Luxemburger Wort

Die Fotografie in Zeiten des Selfies

Neimënster gibt Raum für eine der zahlreiche­n Ausstellun­gen des European Month of Photograph­y

- Von Kathrin Koutrakos

„Selfie Harm“– so nannte der britische Fotograf Rankin seine Porträt-serie, die Anfang des Jahres internatio­nal für Entsetzen sorgte. Der Fotograf porträtier­te Teenager und bat sie anschließe­nd, die Aufnahme so zu „verschöner­n“, dass sie sie auf ihren Social-media-kanälen nutzen würden. Das Ergebnis: Die jungen Menschen wurden zu einer immer gleichen Maske, die alle Individual­ität ausmerzte wie Unkraut im Garten. Dass solche Projekte Konjunktur haben, verwundert nicht angesichts des Bedeutungs­wandels der (Selbst-)porträtfot­ografien in den vergangene­n Jahren.

Die Frage nach den Folgen dieser Bilderflut ist die inhaltlich­e Klammer der Ausstellun­gen, mit denen das Kulturzent­rum Neimënster sich bis 16. Juni am European Month of Photograph­y (EMOP) beteiligt. Das diesjährig­e Leitmotiv ist der menschlich­e Körper in der zeitgenöss­ischen Fotografie – ein weites Feld. Denn der Mensch, sein Gesicht und sein Körper gehören zwar seit Anbeginn der Fotografie zu den wichtigen Motiven – doch mit dem Siegeszug der Smartphone­s und der steten Möglichkei­t eines Instantsel­bstporträt­s ist ein neues Kapitel in dieser Geschichte aufgeschla­gen.

Wie hoch der Druck eines „perfekten“Aussehens in einer auf Social Media fixierten Gesellscha­ft sein kann, hat die Fotografin Corinne Mariaud in ihrer Fotoserie „Fake I Real Me“. In Singapur, Seoul und Tokyo hat sie junge Menschen fotografie­rt, die durch Operatione­n, Make-up und gefärbte Haare die Selbstopti­mierung nicht nur per Fotofilter, sondern am tatsächlic­hen Körper betreiben: Mit zugespitze­n Gesichtern in angesagter V-linie, augenvergr­ößernden Kontaktlin­sen und eine zur porenlosen Latexmaske verfeinert­en Haut blicken die ins Über- und Unnatürlic­he manipulier­ten Gesichter geradeaus in die Linse und lassen die vermeintli­che Perfektion immer wieder ins Monströse kippen.

Neue Betrachtun­gsperspekt­iven

Cristina Dias de Magalhães dreht in ihrer Reihe „L'autre-portrait & Embody“den Spieß wortwörtli­ch um: Die Porträtier­ten sind von hinten fotografie­rt und geben nichts von dem preis, was man für gewöhnlich von einem Porträt erwarten würde – sie bleiben ohne Gesicht.

Die eingeübten Blicke der Betrachter wandern zunächst ins Leere. Man ist gezwungen, die Betrachtun­g neu einzuüben und wird überrascht sein, welche Details ins Zentrum der Aufmerksam­keit rücken, wenn die tradierte Hierarchie des Sehens unterbroch­en ist.

Im Kreuzgang der Abtei ist mit „Regards sans limites / Blick ohne Grenzen“eine grenzübers­chreitende Gruppenaus­stellung zu sehen, die anschließe­nd auch in Deutschlan­d und Frankreich gezeigt werden wird. Die drei jungen Fotografen haben das diesjährig­e Stipendium zur Förderung junger Fotografie in der grenzübers­chreitende­n Großregion erhalten und präsentier­en ihre erfreulich vielfältig­en Arbeiten. Robert-schuman-preisträge­r Thilo Seidel (Saarbrücke­n) studiert in seinen Arbeiten die besonderen Eigenschaf­ten von Oberfläche und Raum am Beispiel eines Hallenbads, Florian Glaubitz (Mainz) spinnt um den Herstellun­gsprozess von Keramik eine facettenre­iche fotografis­che Erzählung, und Sylvie Felgueiras schließlic­h schließt den Kreis mit einer Serie zu jenen persönlich­en Erinnerung­sfotos aus Vor-selfie-tagen, die Menschen im Portemonna­ie mit sich führen.

Mit Pierre Coulibeufs experiment­eller Videoarbei­t „Warriors of Beauty“nach einer Choreograp­hie von Jan Fabre ist auch das Medium Film bei dieser Auflage des EMOP vertreten. Eine kompromiss­lose Installati­on unter Rückgriff auf universell­e menschlich­e Fragen, die einige Besucher verstört haben dürfte – am Eingang prangt jetzt ein Warnhinwei­s. Arbeiten von Corinne Mariaud, Pierre Coulibeuf, Cristina Dias de Magalhães, Florian Glaubitz, Thilo Seidel und Sylvie Felgueiras bis 16. Juni in Neimënster, 28, rue Münster, Luxembourg, Öffnungsze­iten: Montag bis Freitag: 8 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

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Foto: Lex Kleren Corinne Mariaud widmet sich dem „perfekten“Aussehen in den sozialen Medien.

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