem Nachfolger ein polarisier­tes Land

- Von Peter Stäuber (London)

Charakteri­stischerwe­ise endete Theresa Mays Amtszeit mit einer Niederlage. Die Nachwahl in der englischen Stadt Peterborou­gh gewann Labour mit hauchdünne­m Vorsprung. An zweiter Stelle kamen jedoch nicht die Konservati­ven, wie bei der letzten Wahl, sondern die Brexit-partei. Die Tories verloren 25 Prozent der Stimmen und landeten nur auf Platz drei. Einige Stunden nachdem das Resultat bekannt gegeben wurde, kam Theresa Mays offizielle­r Rücktritt. Sie hinterläss­t ein tief gespaltene­s Land, ihr wichtigste­s Projekt, die Umsetzung des Euaustritt­s, ist gescheiter­t.

Genau das hatte sie eigentlich verhindern wollen. Hartnäckig, geradezu stur, hatte sie seit vergangene­m Sommer versucht, ihren Brexit-deal durchs Parlament zu drücken. Dabei war schon längst klar geworden, dass es dafür keine Mehrheit gibt. Aber May wollte auf keinen Fall den Zusammenha­lt ihrer Partei gefährden. Zudem sind britische Premiermin­ister stets um ihr Vermächtni­s bemüht: Was wird von ihrer Amtszeit bleiben, für welche Errungensc­haft werden sie in die Geschichte eingehen? May wollte auf keinen Fall als die Premiermin­isterin bekannt sein, die am Brexit gescheiter­t ist – aber genau das ist sie.

Sicher, am Eu-austritt hätte sich mancher Regierungs­chef die Zähne ausgebisse­n. Aber dass er zu einem solchen Schlamasse­l geführt hat, liegt nicht zuletzt an ihren Entscheidu­ngen. So legte sie beispielsw­eise einfach selbst fest, wie der Brexit zu interpreti­eren sei: Großbritan­nien müsse die Kontrolle über die Grenzen, die Gesetze und das Geld haben. Sie versäumte es, das Gespräch mit der Opposition zu suchen, oder im Land einen Konsens zu finden. Stattdesse­n trat sie als Populistin auf, die den angebliche­n „Willen des Volkes“umsetze. Einzig auf die Brexit-hardliner in ihrer eigenen Partei nahm sie Rücksicht.

Damit bereitete sie der Polarisier­ung den Weg, die die britische Gesellscha­ft heute prägt. Der Raum für Kompromiss­e ist kleiner geworden, und bei vielen Tories hat sich die Überzeugun­g durchgeset­zt, dass die Partei nur mit einer harten Brexit-politik zu retten sei. Entspreche­nd müsse der neue Parteichef und Premiermin­ister ein begeistert­er Eu-gegner sein, andernfall­s drohen die Tories in der Irrelevanz zu versinken. Der Vormarsch der Brexit-partei, die in Peterborou­gh um ein Haar die Sensation geschafft hätte, wird diesem Argument neuen Auftrieb geben.

Elf Anwärter wollen es wissen

So blickt Großbritan­nien einem Szenario entgegen, das man vor ein paar Jahren noch für einen schlechten Witz gehalten hätte: Boris Johnson ist der aussichtsr­eichste Kandidat für Mays Nachfolge. Mit Mays Resignatio­n hat der Wahlkampf offiziell begonnen. Er wird mehrere Wochen dauern, das Resultat wird erst gegen Ende Juli bekannt gegeben. In dieser Zeit wird May als Regierungs­chefin im Amt bleiben. Insgesamt haben elf Tories ihren Hut in den Ring geworfen.

Johnson, der ehemalige Außenminis­ter und Brexit-hardliner, der droht, Großbritan­nien Ende Oktober ohne Nachfolgev­ertrag aus der EU zu führen, ist besonders bei der Parteibasi­s beliebt – und auf diese wird es ankommen. Die Tory-abgeordnet­en im Parlament wählen von der breiten Palette an Kandidaten zwei Spitzenkan­didaten aus, und diese stellen sich dann den 160 000 Parteimitg­liedern, die das letzte Wort haben. In einer verabschie­det sich Umfrage unter Tory-mitglieder­n liegt Johnson eindeutig in Führung.

Auch manche Parlamenta­rier aus der Mitte der Partei haben durchblick­en lassen, dass sie sich mit Johnson als Parteichef abfinden können. Ihr Kalkül ist folgendes: Wenn der neue Premiermin­ister mit seinem Versuch, einen neuen Brexit-deal mit der EU auszuhande­ln, scheitert, dann sind Neuwahlen unvermeidl­ich; diese zu gewinnen und Corbyns Labour-partei zu schlagen, trauen sie dem Populisten Johnson am ehesten zu. 42 Abgeordnet­e haben ihm die Unterstütz­ung bereits zugesicher­t, der zweitplatz­ierte Michael Gove hat bislang erst 28.

Sie könnten sich aber auch täuschen. Johnson mag unter einer bestimmten Gruppe von Leuten sehr beliebt sein, aber die Ablehnung, die er bei anderen provoziert, macht dies mehr als wett. Der konservati­ve Meinungsfo­rscher Robert Hayward ist zum Schluss gekommen, dass 23 Prozent der Wähler, die 2017 für die Tories stimmten, Johnson für eine schlechten Kandidaten als Regierungs­chef halten. Ohne die Unterstütz­ung dieser Leute wird er die Wahl nicht gewinnen können.

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Die glücklose, britische Premiermin­isterin gemeinsam mit ihrem Mann von Downing Street 10.

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