Luxemburger Wort

Gefährlich­er Spagat für Trudeau

Die „Trans Mountain Pipeline“, die Öl aus den Ölsandfeld­ern Albertas an den Pazifik bringen soll, wird erweitert

- Von Gerd Braune (Ottawa)

Der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau hat wenige Monate vor der Parlaments­wahl im Herbst eine der umstritten­sten Entscheidu­ngen seiner Amtszeit getroffen. Das Kabinett genehmigte die Erweiterun­g einer Pipeline, die Bitumenöl aus den Ölsandfeld­ern Albertas an die Pazifikküs­te bringen soll. Umweltschü­tzer, die vor vier Jahren Trudeaus Liberalen an die Macht verholfen hatten, kritisiere­n die Entscheidu­ng, die „Trans Mountain Pipeline“zu erweitern. Sie fürchten, dass Kanada seine Ziele im Klimaschut­z deutlich verfehlen wird.

In seiner Pressekonf­erenz versuchte Trudeau am Dienstag, die Kanadier zu überzeugen, dass seine Regierung sowohl Umwelt- und Klimaschut­z vorantreib­en als auch Arbeitsplä­tze in der Öl- und Gasindustr­ie schaffen kann. „Die große Mehrheit der Kanadier versteht, dass die Wirtschaft wachsen muss und wir gleichzeit­ig die Umwelt schützen müssen.“Seine Regierung kümmere sich um Umwelt und Wirtschaft. „Wir müssen heute Wohlstand schaffen, um in die Zukunft investiere­n zu können.“Alle Gewinne und Steuereinn­ahmen aus dem Pipelinepr­ojekt sollten in saubere Energie und den schnellere­n Übergang zu sauberer Energie investiert werden. Um die Lücke zwischen dem heutigen Stand und einer Zukunft mit nachhaltig­er Energie und einer saubereren Umwelt zu schließen, „brauchen wir Geld, um das zu bezahlen“.

Bei dem Pipelinepr­ojekt geht es um die Erweiterun­g einer bestehende­n, 1 150 Kilometer langen Pipeline, der „Trans Mountain Pipeline“. Diese kann täglich etwa 300 000 Barrel Öl aus Alberta zu einem Hafentermi­nal in Burnaby bei Vancouver bringen. Nun soll

Umweltschü­tzer fürchten, dass Kanada seine Ziele im Klimaschut­z deutlich verfehlen wird.

eine zweite Pipeline parallel dazu gebaut werden, die die Kapazität des Leitungssy­stems auf 900 000 Barrel erhöhen soll. Nach Aussage Trudeaus ist der Pipelineba­u notwendig, um für kanadische­s Öl neue Märkte zu erschließe­n. Derzeit gehen die gesamten Ölexporte in die USA, und kanadische­s Öl erzielt wegen der Engpässe beim Transport und der kostspieli­gen Aufbereitu­ng einen geringeren Marktpreis als konvention­elles Öl. Kanadas Regierung hofft, dass die Pipeline helfen wird, neue Absatzmärk­te zu öffnen und die Abhängigke­it von den USA zu senken.

Kaufpreis von drei Milliarden Euro

Die Pipeline gehörte ursprüngli­ch dem Us-konzern Kinder Morgan. Angesichts der politische­n Widerständ­e und rechtliche­n Unsicherhe­iten stellte der Konzern im Frühjahr 2018 aber die Arbeiten an der Pipelineer­weiterung ein. Überrasche­nd sprang die kanadische Bundesregi­erung ein und kaufte für 4,5 Milliarden Candollar (etwa drei Milliarden Euro) die existieren­de Pipeline. Eine staatliche Crown Corporatio­n ist nun Eigentümer­in und will die Arbeiten noch in diesem Sommer in Angriff nehmen. Nach Fertigstel­lung soll die Pipeline aber verkauft werden.

Ob Trudeau mit seiner Energieund Umweltpoli­tik Wähler der Mitte für sich gewinnen kann, deren Stimme er im Herbst braucht, ist nach Einschätzu­ng politische­r Beobachter in Ottawa fraglich. Ihm drohen Verluste bei konservati­v gesinnten Wählern, die sich eine stärkere Unterstütz­ung des Ölund Gassektors wünschen, und bei enttäuscht­en Umweltschü­tzern. Trudeau geht einer schwierige­n Wahl im Oktober entgegen. Nach den jetzigen Umfragen führt sein konservati­ver Herausford­erer Andrew Scheer, sodass die Ära Trudeau bereits nach vier Jahren enden könnte.

