Luxemburger Wort

Bilder als Warnung und Mahnung

Starfotogr­af Sebastião Salgado mit dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s ausgezeich­net

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Rio de Janeiro. Wie Ameisen kriechen die fast nackten Menschen aus dem riesigen Erdloch. Wo der Schlamm endet und der Mensch beginnt, ist kaum auszumache­n. 1986 hielt Sebastião Salgado in Bildern das Goldfieber in der Serra Pelada, dem „nackten Gebirge“, fest. Tausende Menschen hatten den Urwald auf der Suche nach Gold in eine Schlammlan­dschaft verwandelt. Und Salgado machte daraus ein modernes Epos. „Es war, als ob ich das Gold in der Seele dieser Menschen gehört hätte“, sagte er später.

Für sein Lebenswerk, das „eine Hommage an die Größe der Natur“sei, wurde Salgado nun der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s zugesproch­en. Eigentlich galt die Leidenscha­ft des 1944 im brasiliani­schen Teilstaat Minas Gerais geborene Salgado den Wirtschaft­swissensch­aften. Zu Zeiten der Militärdik­tatur emigrierte er 1969 nach Paris, von wo aus er für die Internatio­nale Kaffeeorga­nisation und die Weltbank rund um den Globus jettete.

Auf seinen Reisen durch Afrika begann er in den frühen Siebzigerj­ahren mit der Fotografie. Zuerst mit der Leica-kamera seiner Frau. Beide begleiten ihn noch heute auf seinen Wegen. Weltweit bekannt wurden seine Bilder des Attentats auf Us-präsident Ronald Reagan 1981. Ausgestatt­et mit dem neu gewonnenen Status und Geld als Fotojourna­list, begann er seine Abenteuerr­eisen.

Der Fokus seiner Leica-kamera lag dabei stets auf Menschen und Natur in extremen Situatione­n, meist am Rande des Verschwind­ens. So dokumentie­rte er die Armut Lateinamer­ikas und, in Zusammenar­beit mit der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen, die Hungerkata­strophe in Nordafrika.

Immer mehr driftete er dabei vom Fotojourna­lismus in Richtung der Dokumentat­ion einer in Auflösung befindlich­en Welt. Da war ein Projekt über das globale Phänomen der Landflucht. „Menschen fliehen vor Kriegen, um dem Tod zu entkommen, wandern aus auf der Suche nach einem besseren Glück, bauen sich neue Leben in fremden Ländern auf und passen sich extremen Situatione­n an“, schreibt er in seinem epischen Fotobuch „Exodus“(2000). Migranten und Indigene, Stadtmensc­hen und Bauern, sie sind für ihn Facetten eines großen Ganzen. „Ich fühle, jetzt mehr als jemals zuvor, dass es nur eine menschlich­e Rasse gibt. Klar, es gibt Unterschie­de von Hautfarbe, Sprachen, Kulturen und Chancen, aber die Gefühle der Menschen und die Antworten, die sie finden, sind ähnlich.“

Den Worten folgen Taten, mit seinen Fotos und seinem persönlich­en Engagement stellt sich Salgado in den Dienst von Hilfsorgan­isationen wie dem Flüchtling­shilfswerk UNHCR, dem Kinderhilf­swerk Unicef und der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Dafür wurde er weltweit mit Preisen für sein fotografis­ches und humanitäre­s Werk überschütt­et.

Nun kommt noch der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s dazu. Salgado sei „ein Bildkünstl­er, der mit seinen Fotografie­n soziale Gerechtigk­eit und Frieden fordert und der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschut­z Dringlichk­eit verleiht“, so der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s in seinem Statement zur Vergabe des Preises. Ganz bewusst wird auch Salgados Engagement für den Umweltschu­tz gewürdigt.

1998 gründete Salgado mit seiner Ehefrau Lélia Deluiz Wanick Salgado auf der Farm seiner Eltern in Minas Gerais das Institut „Terra“. Sein Traum: die vom Raubbau zerstörte Region wieder aufzuforst­en. Mehr als vier Millionen Bäume auf 7 000 Hektar hat „Terra“bereits gepflanzt. Langsam kommt die einstige Artenvielf­alt der als „Mata Atlântica“bekannten Region zurück. Vom Atlantisch­en Regenwald sind nur noch weniger als zehn Prozent in Brasilien erhalten.

Salgado ist zudem die treibende Kraft zur Rettung des Rio Doce. Der Fluss, der durch seine Heimat Minas Gerais fließt, war nach einer Schlammwel­le Ende 2015 über Hunderte Kilometer verseucht worden. Weltweit trommelt der Fotograf seitdem für Gelder, um Natur und die dort lebenden Menschen wieder in ihr natürliche­s Gleichgewi­cht zu bringen. Mit seinem Instituto Terra hat Salgado eine Einrichtun­g geschaffen, die einen direkten Beitrag zur Wiederbele­bung von Biodiversi­tät und Ökosysteme­n leistet. KNA

 ?? Foto: Getty Images ?? Die Schwarz-weiß-fotos des 75-jährigen Sebastião Salgado dokumentie­ren Menschen und Natur am Rande ihrer Existenz.
Foto: Getty Images Die Schwarz-weiß-fotos des 75-jährigen Sebastião Salgado dokumentie­ren Menschen und Natur am Rande ihrer Existenz.

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