Luxemburger Wort

Diagnose im Doppelpack

Die drei Jahre alten Zwillinge Lara und Lia leiden an einer seltenen Stoffwechs­elkrankhei­t

- Von Rosa Clemente

Bad Mondorf. Wahre Liebe erlebt, wer sein eigenes Kind zum ersten Mal in den Armen hält – da sind sich die Mütter und Väter dieser Welt einig. Und genau dieses Glück will auch ein junges Paar aus Bad Mondorf vor circa fünf Jahren finden. Doch für Elsa Bento und Luis Madeira ist der Weg dahin alles andere als leicht. Er beginnt zunächst im Jahr 2014 mit zwei Fehlgeburt­en, ein Albtraum für die damals 22-jährige Elsa Bento. Aber aufgeben will das junge Paar nicht, zu groß ist der Kinderwuns­ch.

Anfang 2015 dann die freudige Nachricht: Elsa ist wieder schwanger, und das gleich doppelt. „Es war ein wenig überrasche­nd, Zwillinge zu bekommen“, erinnert sich die heute 26-Jährige. Aufgrund der Probleme in der Vergangenh­eit hält sich Elsa Bento in den Monaten vor der Geburt besonders streng an die Vorschrift­en der Mediziner, achtet auf ihre Ernährung, besucht regelmäßig ihren Arzt und macht alle notwendige­n Tests.

Durch einen Kaiserschn­itt kommen am 21. Oktober 2015 die eineiigen Zwillinge Lara und Lia auf die Welt. Das Glück scheint vollkommen zu sein, doch die Freude der Familie ist nicht von langer Dauer. Bereits in den ersten Tagen merken die Eltern, dass mit ihren beiden Töchtern etwas nicht stimmt. „Lia und Lara schliefen rund um die Uhr, waren apathisch und tranken keine Muttermilc­h. Ihr Teint war grau und blass, sah alles andere als gesund aus“, beschreibt Elsa Bento den Zustand ihrer Töchter in den Tagen nach der Geburt: „Niemand konnte uns sagen, was ihnen fehlte.“

Trotz künstliche­r Ernährung verlieren die Zwillinge immer mehr an Gewicht, ihr Zustand verschlech­tert sich. Zahlreiche Untersuchu­ngen führen zu keinem Ergebnis. Die Mediziner tappen im Dunkeln. Die Eltern verzweifel­n. „Wir wussten nicht, ob unsere Töchter das überleben“, erklärt Vater Luis Madeira, „es war ein Wettlauf gegen die Zeit.“Nach elf Tagen in der Geburtskli­nik wird die junge Mutter entlassen, ihre beiden Kinder bleiben zurück. „Ich fühlte mich machtlos. Es war schrecklic­h, sie allein zu lassen, ohne zu wissen, woran sie leiden“, erinnert sich Elsa Bento an die schwere Trennung.

Wochen voller Ungewisshe­it

Der Kampf scheint aussichtsl­os, als die Ärzte plötzlich die Möglichkei­t einer Blutkrankh­eit ins Gespräch bringen. Sofort entscheide­n sie, die beiden Mädchen in die Uniklinik nach Homburg in Deutschlan­d verlegen zu lassen.

Kurz vor der Abreise der Familie dann aber die Wende: Den Eltern wird telefonisc­h mitgeteilt, dass die Zwillinge nun stattdesse­n in die Kannerklin­ik verlegt werden. „Die Panik war groß, wir fuhren sofort ins Krankenhau­s. Am Telefon hatte man uns nicht gesagt, wie es zu dieser Umentschei­dung kam“, erzählt Luis Madeira. Der zuständige Arzt klärt dann die Situation auf. „Uns wurde gesagt, dass in den Urinproben der Zwillinge ein viel zu hoher Säuregehal­t festgestel­lt wurde und es sich nun doch wahrschein­lich nicht um eine Blutkrankh­eit handelt. Was genau es ist, müsse in der Kinderklin­ik überprüft werden“, so der heute 28 Jahre alte Vater.

Die alles verändernd­e Diagnose

Lara und Lia werden mit dem Krankenwag­en in Brutkästen in die Kannerklin­ik gefahren, es folgen erneut zahlreiche Untersuchu­ngen. Eine genaue Diagnose steht zunächst noch nicht fest, aber: Als die Mädchen nach einer Woche zum ersten Mal Vitamin B 12 bekommen, ist es ein Volltreffe­r. Die Behandlung zeigt Wirkung.

Circa ein Monat nach der Geburt dann die Gewissheit: Die Zwillinge leiden an einer seltenen Stoffwechs­elkrankhei­t namens Methylmalo­nazidämie mit Homozystin­urie des Typus cblc – einem angeborene­n Defekt im Stoffwechs­el des Vitamins B 12. Die genetisch übertragen­e Krankheit ist so selten, dass weltweit nur etwa 500 Fälle bekannt sind. In Luxemburg sind neben einem Jungen, der unter einem anderen Typus dieser Krankheit leidet, nur die Zwillinge betroffen.

Führen kann die Erkrankung beispielsw­eise zu Wachstumss­törungen, Apathie, Krämpfen, Blässe, Magersucht und intellektu­ellen Defiziten. Es können aber auch schwere Hirnanomal­ien eintreten. „Unsere Töchter müssen nun ihr Leben lang Medizin zu sich nehmen, Im Leben teilen sich die Zwillinge Lara und Lia vieles: Vom rosafarben­en Zimmer bis zur gemeinsame­n seltenen Krankheit (oben).

Wir wussten nicht, ob unsere Töchter das überleben.“Luis Madeira, Vater der Zwillinge

bekommen täglich eine Spritze mit einer hoch-konzentrie­rten Dosis Vitamin B 12. Ansonsten könnten sie in nur kürzester Zeit erblinden, der überpropor­tionierte Säuregehal­t in ihrem Körper könnte die Nieren oder andere Organe zerstören“, erklärt Elsa Bento, und fügt sichtlich berührt hinzu: „Wir sind so dankbar, dass Lia und Lara den ersten Monat nach ihrer Geburt überhaupt überlebt haben. Es grenzt an ein Wunder.“

Ein Leben lang krank

Heute sind die beiden Zwillinge dreieinhal­b Jahre alt, besuchen eine Crèche und führen ein fast normales Leben. „Beim Laufen tun sie sich etwas schwer, sprechen können sie aber mittlerwei­le ganz gut. Wir fördern unsere Mädchen in jeder Alltagssit­uation“, erzählt Luis Madeira, der sich zusammen mit seiner Frau vor zwei Jahren selbststän­dig machte, um flexiblere Arbeitszei­ten zu haben. „Nur so können wir die Mädchen zu den vielen Arzttermin­en begleiten.“

Und der nächste wichtige Schritt steht auch schon bevor: Im September kommen Lia und Lara in den Kindergart­en. Für die Eltern heißt das Freude und Furcht zugleich: „Ich fürchte mich davor, dass meine Töchter während ihrer Schulzeit ausgegrenz­t werden und sich deswegen dann weigern werden, ihre Medizin zu nehmen. Das würde sie umbringen“, bangt Elsa Bento um die Zukunft ihrer beiden Töchter. „Die Angst, meine Kleinen zu verlieren, wird uns ein Leben lang begleiten“, fasst die junge Mutter zusammen.

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 ?? Fotos: Chris Karaba ?? Da die Mädchen täglich Medizin bekommen und regelmäßig zu Arzttermin­en müssen, haben die Eltern – Vater Luis Madeira und Mutter Elsa Bento – ihr Leben komplett umorganisi­ert (links).
Fotos: Chris Karaba Da die Mädchen täglich Medizin bekommen und regelmäßig zu Arzttermin­en müssen, haben die Eltern – Vater Luis Madeira und Mutter Elsa Bento – ihr Leben komplett umorganisi­ert (links).

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