„Und die EU schweigt“
Weltflüchtlingstag: Luxemburger Flüchtlingsrat wiederholt seine Forderungen an die europäischen Regierungen
Ein Flüchtlingszelt auf der Place Clairefontaine. Kaum dringt die Sonne zwischen den Wolken durch, wird es unerträglich heiß unter der weißen Plane. Hier hält der Luxemburger Flüchtlingsrat (LFR) am Weltflüchtlingstag eine Pressekonferenz ab, um auf die weltweite Flüchtlingslage aufmerksam zu machen.
2018 waren 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind fast fünf Millionen mehr als 2016. Die wichtigsten Aufnahmeländer sind die Türkei mit 3,7 Millionen Flüchtlingen, Pakistan (1,4 Millionen), Uganda (1,2 Millionen), Sudan (1,1 Millionen) und Deutschland mit 1,1 Millionen. Die Zahlen zeigen: Es sind die ärmsten Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen. „Die reichen Länder nehmen im Schnitt 2,7 Flüchtlinge pro 1 000 Einwohner auf, die armen Länder im Schnitt 5,8 Flüchtlinge“, sagte Nénad Dubajic vom Centre d'étude et de formation interculturelles et sociales (Cefis).
In Luxemburg wurden vergangenes Jahr 3 694 Erstantragsteller pro Million Einwohner registriert. Damit liegt Luxemburg hinter Zypern (8 805), Griechenland (6 051) und Malta (4 276) an vierter Stelle der europäischen Länder mit den meisten Asylanträgen. Europäische Abschottungspolitik Insgesamt haben 2018 in Europa 580 800 Personen einen Erstantrag auf Asyl gestellt, elf Prozent weniger als im Vorjahr. Für die Mitglieder des Flüchtlingsrats ist das keine gute Nachricht, denn der Rückgang ist nicht auf den Umstand zurückzuführen, dass sich die Lage in der Welt verbessert hätte, sondern weil Europa mit Libyen und der Türkei Abkommen ausgehandelt hat und sie finanziell unterstützt, damit die Flüchtlinge nicht nach Europa gelangen, wohl wissend, dass die Vertriebenen dort unter unwürdigen Bedingungen leben müssen.
„In Libyen gibt es bewiesene Fälle von Folter und Sklaverei“, sagte Frank Wies von Amnesty Luxemburg. „Die europäischen Institutionen und die europäischen Regierungen wissen um diese Umstände, dennoch tut die EU so, als ob Libyen ein geeigneter Partner sei, um die so genannte Flüchtlingswelle einzudämmen. Diese Zusammenarbeit muss aufhören, solange die Menschenrechtssituation in Libyen die ist, die sie ist“, so Frank Wies.
Italien hat sogar ein Dekret erlassen, das Menschen bestraft, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten und an die italienische Küste bringen. „Und die EU schweigt zu all dem“, so Wies, „aber vielleicht ist sie auch einfach nur zu sehr damit beschäftigt, die machtvollen Eu-posten zu besetzen“.
Der Flüchtlingsrat bemängelt auch, dass es mit der Reform des Dublin-abkommens nicht vorangeht. Das aktuelle System, das die Länder an den europäischen Außengrenzen stark belastet, sei zutiefst ungerecht. Zudem greife das System nicht mehr. Wegen der unmenschlichen Bedingungen beziehungsweise der flüchtlingsfeindlichen Politik schickt Luxemburg keine Asylbewerber mehr nach Griechenland und Ungarn zurück. Rückführungen nach Italien aber sind immer noch möglich und werden von Fall zu Fall entschieden, weil die Bedingungen dort als weniger schlimm erachtet werden. Der Flüchtlingsrat fordert ein gerechteres und menschlicheres Verteilungssystem und möchte, dass die Rückführungen nach Italien gestoppt werden. Luxemburg macht viel zur Integration von Flüchtlingen, kann aber noch mehr machen, findet der Flüchtlingsrat. Der Ende 2017 geschaffene Parcours intégration accompagné (PIA) sei ins Stocken geraten und „wir wissen nicht, wie es damit weitergeht“, so Paul Estgen von Reech eng Hand. Die Frist zur Einreichung von Hilfsprojekten im Rahmen des Plan national d'intégration sei zu kurzfristig gewesen, sagte Estgen. „Und die vorgeschriebene maximale Laufzeit der Projekte von vier Monaten entspricht nicht unserer Praxis.“Was fehle, sei ein klarer gesetzlicher Rahmen für Organisationen, die mit Projekten in der Flüchtlingshilfe aktiv werden wollen.
Ein großes Problem für die gesamte Luxemburger Gesellschaft und speziell für anerkannte Flüchtlingsfamilien ist die Suche nach einer Wohnung. 50 Prozent der Menschen in den Flüchtlingsheimen sind anerkannte Flüchtlinge, die weiter dort leben müssen, weil es an geeigneten Wohnungen fehlt. Der Flüchtlingsrat fordert zudem, dass Asylbewerbern der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Beschäftigungs- und Ausbildungsmaßnahmen erleichtert wird.
Ein weiterer Punkt sind die Structures d'hébergement d'urgence (SHUK), die 2017 in den Messehallen in Kirchberg eingerichtet wurden und durch eine halb offene Einrichtung ersetzt werden sollten. Der Flüchtlingsrat fordert die Regierung auf, ihr Versprechen einer menschenwürdigeren Unterbringung von abgelehnten Asylbewerbern einzulösen.