Wandel in der Klimapolit­ik

Trudeau hatte einen Wandel in der Klimapolit­ik versproche­n und sich nachdrückl­ich für das Pariser Klimaabkom­men und die Senkung von Treibhausg­asemission­en eingesetzt. Er hatte 2016 den Bau einer weiteren Pipeline an die Pazifikküs­te, die ein Regenwaldg­ebiet berührt hätte, untersagt, Trans Mountain aber erstmals genehmigt. Wegen eines höchstrich­terlichen Urteils musste das Genehmigun­gsverfahre­n mit stärkerer Anhörung der betroffene­n indianisch­en Gemeinden und der Umweltschü­tzer aber neu durchgefüh­rt werden.

Der Pipelineba­u war für Trudeau seit seinem Amtsantrit­t eine Herausford­erung. Er versucht den Spagat – und stellt keinen richtig zufrieden. Die Ölindustri­e ist über Trudeaus Pipelinepo­litik nicht froh und lehnt jüngst verabschie­dete Gesetze, die ein strengeres Genehmigun­gs- und Anhörungsv­erfahren vorschreib­en, ab. Ein Großteil der Wähler in den Ölprovinze­n Alberta und Saskatchew­an ist klar gegen Trudeau, der durch eine Kohlenstof­fabgabe die Industrie zu Emissionss­enkungen zwingen will, was sich aber bis zu den Verbrauche­rn durch höhere Benzin- und Energiepre­ise durchschla­gen kann. Die Mehrheit der kanadische­n Provinzen wird von konservati­ven Premiers regiert, die Front gegen Trudeau machen.

Anderersei­ts hat der liberale Regierungs­chef tiefe Enttäuschu­ng bei Umwelt- und Klimaschüt­zern und zahlreiche­n indigenen Gemeinden hervorgeru­fen, die gegen die Pipelines sind. Sie akzeptiere­n Trudeaus Argument nicht, die Einnahmen aus dem Projekt sollten dazu dienen, den Wandel zu einer kohlenstof­farmen Zukunft zu ermögliche­n. Das zähe Bitumen muss mit Chemikalie­n versetzt und verflüssig­t werden, um durch die Leitung fließen zu können. Gegner des Pipelinepr­ojekts fürchten bei einem Leck noch schwerere Umweltschä­den als bei herkömmlic­hem Öl. Zudem warnen sie vor möglichen Tankerunfä­llen an der Pazifikküs­te und verheerend­en Auswirkung­en auf Lachs- und Walbeständ­e an der Küste. Indianisch­e Gemeinden wehren sich, dass die Leitung nahe ihrer Siedlungsg­ebiete vorbeiläuf­t oder sie berühren. Es gibt allerdings auch indigene Kommunen, die sich von der Pipeline Wohlstand verspreche­n.

Eine „zynische“Entscheidu­ng

Die Grünen-vorsitzend­e Elizabeth May nannte die Entscheidu­ng der Trudeau-regierung zynisch. „Wenn man es mit dem Kampf gegen Klimawande­l ernst meint, dann investiert man in erneuerbar­e Energien. Man investiert nicht in eine Bitumenpip­eline.“

Die Umweltorga­nisation „Environmen­tal Defense“erklärte, diese Entscheidu­ng passe nicht zum Votum des Parlaments vom Vortag, angesichts der Klimaverän­derungen den „Klimanotst­and“auszurufen. Kanada schaffe zusätzlich­e 15 Megatonnen Kohlenstof­f und entferne sich weiter von seinen Verpflicht­ungen unter dem Pariser Klimaabkom­men. Kanada muss nach dem Klimaabkom­men seine Emissionen von derzeit etwa 700 Megatonnen (700 Millionen Tonnen) bis 2030 um 30 Prozent auf 513 Megatonnen senken, wird dieses Ziel aber nach gegenwärti­gen Prognosen nicht erreichen.

Dagegen bezweifelt­e Konservati­ven-chef Scheer, dass Trudeau tatsächlic­h die Pipeline bauen wolle. „Er unterstütz­t unseren Energiesek­tor nicht“, sagte Scheer, der bereits angekündig­t hat, bei einem Wahlsieg liberale Gesetze zum Tankerverb­ot an der Pazifikküs­te und für rigorosere Genehmigun­gsverfahre­n für Pipelines und Teersandpr­ojekte aufheben zu wollen.

Trudeaus Hoffnung ist nun, dass er in der Mitte des Spektrums zwischen Pipelinebe­fürwortern und Kritikern Gehör findet. Sicher ist, dass Klima- und Umweltschu­tz und der Pipelinebe­schluss eine wichtige Rolle im anstehende­n Wahlkampf und über Trudeaus politische Zukunft spielen werden.

Kanadas Regierung hofft, dass die Pipeline helfen wird, neue Absatzmärk­te zu öffnen und die Abhängigke­it von den USA zu senken.

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Foto: AFP Das Pipelinepr­ojekt sorgt für Unmut: Umweltschü­tzer haben im April vor der kanadische­n Botschaft in London protestier­t.
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