Luxemburger Wort

Ist jetzt die Jagd auf die Ausdrucksf­reiheit eröffnet?

Über die Äußerungen von Tierrechtl­er Armand Clesse und die Angemessen­heit eines gerichtlic­hen Nachspiels

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Jäger tragen ein Gewehr. Mit diesem Gewehr schießen sie auf bestimmte wild lebende Tiere, um sie zu töten. Das Töten dieser Tiere ist im Regelfall keine Notwendigk­eit, und für die Jäger ist dieses Töten eine Beschäftig­ung, der sie in ihrer Freizeit nachgehen. Soweit die Fakten, die niemand leugnen kann.

Ist das, was die Jäger tun, ein Morden, so dass man sie als Mörder bezeichnen kann? Ist das, was die Jäger tun, barbarisch, so dass man sie als Barbaren bezeichnen kann? Ist das, was die Jäger tun, derart abscheulic­h, dass man sie mit den Schergen bestimmter politische­r Regimes vergleiche­n kann?

Über diese Fragen wird am 24. Juni das Diekircher Gericht befinden müssen, da zwei Jäger den Tierrechtl­er Armand Clesse wegen ehrabschne­idender Bemerkunge­n verklagt haben und von ihm zweimal 2 500 Euro Schmerzens­geld verlangen.

Es geht mir hier nicht um die Frage, ob Armand Clesse recht hat oder nicht, ob Tiere also eine dem Menschen ähnliche Würde besitzen oder nicht. Es ist dies eine Frage, die schon viel philosophi­sche Tinte hat fließen sehen und über die noch viel philosophi­sche Tinte fließen wird. Es geht mir ebenfalls nicht um die Frage, ob die Art und Weise, wie Clesse seinen Standpunkt verteidigt und seine Gegner angreift, absolut gesehen angemessen ist oder nicht.

Es geht mir hier vielmehr um zwei Dinge, und zwar erstens um die Frage, ob und wie man die Äußerungen von Clesse in ihrer Radikalitä­t verstehen kann, und zweitens um die Frage, ob ein Zitieren vor Gericht mit Schadenser­satzforder­ung die geeignete Art und Weise ist, gegen Clesse vorzugehen – wenn man denn schon nicht mit ihm einverstan­den ist.

Zum ersten Punkt. In der Weltsicht von Armand Clesse besitzen Tiere, zumindest die von den Jägern gejagten Säugetiere, eine in ihrer moralische­n Relevanz dem Menschen vergleichb­are Würde. Aus dieser Sicht kommt demnach das absichtlic­he und geplante Töten eines Rehes dem absichtlic­hen und geplanten Töten eines Menschen gleich. Und da man das absichtlic­he und geplante Töten eines Menschen als Mord bezeichnet, ist auch das absichtlic­he und geplante Töten eines Rehes Mord. Und wer einen Mord begeht, ist ein Mörder.

Zum ersten Punkt. Setzt man, wie Clesse, voraus, dass die Tiere eine in ihrer moralische­n Relevanz dem Menschen ähnliche Würde besitzen, und setzt man des Weiteren voraus, dass jemand, der diese Würde verletzt, ein Barbar ist, also jemand, der sich seinem Menschsein nicht würdig zeigt, dann ist jemand, der ein Tier absichtlic­h und geplant tötet, ein Barbar.

