Luxemburger Wort

Dem Schmerz auf der Spur

Forscher der Universitä­t Luxemburg untersuche­n die Sinneswahr­nehmung im Alter

- Von Jörg Tschürtz

Ein Zwicken in der Hüfte, ein Ziehen im Rücken, ein knirschend­es Knie: Je älter man wird, desto mehr wird der Körper anfällig für lästige Wehwehchen. Während die einen den Schmerz in stiller Unerschütt­erlichkeit über sich ergehen lassen, können die anderen über gar nichts anderes mehr reden – insbesonde­re, wenn das Leiden auch über Monate hinweg nicht nachlässt. Aber reagieren Senioren tatsächlic­h empfindlic­her auf Schmerz als junge Menschen? Mit dieser Frage beschäftig­en sich Forscher der Uni Luxemburg.

Konkret versuchen die Mitarbeite­r der Forschungs­einheit INSIDE, mittels Studien herauszufi­nden, wie ältere und jüngere Menschen Wärme oder Kälte auf der Haut wahrnehmen – und welche Prozesse sich dabei im Kopf abspielen. „Es gibt bisher wenige Erkenntnis­se darüber, wie sich Schmerzemp­findung im Alter verändert“, erklärt Marian van der Meulen, Studienlei­terin und Neuropsych­ologin am Institute for Health and Behaviour der Universitä­t. Dabei betreffe die altersbedi­ngte Rückbildun­g des Gehirns, die Atrophie, genau jene Kopfareale, die bei der Schmerzemp­findung eine Rolle spielen.

Teilnehmer der Studie bekommen verschiede­ne Gedächtnis­aufgaben gestellt, während eine sogenannte Thermode an ihrem Unterarm befestigt ist. Über diese kleine Metallplat­te verabreich­en die Tester den Probanden unterschie­dlich starke Hitzereize. „Das kann schon ziemlich weh tun“, gesteht van der Meulen. Im Labor werde aber niemand gefoltert. Über ein Knöpfchen signalisie­ren die Teilnehmer, sobald sie einen Reiz als schmerzhaf­t empfinden. Für jeden Probanden werde zudem eine individuel­le Schmerzgre­nze ermittelt.

Den Schmerz sichtbar machen

Richtig spannend wird es, sobald der Magnetreso­nanztomogr­af (MRT) die ersten Bilder produziert, sogenannte funktionel­le Mrt-aufnahmen. Die Zithaklini­k in der Hauptstadt hat den Forschern das Gerät für die Durchführu­ng der Studie zugänglich gemacht. „Dank des MRT erhalten wir einen detailreic­hen Schnappsch­uss vom Gehirn des Probanden. Auf den Bildern sehen wir, welche Aktivitäte­n im Gehirn in Gang gesetzt werden, sobald der Teilnehmer Hitze auf der Haut spürt.“Damit gelingt es, den subjektive­n Schmerz einer Person schon bei der Entstehung im Gehirn bildlich darzustell­en – und somit objektiv zu messen.

In den Tests zeigte sich folgende Auffälligk­eit: Waren die Probanden abgelenkt – zum Beispiel durch eine Gedächtnis­aufgabe – wurde bei Auslösung des Schmerzrei­zes weniger Aktivität in den betroffene­n Hirnregion­en der Probanden gemessen. Man kennt das Prinzip vom Hausdoktor: Bevor die Nadel in den Arm gestochen wird, wird der Patient mit einem Gespräch oder einer Aktivität abgelenkt – und schon tut der Stich weniger weh. Allerdings lassen sich Menschen im Rentenalte­r offenbar schwerer von Schmerz ablenken als jüngere, sagt van der Meulen.

„Unsere Theorie ist es, dass psychologi­sche Reize oder Ablenkunge­n vom Präfrontal­kortex – der Region im Gehirn, die für höhere Aufgaben zuständig ist – bei älteren Menschen anders verarbeite­t werden.“Daraus könnte man schließen, dass psychologi­sche Maßnahmen bei älteren schmerzlei­denden Patienten womöglich weniger wirken. Die Studienlei­terin will aber nicht spekuliere­n: „Wir betreiben Grundlagen­forschung und entwickeln selbst keine Schmerzthe­rapien. Wir wollen das Problem besser verstehen, ehe wir über mögliche praktische Auswirkung­en reden.“Schmerzlei­den in der Generation 60 plus würden jedoch häufig unzureiche­nd diagnostiz­iert oder therapiert, sagt die Wissenscha­ftlerin – besonders bei Menschen mit Demenz oder anderen kognitiven Störungen sei dies ein großes Problem.

Das Interesse des Forscherte­ams um Marian van der Meulen richtet sich primär darauf, wie psychologi­sche Faktoren – Emotionen, Erwartunge­n oder Erinnerung­en – die Schmerzrea­ktionen im Gehirn beeinfluss­en. Dabei geht es auch um die Kraft der Gedanken und den berühmten Placeboeff­ekt. Darüber hinaus spielt das „Schmerzged­ächtnis“eine Rolle: Eine Frau, die ihr zweites Kind zur Welt bringt, wird die Schmerzen anders empfinden als bei der ersten Geburt. Bei den Tests an der Uni Luxemburg wurde festgestel­lt, dass die Schmerzsch­welle bei älteren Menschen leicht höher liegt, aber dafür ihre Schmerztol­eranz sinkt. Das heißt, dass sie Kälte oder Hitze nicht mehr so schnell als schmerzhaf­t empfinden. Mit dem Alter scheint also eine gewisse Abgebrühth­eit im Umgang mit körperlich­en Leiden einzusetze­n. Allerdings wird der Geduldsfad­en mit der Zeit immer kürzer.

Ältere Menschen nehmen Schmerz anders wahr.

Für die Studie der Uni Luxemburg über Schmerzwah­rnehmung werden noch gesunde ältere Teilnehmer (60+) gesucht. Mehr Infos unter https://insideblog.uni.lu/brainstudy_de und per E-mail an brainstudy@uni.lu.

 ?? Foto: Claude Piscitelli ?? Achtung, heiß! Studienlei­terin Marian van der Meulen (r.) und Kollegin Angelika Dierolf im „Schmerzlab­or“der Universitä­t.
Foto: Claude Piscitelli Achtung, heiß! Studienlei­terin Marian van der Meulen (r.) und Kollegin Angelika Dierolf im „Schmerzlab­or“der Universitä­t.
 ?? Foto: Marian van der Meulen ?? Mithilfe der funktionel­len MRT können Forscher die Aktivitäte­n des Gehirns bildlich darstellen.
Foto: Marian van der Meulen Mithilfe der funktionel­len MRT können Forscher die Aktivitäte­n des Gehirns bildlich darstellen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg