Surreale Chronik des Auflösens
Véronique Lasar macht die Unsichtbaren sichtbar
Es sind meist die Plaudertauschen, die Schicksalsgebeutelten und die Helden, die viel Aufmerksamkeit bekommen. Erst recht in einer, oft als Erregungs- und Empörungskultur beschworenen Zeit.
Die Luxemburger Autorin Véronique Lasar hat sich vom Trubel um den Schein abgewandt und eine Novelle über die anderen verfasst: diejenigen, die kein starkes soziales Netz haben, nicht richtig oder schlicht gar nicht wahrgenommen werden. Ihre Novelle „Weg“ist eine Chronik des langsamen Verschwindens, aber auch des stillen Weiterexistierens.
Mysteriöser Start, Kreisen ums Ich
Lasars Held heißt Gaspard Lhose und wundert sich eines Morgens, dass sein Briefkasten verschwunden ist, und auch der Kollege ruft ihn nicht, wie üblich, zum Schichtwechsel an. Als Bekannte nicht mehr grüßen und Lhose immer wieder überhört wird, ist der Einstieg in eine beunruhigende Atmosphäre perfekt gelungen.
Das Mysteriöse, das die Autorin durch das seltsame Desinteresse von Lhoses Mitbürgern beschwört, liest sich zunächst spannend und verheißungsvoll, wie eine surreale Verschwörung. Doch Lasar skizziert die kafkaeske Situation der verkehrten Welt nur. Was folgt, ist eine handlungsarme Wanderung des Protagonisten, der ziellos durch Luxemburg-stadt spaziert. Was und wen er trifft, gibt Anlass für Sozialkritik an den Oberflächlichen, den Unemphatischen und den Egoisten. Dank der guten Beobachtungsgabe der Autorin spielt sich da beim Leser unterhaltsames Kopfkino ab; viele Szenen, die der Held dank seiner Unsichtbarkeit beobachtet, wirken so natürlich, als sei man dabei. Dies und Lhoses Marschroute zu bekannten Plätzen lesen sich sehr kurzweilig.
Was diesen reizvollen Exkurs in die Randzonen des Lebens und über das getrennte Miteinander manchmal etwas zäh werden lässt, ist das Mäandern der Hauptfigur. Die Spannung fällt ab, weil Lhoses introspektives Tarnkappendasein zwar den lauten Egozentren seiner hippen Mitmenschen gegenübergestellt wird, aber die dramaturgische Konsequenz sich auf das Kreisen ums Selbst beschränkt. Oder sie soll vom Leser gezogen werden – aber unter der Gefahr, dass dieser stellenweise gelangweilt ist. sop Véronique Lasar: „WEG“, Treibgut Verlag, 108 Seiten, 14 Euro.