Fantastisches Erzählen
Nina Blazon ist 2019 Echternachs „Struwwelpippi Kinder- und Jugendbuch-autorenresidentin“
Die 18. „Struwwelpippi“residiert im Gotischen Haus in Echternach: Mit Nina Blazon haben die Organisatoren der Kinder- und Jugendbuchautorenresidenz in der Abteistadt einmal mehr eine starke Erzählerin zu Gast. Und bei der darf es gerne auch etwas fantasievoll zugehen. Nina Blazon, Transparenz scheint Ihnen wichtig zu sein. Wer Ihre Homepage durchforstet, findet schon sehr viele Antworten auf Fragestellungen, die Leser sich wohl bei jedem Buch oder zu Ihrer Arbeitsweise so ausdenken könnten. Auf welche Frage hätten Sie denn gerne geantwortet, die Ihnen aber noch nicht gestellt wurde?
Vielleicht, warum ich gerade Fantasy als Genre zu schön finde. Häufig wird es ja mit Klischeefiguren wie eben Elfen assoziiert. Aber ich finde, durch die Nähe zum Märchen ergibt sich viel Spannendes. So, dass ich im Gewand der Fantasy scharf zeichnen kann; ich kann Konflikte und Grundprobleme des Menschseins in einer passenden Kulisse sehr klar machen – ganz abgesehen von den Fabelwesen. Aber Grundprobleme wie Armut sind doch an der Lebensrealität noch einfacher klarzumachen. Sprich Kinder, die bei einer der „Tafeln“um Lebensmittel anstehen müssen ...
Aber sie brauchen dann ein Bezugssystem, mit dem nicht alle Kinder etwas anfangen können. In Märchen, die uns alle gemeinsam sind, kann der Konflikt ganz nackt dastehen, als wenn ich jetzt erst das Umfeld erklären muss, wieso Kinder zur Tafel gehen. Und Armut kann sehr unterschiedlich sein – je nach Land und Gesellschaft. Bei Fantasy kann man das komplett losgelöst machen, weil wir uns auf die gleichen archetypischen Bilder beziehen. Und dadurch lassen sich Themen wie Freundschaft, aber auch Verlust oder das erste Mal das Erleben des Todes sehr klar darstellen. In „Silfur – Die Nacht der silbernen Augen“lassen Sie dann moderne Elfen im realen Alltag aufleben. Braucht es dann nicht auch ein neues Bezugssystem und die Schilderung des Umfelds?
Hier liegt der Fall etwas anders. Da habe ich es tatsächlich so gemacht, wie die moderne Elfenforschung von Terry Gunnell am Folklore-lehrstuhl der Uni Reykjavík es erklärt. Die Elfen sind ein Bild, das die Menschen immer als eine Vorstellung des besseren Lebens begleitet hat. In den Zeiten, in denen Isländer unter Hunger litten oder als Inselvolk von Naturgewalten bedroht waren, waren die Elfen ein Symbol für die bessere Welt. Das spiegelt sich dann in den historischen Vorstellung wider: Die Elfen sind dann in Samt und Seide gekleidet. Wenn Isländer heute von Elfensichtungen berichten, werden sie als ebenfalls bessere Version von uns beschrieben. Nicht mittelalterlich, sondern zum Beispiel technisch überlegen. Und das bot die Grundlage für das Buch. Wollten Sie sich nicht eigentlich im gotischen Haus komplett zurückziehen, um sich eben neue Welten auszudenken?
Ich war überrascht, wie eingebunden man hier von Anfang an in das Stadt- und Schulleben ist. Ich habe in dieser Form tatsächlich noch nie erlebt, dass Veranstalter und Organisatoren sich so viel Zeit für den Autor nehmen, dass man so herzlich aufgenommen wird und so schnell Teil des Stadtlebens ist. Auch die Kinder kennen einen schon nach der ersten Woche beim Namen und sprechen einen auf der Straße an, was wirklich schön und besonders ist. Ich habe meine Schreib-arbeitsstunden auf die frühen Morgen verschoben, um das auch genießen und leben zu können. Inspiriert Sie denn das Flair der Abteistadt?
Und ich muss auf alle Fälle im kommenden Jahr noch einmal ganz privat nach Echternach zu einer Recherchewoche anreisen. Im Moment finde ich in Echternach die ersten „Fäden“für einen neuen Schauplatz für ein zukünftiges Buch – allerdings wird es eine historische Geschichte für erwachsene Leser werden –, neben den Struwwelpippi-aktivitäten skizziere ich und suche nach ersten Details. Sie sind viel auf Lesetour durch deutsche Schulklassen. Wie erleben Sie die Kinder und die Schulen hier?
Mir fällt es sehr auf, wie offen und kooperativ die Kinder in den Schulen hier untereinander umgehen. Es leben und lernen hier Kinder so vieler unterschiedlicher Herkunftsländer zusammen und es ist schön zu erleben, wie flexibel und mühelos sie damit umgehen, wie schnell zwischen Sprachen „geswitcht“wird – und dass wirklich niemand ausgeschlossen ist, sondern ein großer Zusammenhalt und viel Toleranz zu spüren ist. Mobbing oder Ausgrenzung unter den Schülern scheint hier kein großes Thema zu sein. Das ist toll zu sehen! Ansonsten fällt mir hier auch ein offener Umgang mit Kindern im Allgemeinen auf. Sie scheinen hier viel weniger durch Erwachsene moderiert, behütet und auch in der Freizeit „durchorganisiert“zu werden, was ich in Deutschland schon sehr viel stärker erlebe. Kinder dürfen hier auch allein durch die Stadt laufen und ruhig auch mal laut sein. Bei den Lesungen erlebe ich sie als direkt, spontan und offen, was viel Spaß macht.