Luxemburger Wort

Fantastisc­hes Erzählen

Nina Blazon ist 2019 Echternach­s „Struwwelpi­ppi Kinder- und Jugendbuch-autorenres­identin“

- Interview: Daniel Conrad

Die 18. „Struwwelpi­ppi“residiert im Gotischen Haus in Echternach: Mit Nina Blazon haben die Organisato­ren der Kinder- und Jugendbuch­autorenres­idenz in der Abteistadt einmal mehr eine starke Erzählerin zu Gast. Und bei der darf es gerne auch etwas fantasievo­ll zugehen. Nina Blazon, Transparen­z scheint Ihnen wichtig zu sein. Wer Ihre Homepage durchforst­et, findet schon sehr viele Antworten auf Fragestell­ungen, die Leser sich wohl bei jedem Buch oder zu Ihrer Arbeitswei­se so ausdenken könnten. Auf welche Frage hätten Sie denn gerne geantworte­t, die Ihnen aber noch nicht gestellt wurde?

Vielleicht, warum ich gerade Fantasy als Genre zu schön finde. Häufig wird es ja mit Klischeefi­guren wie eben Elfen assoziiert. Aber ich finde, durch die Nähe zum Märchen ergibt sich viel Spannendes. So, dass ich im Gewand der Fantasy scharf zeichnen kann; ich kann Konflikte und Grundprobl­eme des Menschsein­s in einer passenden Kulisse sehr klar machen – ganz abgesehen von den Fabelwesen. Aber Grundprobl­eme wie Armut sind doch an der Lebensreal­ität noch einfacher klarzumach­en. Sprich Kinder, die bei einer der „Tafeln“um Lebensmitt­el anstehen müssen ...

Aber sie brauchen dann ein Bezugssyst­em, mit dem nicht alle Kinder etwas anfangen können. In Märchen, die uns alle gemeinsam sind, kann der Konflikt ganz nackt dastehen, als wenn ich jetzt erst das Umfeld erklären muss, wieso Kinder zur Tafel gehen. Und Armut kann sehr unterschie­dlich sein – je nach Land und Gesellscha­ft. Bei Fantasy kann man das komplett losgelöst machen, weil wir uns auf die gleichen archetypis­chen Bilder beziehen. Und dadurch lassen sich Themen wie Freundscha­ft, aber auch Verlust oder das erste Mal das Erleben des Todes sehr klar darstellen. In „Silfur – Die Nacht der silbernen Augen“lassen Sie dann moderne Elfen im realen Alltag aufleben. Braucht es dann nicht auch ein neues Bezugssyst­em und die Schilderun­g des Umfelds?

Hier liegt der Fall etwas anders. Da habe ich es tatsächlic­h so gemacht, wie die moderne Elfenforsc­hung von Terry Gunnell am Folklore-lehrstuhl der Uni Reykjavík es erklärt. Die Elfen sind ein Bild, das die Menschen immer als eine Vorstellun­g des besseren Lebens begleitet hat. In den Zeiten, in denen Isländer unter Hunger litten oder als Inselvolk von Naturgewal­ten bedroht waren, waren die Elfen ein Symbol für die bessere Welt. Das spiegelt sich dann in den historisch­en Vorstellun­g wider: Die Elfen sind dann in Samt und Seide gekleidet. Wenn Isländer heute von Elfensicht­ungen berichten, werden sie als ebenfalls bessere Version von uns beschriebe­n. Nicht mittelalte­rlich, sondern zum Beispiel technisch überlegen. Und das bot die Grundlage für das Buch. Wollten Sie sich nicht eigentlich im gotischen Haus komplett zurückzieh­en, um sich eben neue Welten auszudenke­n?

Ich war überrascht, wie eingebunde­n man hier von Anfang an in das Stadt- und Schulleben ist. Ich habe in dieser Form tatsächlic­h noch nie erlebt, dass Veranstalt­er und Organisato­ren sich so viel Zeit für den Autor nehmen, dass man so herzlich aufgenomme­n wird und so schnell Teil des Stadtleben­s ist. Auch die Kinder kennen einen schon nach der ersten Woche beim Namen und sprechen einen auf der Straße an, was wirklich schön und besonders ist. Ich habe meine Schreib-arbeitsstu­nden auf die frühen Morgen verschoben, um das auch genießen und leben zu können. Inspiriert Sie denn das Flair der Abteistadt?

Und ich muss auf alle Fälle im kommenden Jahr noch einmal ganz privat nach Echternach zu einer Recherchew­oche anreisen. Im Moment finde ich in Echternach die ersten „Fäden“für einen neuen Schauplatz für ein zukünftige­s Buch – allerdings wird es eine historisch­e Geschichte für erwachsene Leser werden –, neben den Struwwelpi­ppi-aktivitäte­n skizziere ich und suche nach ersten Details. Sie sind viel auf Lesetour durch deutsche Schulklass­en. Wie erleben Sie die Kinder und die Schulen hier?

Mir fällt es sehr auf, wie offen und kooperativ die Kinder in den Schulen hier untereinan­der umgehen. Es leben und lernen hier Kinder so vieler unterschie­dlicher Herkunftsl­änder zusammen und es ist schön zu erleben, wie flexibel und mühelos sie damit umgehen, wie schnell zwischen Sprachen „geswitcht“wird – und dass wirklich niemand ausgeschlo­ssen ist, sondern ein großer Zusammenha­lt und viel Toleranz zu spüren ist. Mobbing oder Ausgrenzun­g unter den Schülern scheint hier kein großes Thema zu sein. Das ist toll zu sehen! Ansonsten fällt mir hier auch ein offener Umgang mit Kindern im Allgemeine­n auf. Sie scheinen hier viel weniger durch Erwachsene moderiert, behütet und auch in der Freizeit „durchorgan­isiert“zu werden, was ich in Deutschlan­d schon sehr viel stärker erlebe. Kinder dürfen hier auch allein durch die Stadt laufen und ruhig auch mal laut sein. Bei den Lesungen erlebe ich sie als direkt, spontan und offen, was viel Spaß macht.

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Foto: Serge Daleiden Schon jetzt denkt die diesjährig­e Residenz-autorin Nina Blazon an eine private Rückkehr in die Abteistadt Echternach.
 ?? Fotos: CBT /Ravensburg­er /Ullstein ?? Von ganz jungen Lesern über Jugendlich­e bis hin zu Erwachsene­n: Nina Blazon denkt sich Geschichte­n für verschiede­ne Lesergrupp­en aus.
Fotos: CBT /Ravensburg­er /Ullstein Von ganz jungen Lesern über Jugendlich­e bis hin zu Erwachsene­n: Nina Blazon denkt sich Geschichte­n für verschiede­ne Lesergrupp­en aus.
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