Dem Schmerz auf der Spur
Forscher der Universität Luxemburg untersuchen die Sinneswahrnehmung im Alter
Ein Zwicken in der Hüfte, ein Ziehen im Rücken, ein knirschendes Knie: Je älter man wird, desto mehr wird der Körper anfällig für lästige Wehwehchen. Während die einen den Schmerz in stiller Unerschütterlichkeit über sich ergehen lassen, können die anderen über gar nichts anderes mehr reden – insbesondere, wenn das Leiden auch über Monate hinweg nicht nachlässt. Aber reagieren Senioren tatsächlich empfindlicher auf Schmerz als junge Menschen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Forscher der Uni Luxemburg.
Konkret versuchen die Mitarbeiter der Forschungseinheit INSIDE, mittels Studien herauszufinden, wie ältere und jüngere Menschen Wärme oder Kälte auf der Haut wahrnehmen – und welche Prozesse sich dabei im Kopf abspielen. „Es gibt bisher wenige Erkenntnisse darüber, wie sich Schmerzempfindung im Alter verändert“, erklärt Marian van der Meulen, Studienleiterin und Neuropsychologin am Institute for Health and Behaviour der Universität. Dabei betreffe die altersbedingte Rückbildung des Gehirns, die Atrophie, genau jene Kopfareale, die bei der Schmerzempfindung eine Rolle spielen.
Teilnehmer der Studie bekommen verschiedene Gedächtnisaufgaben gestellt, während eine sogenannte Thermode an ihrem Unterarm befestigt ist. Über diese kleine Metallplatte verabreichen die Tester den Probanden unterschiedlich starke Hitzereize. „Das kann schon ziemlich weh tun“, gesteht van der Meulen. Im Labor werde aber niemand gefoltert. Über ein Knöpfchen signalisieren die Teilnehmer, sobald sie einen Reiz als schmerzhaft empfinden. Für jeden Probanden werde zudem eine individuelle Schmerzgrenze ermittelt.
Den Schmerz sichtbar machen
Richtig spannend wird es, sobald der Magnetresonanztomograf (MRT) die ersten Bilder produziert, sogenannte funktionelle Mrt-aufnahmen. Die Zithaklinik in der Hauptstadt hat den Forschern das Gerät für die Durchführung der Studie zugänglich gemacht. „Dank des MRT erhalten wir einen detailreichen Schnappschuss vom Gehirn des Probanden. Auf den Bildern sehen wir, welche Aktivitäten im Gehirn in Gang gesetzt werden, sobald der Teilnehmer Hitze auf der Haut spürt.“Damit gelingt es, den subjektiven Schmerz einer Person schon bei der Entstehung im Gehirn bildlich darzustellen – und somit objektiv zu messen.
In den Tests zeigte sich folgende Auffälligkeit: Waren die Probanden abgelenkt – zum Beispiel durch eine Gedächtnisaufgabe – wurde bei Auslösung des Schmerzreizes weniger Aktivität in den betroffenen Hirnregionen der Probanden gemessen. Man kennt das Prinzip vom Hausdoktor: Bevor die Nadel in den Arm gestochen wird, wird der Patient mit einem Gespräch oder einer Aktivität abgelenkt – und schon tut der Stich weniger weh. Allerdings lassen sich Menschen im Rentenalter offenbar schwerer von Schmerz ablenken als jüngere, sagt van der Meulen.
„Unsere Theorie ist es, dass psychologische Reize oder Ablenkungen vom Präfrontalkortex – der Region im Gehirn, die für höhere Aufgaben zuständig ist – bei älteren Menschen anders verarbeitet werden.“Daraus könnte man schließen, dass psychologische Maßnahmen bei älteren schmerzleidenden Patienten womöglich weniger wirken. Die Studienleiterin will aber nicht spekulieren: „Wir betreiben Grundlagenforschung und entwickeln selbst keine Schmerztherapien. Wir wollen das Problem besser verstehen, ehe wir über mögliche praktische Auswirkungen reden.“Schmerzleiden in der Generation 60 plus würden jedoch häufig unzureichend diagnostiziert oder therapiert, sagt die Wissenschaftlerin – besonders bei Menschen mit Demenz oder anderen kognitiven Störungen sei dies ein großes Problem.
Das Interesse des Forscherteams um Marian van der Meulen richtet sich primär darauf, wie psychologische Faktoren – Emotionen, Erwartungen oder Erinnerungen – die Schmerzreaktionen im Gehirn beeinflussen. Dabei geht es auch um die Kraft der Gedanken und den berühmten Placeboeffekt. Darüber hinaus spielt das „Schmerzgedächtnis“eine Rolle: Eine Frau, die ihr zweites Kind zur Welt bringt, wird die Schmerzen anders empfinden als bei der ersten Geburt. Bei den Tests an der Uni Luxemburg wurde festgestellt, dass die Schmerzschwelle bei älteren Menschen leicht höher liegt, aber dafür ihre Schmerztoleranz sinkt. Das heißt, dass sie Kälte oder Hitze nicht mehr so schnell als schmerzhaft empfinden. Mit dem Alter scheint also eine gewisse Abgebrühtheit im Umgang mit körperlichen Leiden einzusetzen. Allerdings wird der Geduldsfaden mit der Zeit immer kürzer.
Ältere Menschen nehmen Schmerz anders wahr.
Für die Studie der Uni Luxemburg über Schmerzwahrnehmung werden noch gesunde ältere Teilnehmer (60+) gesucht. Mehr Infos unter https://insideblog.uni.lu/brainstudy_de und per E-mail an brainstudy@uni.lu.