Ein heißes Eisen
Sturz von Justin Jules bei der Skodatour de Luxembourg ist in den sozialen Medien ein großes Gesprächsthema
Rosport. Die Ankunft der ersten Etappe in Oberkerschen hatte ihre Spuren hinterlassen. Zum einen konnte Justin Jules am Freitag in Steinfort nicht mehr an den Start des zweiten Abschnitts gehen. Das war alles andere als eine Überraschung. „Jules muss sich schonen. Er wird deshalb passen. Es handelt sich um eine Vorsichtsmaßnahme“, teilte die Mannschaft Wallonie-bruxelles zwei Stunden vor dem Start mit.
Der Franzose hatte am Donnerstag Glück im Unglück: Er blieb von Knochenbrüchen verschont, was angesichts des spektakulären Sturzes schon fast an ein Wunder grenzte. An der Stirn und an der Backe musste er genäht werden, an den Beinen zog er sich Hämatome und eine tiefe Wunde zu.
Jules spurtete im Duell mit Christophe Laporte (F/cofidis) um den Tagessieg, dabei ging ihm auf der rechten Straßenseite plötzlich der Platz aus. Die Streckenbegrenzung kam immer näher, und als er am Fuß des Absperrgitters hängen blieb, krachte es heftig. Jules flog kopfüber in die Metallgitter.
Bruyneel ärgert sich in den sozialen Medien
In den sozialen Medien hagelte es umgehend Kommentare. Im Mittelpunkt der Kritik standen die Organisatoren beziehungsweise die Gestaltung der letzten Hektometer des Parcours. Auch die Benutzung der altehrwürdigen und nicht mehr zeitgemäßen Absperrgitter mit ihren abstehenden Füßen wurde heftigst bemängelt.
Mit anderen Absperrungen wäre der Sturz von Jules nicht passiert. So einfach ist das. Oliver Naesen
Christophe Brandt, der nicht ganz neutrale Sportliche Leiter von Jules, hatte wenig Verständnis: „Ich weiß nicht warum sich die Ankunft unbedingt dort befinden musste. Ich mag es nicht Veranstalter zu kritisieren. Aber wenn man weiß, dass die Chancen groß sind, dass es zu einem Massensprint kommt, dann bettelt man ja förmlich um Probleme, wenn man den Zielstrich auf solch einer engen Straße, kurz nach einer Kurve, im Anschluss an eine Abfahrt, zieht.
Heftiger war die Aussage des Klassikerspezialisten Oliver Naesen (B). Der Ag2r-profi meldete sich per Twitter: „Mit anderen Barrieren, wäre der Sturz von Jules nicht passiert. So einfach ist das. Das hätte in einem Disaster enden können.“Und der Belgier richtete einen Appell an die Gewerkschaft der professionellen Radfahrer: „Dies ist ein Fall für euch.“
Johan Bruyneel schießt traditionell schnell aus der Hüfte, wenn es darum geht, Kritik zu äußern: „Es ist wirklich unglaublich, dass solche Absperrgitter immer noch im Radsport erlaubt sind“, wunderte sich der ehemalige Teamchef von Lance Armstrong. „Wäre es nicht besser, mehr Anstrengungen, Ressourcen und Ernsthaftigkeit in die Sicherheit der Fahrer zu investieren, als sich lächerlich zu machen und Zeit zu vergeuden beim Messen der Länge der Socken der Fahrer?“, richtete er seine spöttische Frage an den Radsportweltverband?
Enrique Sanz, der die Skodatour de Luxembourg mit der Euskadi-mannschaft bestreitet, forderte ebenfalls „mehr Sicherheit. Morgen wieder die gleichen Gitter? Wie viel ist ein Menschenleben wert?“
Die Aufregung konnte Andy Schleck nicht aus dem Konzept bringen. Der Präsident der Luxemburg-rundfahrt blieb ganz gelassen. „Ich will nicht auf Pseudopolemiken in den sozialen Netzwerken eingehen. Das bringt gar nichts. Wir sind die Verantwortlichen. Wir haben uns die Situation vor Ort angesehen. Ich kann mit ruhigem Gewissen behaupten, dass alles in Ordnung war.“
Der 33-Jährige erklärte am Freitag vor dem Start, worauf es bei solcher einer Ankunft ankommt: „Es gibt Uci-normen, die genau vorgeben, wie breit die Straße auf den letzten Metern sein muss. Diese haben wir in Oberkerschen mehr als respektiert. Wir waren nicht einmal am Limit. Wenn man uns Vorwürfe macht, sind die in dem Fall unberechtigt.“
Die Absperrgitter sieht Schleck allerdings auch mit gemischten Gefühlen. „Es gibt bessere und weniger gefährlichere. Das stimmt. Wir benutzen aber ganz einfach die, die wir haben, beziehungsweise die, die wir zur Verfügung gestellt bekommen.“
Schleck stellt klar: „Radsport ist ein gefährlicher Sport“
Der Exprofi zeigt sich leicht verwundert. „Radsport ist ein gefährlicher Sport. Ein Sprint ist immer gefährlich. Wir spielen nicht Poker oder Schach. Hier ist Körperkontakt angesagt, zudem sind die Geschwindigkeiten hoch. Dass da Unfälle passieren, ist keine Seltenheit. Natürlich ist dies schade, aber im Radsport gibt es kein Nullrisiko-rennen. Man muss sich nur die Tour de France ansehen: Dort passieren solche Dinge auch – und zwar regelmäßig.“
Jules meldete sich am Donnerstagabend telefonisch bei Schleck. Der Franzose sah seinen Rivalen Laporte in der Verantwortung und im Fehler. Das kann der Tour-defrance-sieger von 2010 so nicht stehen lassen: „Ich habe mir den Sprint zusammen mit den Ucikommissaren angesehen, dies aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Es war ein regulärer Spurt. Dass Laporte den Ellenbogen ein wenig ausfährt, ist normal. Er macht das auch, um sich zu schützen. Laporte hat seine Linie gehalten. Jules hingegen hat eine Lücke gesucht, die nicht vorhanden war. Er hat den Sturz selber verursacht. Er ging das Risiko ein und hat leider einen teuren Preis dafür bezahlt.“
Auch am Freitag in Rosport wurde auf den letzten Metern gesprintet. Die Barrikaden waren die gleichen. Einen Sturz gab es nicht. Aufregung kam demnach keine auf. Alles demnach halb so wild?