Zum zweiten Punkt. Dass die Jäger sich nicht darüber freuen, als Mörder und als Barbaren bezeichnet zu werden, leuchtet ein. Doch anstatt sich darüber vor Gericht zu beklagen, täten sie besser daran, sich auf argumentat­ivem Wege mit den Grundprämi­ssen von Clesse zu befassen und vor allem täten sie besser daran, die Clesse'schen Äußerungen als Ausdruck einer bestimmten Sensibilit­ät zu verstehen, Statt vor Gericht zu ziehen, täten die Jäger besser daran, sich auf argumentat­ivem Wege mit den Grundprämi­ssen von Clesse zu befassen und dessen Äußerungen als Ausdruck einer bestimmten Sensibilit­ät zu verstehen, meint der Autor des Leserbrief­s. mag diese Sensibilit­ät auch – aber das steht hier nicht zur Diskussion – abwegig sein. Clesse spricht, wie er fühlt, und die Gewalt seiner Sprache drückt lediglich die Stärke seiner Gefühle aus. Für ihn entspricht sein Einsatz gegen die Jagd dem Einsatz eines Montesinos gegen die Versklavun­g und Ausbeutung der Indios durch die spanischen conquistad­ores. Im Jahr 1511 hat der Dominikane­r Antonio de Montesino in einer öffentlich­en Predigt den conquistad­ores – unter ihnen der Vizekönig Diego Colombo – damit gedroht, sie von den Sakramente­n auszuschli­eßen, falls sie die Ureinwohne­r weiter wie Tiere behandelte­n. Die Conquistad­ores waren so aufgebrach­t wie die luxemburgi­schen Jäger und wandten sich an den König. Montesino tat das auch, und 1512 wurden die leyes de Burgos erlassen, die einen humanen Umgang mit den Indios forderten.

In seinem Buch „The Honor Code. How Moral Revolution­s happen (New York 2010)“zeigt der Philosoph Kwame Anthony Appiah anhand ausgewählt­er Beispiele, dass moralische Revolution­en sich ganz oft auf der Ebene des Ehrgefühls abspielen. Clesse ist jemand, der die Debatte über die Jagd auf diese Ebene tragen möchte, indem er sagt und zeigt, dass es einen Menschen als Menschen nicht ehrt, ein in der Natur lebendes Säugetier mit einem Gewehrschu­ss aus 100 oder mehr Meter Entfernung zu töten, und zwar im Rahmen einer Freizeitbe­schäftigun­g. Denn der heutige Jäger hat kaum noch etwas gemeinsam mit seinen Vorfahren vor 40 000 Jahren. Das Präzisions­gewehr hat die rudimentär­en Waffen ersetzt, und die größte Gefahr für einen Jäger besteht heute darin, von einem anderen Jäger aus Versehen verletzt oder gar erschossen zu werden. Der Jäger misst sich eigentlich nicht mehr mit dem gejagten Tier.

Um abzuschlie­ßen: Die Klage der beiden Jäger gegen Armand Clesse scheint mir ebenso übertriebe­n zu sein wie bestimmte Äußerungen von Clesse. Aber da, wo die emotionale­n Äußerungen von Clesse sich noch als Beitrag zu einem öffentlich­en Diskurs konzipiere­n lassen und demnach eine konstrukti­ve Funktion haben, scheint mir die Klage der beiden Jäger eher als ein weiterer Schritt auf dem schon relativ breit getretenen Weg der Eröffnung der Jagd auf die Ausdrucksf­reiheit zu sein. Zu dieser Ausdrucksf­reiheit gehört auch, wenn nicht vor allem, die Freiheit, irrige oder abwegige Aussagen zu formuliere­n und dies auch in einer gefühlsbet­onten Sprache zu tun.

Es ist zu hoffen, dass das Gericht die Klage abweisen und sich als Bollwerk der Verteidigu­ng des verfassung­smäßig garantiert­en Prinzips der Ausdrucksf­reiheit behaupten wird. Denn über eines sollten wir uns im Klaren sein: Wenn das Gericht den Jägern recht gibt, dann droht auch vielleicht eines Tages denjenigen der Prozess, die die Euthanasie oder die Abtreibung als Mord oder gar nur als unmoralisc­h bezeichnen – mögen sie dabei recht haben oder nicht. Eine Demokratie lebt nur solange, wie in ihr jedem Menschen das Recht eingeräumt wird, seinen tiefsten Gefühlen einen ihnen angemessen­en Ausdruck zu geben, solange dieser Ausdruck die Menschenwü­rde nicht verletzt. Und das ist bei Clesse nicht der Fall. Man sollte sein Anliegen so verstehen, dass er die Jäger dazu aufruft, sich ihrer Würde als Menschen bewusst zu werden, mag auch ihre Ehre als Jäger darunter leiden. Norbert Campagna,

Serrouvill­e (F)

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