Noch immer im Schatten
Die Situation der Frauen im Sport hat sich verbessert, doch die Chancen sind oft nicht gleich
Esch/alzette. Auch eine starke Frau wie Colette Flesch hat erfahren, wie ungerecht es zugehen kann. 1956, am Beginn ihrer Fechtkarriere, reiste sie nicht zu den Olympischen Spielen nach Melbourne (AUS), obwohl sie sich sportlich qualifiziert hatte. Der damalige Verbandspräsident hatte der jungen Sportlerin nahegelegt, zugunsten eines männlichen Kollegen auf die Teilnahme zu verzichten, weil für die Mannschaftswertung ein fünfter Fechter gebraucht wurde.
„Das könnte man sich heute nicht mehr vorstellen“, sagte Flesch, als sie die Episode beim Rundtischgespräch zum Thema „Frauen, Sport und Gleichstellung?“am Donnerstagabend im Rathaus in Esch/alzette erzählte.
Dass sich die Situation der Frauen im Luxemburger Sport seither verbessert hat, ist auch Pionierinnen wie Flesch zu verdanken. Als Fechterin trat die vielfache nationale Meisterin schließlich doch bei drei Olympischen Spielen an, 1960, 1964 und 1968. Als Vorsitzende der Frauenkommission im Luxemburger Olympischen Komitee COSL setzte sie sich für die Geschlechtsgenossinnen ein, als Dp-politikerin wirkte sie am gesellschaftlichen Wandel mit.
So konnte die aktuelle Mittelstrecken-rekordhalterin Charline Mathias ihrer Sportart Leichtathletik heutzutage „ziemlich große Chancengleichheit“attestieren. Und doch gibt es hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter im Sport noch sehr viel zu tun. Darin waren sich die Expertinnen und Experten in Esch einig. Frauen stehen noch immer im Schatten der Männer, erhalten weniger öffentliche Aufmerksamkeit, sind in Entscheidungsgremien unterrepräsentiert.
Frauenquote in Frankreich
„Nur fünf von rund 60 nationalen Sportverbänden werden von einer Frau geführt“, so Marie-paule Hoffmann vom COSL. Womöglich braucht es Anstöße aus der Politik. In Frankreich beispielsweise beziehe ein Gleichstellungsgesetz auch den Sport mitsamt einer Frauenquote in Entscheidungsgremien mit ein.
Norma Kemp-zambon ist als Präsidentin des Volleyballverbandes eine von den wenigen weiblichen Vorsitzenden – und dabei auch umgehend mit Vorurteilen konfrontiert worden. „Mich sprach ein Amtskollege an und fragte, ob das für mich in der Männerwelt nicht zu schwer sei“, sagte die mehrfache Titel- und Medaillengewinnerin im Beachvolleyball.
Claude Losch, als Präsident des Radsportvereins SAF Zessingen ein engagierter Förderer des Frauensports, fand es „furchtbar ungerecht“, dass die ehemalige Weltmeisterin Elsy Jacobs kämpfen musste, um überhaupt Rad fahren zu dürfen, und dass es in Luxemburg lange keine Radsportplattform nur für Frauen gab. „Wenn wir etwas an der Ungleichheit ändern wollen, müssen wir mehr investieren“, forderte der Initiator des Festivals Elsy Jacobs.
Die Diskussionsteilnehmer kritisierten, dass Sportlerinnen in der Presse unterrepräsentiert seien. Weniger Medienpräsenz bedeute weniger Sponsoren, so Hoffmann. Der Journalist Pierre Gricius berichtete, dass Frauen nicht immer aufgrund der Leistung, sondern oft eher durch außersportliche Neuigkeiten öffentliches Interesse erregen: „Das Foto der Marathonweltrekordlerin Paula Radcliffe mit ihrem Kind auf dem Arm ging um die Welt.“
Mathias bedauerte, dass Sportlerinnen oft nach ihrem Aussehen beurteilt würden, bei einem Lionel Messi aber niemand sage: „Er hat ein Tor erzielt, doch seine Frisur saß nicht gut.“Besonders deutlich ist die Diskriminierung im Beachvolleyball, in dem Frauen im knappen Bikini antreten müssen. Kempzambon weiß, dass das so mancher Athletin schwer fällt: „Viele fühlen sich damit nicht wohl.“