Widersprüchliche Signale aus Rom
Defizitverfahren: Regierungschef Conte ist kooperativ, Vizepremier Salvini setzt auf Konfrontation
Die Frist endet morgen Freitag, 24 Uhr: Bis dann muss die italienische Regierung der Eu-kommission darlegen, wie sie die Haushaltsvorgaben einhalten, das hohe Defizit reduzieren und damit ein Defizitverfahren seitens der EU verhindern will. Über den Brief an Kommissionspräsident Jean-claude Juncker wird in Rom seit Tagen heftig diskutiert und spekuliert – aber von einer gemeinsamen Linie scheint die Regierung 48 Stunden vor Ablauf der Frist weiter entfernt denn je.
Ministerpräsident Giuseppe Conte und Finanzminister Giovanni Tria, beide parteilos, wollen ein Defizitverfahren verhindern, da es „sehr schmerzhaft für Italien“werden könnte, wie Conte schon mehrfach betont hat. „Italien hat die Absicht, die europäischen Haushaltsregeln zu respektieren“, bekräftigte der Premier gestern nach einem Gespräch mit seinen beiden Vizepremiers Matteo Salvini von der Lega und Luigi Di Maio von der Fünf-sterne-bewegung. Mit welchen Maßnahmen Rom auf den Weg der Haushaltstugend zurückzukehren gedenkt, hat Conte bisher nicht verraten. Tria hat immerhin verlauten lassen, dass eine Steuersenkung auf Pump nicht in Frage komme.
Doch genau daran hält Salvini verbissen fest. Conte hatte gestern vor der Abgeordnetenkammer kaum ausgeredet, da hat der Innenminister auf Facebook bereits hinausposaunt, dass Italien „einen fiskalistischen Schock“benötige, wie ihn Us-präsident Donald Trump seinem Land verpasst habe. Die Haushaltsregeln der EU kümmern ihn wenig: „Einige der Direktiven wurden in Brüssel am grünen Tisch ausgedacht, um Berlin und Paris zu bevorteilen; alle anderen werden beschissen“, erklärte Salvini. Tags zuvor hatte der Lega-chef Tria bereits indirekt mit der Entlassung gedroht: „Wer in dieser Regierung Finanzminister sein will, muss die Steuern senken.“
Keine gemeinsame Linie
Wie sich die Regierung angesichts dieser Differenzen noch auf eine gemeinsame Linie gegenüber Brüssel einigen will, ist im Moment völlig schleierhaft. Mit Sicherheit hat Staatspräsident Sergio Mattarella, der Conte und Tria im Hintergrund seit Langem den Rücken zu stärken versucht, gestern bei einem gemeinsamen Mittagessen auf den rabiaten Innenminister eingeredet. Ob die Mahnungen des Staatspräsidenten gefruchtet haben, wird man spätestens dem Brief an die Eu-kommission entnehmen können.
Die Chancen stehen nicht besonders gut: Salvinis Koalitionspartner Di Maio argwöhnt, Salvini habe gar kein Interesse an einer Einigung und benütze den Haushaltsstreit mit Brüssel dazu, eine Regierungskrise und anschließende Neuwahlen zu provozieren, um
Einige der Direktiven wurden in Brüssel am grünen Tisch ausgedacht, um Berlin und Paris zu bevorteilen. Matteo Salvini
die reiche Ernte der Lega bei den Europawahlen auch auf nationaler Ebene einzufahren. Bei den Europawahlen hatte Salvinis Lega ihren Stimmenanteil auf 34 Prozent verdoppelt und die Fünf Sterne den ihren auf 17 Prozent halbiert. Die Schuldigen für einen Regierungssturz stünden bereits fest: Salvini würde wahlweise Conte, Tria, Juncker, Berlin oder Paris dafür verantwortlich machen. Oder auch alle zusammen.
Die italienische Staatsschuld hat im April einen neuen Rekordstand erreicht, wie die italienische Nationalbank in dieser Woche mitteilte – rund 133 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Erlaubt wären gemäß den Maastrichtverträgen der EU 60 Prozent.