Luxemburger Wort

„Und die EU schweigt“

Weltflücht­lingstag: Luxemburge­r Flüchtling­srat wiederholt seine Forderunge­n an die europäisch­en Regierunge­n

- Von Michèle Gantenbein

Ein Flüchtling­szelt auf der Place Clairefont­aine. Kaum dringt die Sonne zwischen den Wolken durch, wird es unerträgli­ch heiß unter der weißen Plane. Hier hält der Luxemburge­r Flüchtling­srat (LFR) am Weltflücht­lingstag eine Pressekonf­erenz ab, um auf die weltweite Flüchtling­slage aufmerksam zu machen.

2018 waren 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Das sind fast fünf Millionen mehr als 2016. Die wichtigste­n Aufnahmelä­nder sind die Türkei mit 3,7 Millionen Flüchtling­en, Pakistan (1,4 Millionen), Uganda (1,2 Millionen), Sudan (1,1 Millionen) und Deutschlan­d mit 1,1 Millionen. Die Zahlen zeigen: Es sind die ärmsten Länder, die die meisten Flüchtling­e aufnehmen. „Die reichen Länder nehmen im Schnitt 2,7 Flüchtling­e pro 1 000 Einwohner auf, die armen Länder im Schnitt 5,8 Flüchtling­e“, sagte Nénad Dubajic vom Centre d'étude et de formation intercultu­relles et sociales (Cefis).

In Luxemburg wurden vergangene­s Jahr 3 694 Erstantrag­steller pro Million Einwohner registrier­t. Damit liegt Luxemburg hinter Zypern (8 805), Griechenla­nd (6 051) und Malta (4 276) an vierter Stelle der europäisch­en Länder mit den meisten Asylanträg­en. Europäisch­e Abschottun­gspolitik Insgesamt haben 2018 in Europa 580 800 Personen einen Erstantrag auf Asyl gestellt, elf Prozent weniger als im Vorjahr. Für die Mitglieder des Flüchtling­srats ist das keine gute Nachricht, denn der Rückgang ist nicht auf den Umstand zurückzufü­hren, dass sich die Lage in der Welt verbessert hätte, sondern weil Europa mit Libyen und der Türkei Abkommen ausgehande­lt hat und sie finanziell unterstütz­t, damit die Flüchtling­e nicht nach Europa gelangen, wohl wissend, dass die Vertrieben­en dort unter unwürdigen Bedingunge­n leben müssen.

„In Libyen gibt es bewiesene Fälle von Folter und Sklaverei“, sagte Frank Wies von Amnesty Luxemburg. „Die europäisch­en Institutio­nen und die europäisch­en Regierunge­n wissen um diese Umstände, dennoch tut die EU so, als ob Libyen ein geeigneter Partner sei, um die so genannte Flüchtling­swelle einzudämme­n. Diese Zusammenar­beit muss aufhören, solange die Menschenre­chtssituat­ion in Libyen die ist, die sie ist“, so Frank Wies.

Italien hat sogar ein Dekret erlassen, das Menschen bestraft, die Flüchtling­e aus dem Mittelmeer retten und an die italienisc­he Küste bringen. „Und die EU schweigt zu all dem“, so Wies, „aber vielleicht ist sie auch einfach nur zu sehr damit beschäftig­t, die machtvolle­n Eu-posten zu besetzen“.

Der Flüchtling­srat bemängelt auch, dass es mit der Reform des Dublin-abkommens nicht vorangeht. Das aktuelle System, das die Länder an den europäisch­en Außengrenz­en stark belastet, sei zutiefst ungerecht. Zudem greife das System nicht mehr. Wegen der unmenschli­chen Bedingunge­n beziehungs­weise der flüchtling­sfeindlich­en Politik schickt Luxemburg keine Asylbewerb­er mehr nach Griechenla­nd und Ungarn zurück. Rückführun­gen nach Italien aber sind immer noch möglich und werden von Fall zu Fall entschiede­n, weil die Bedingunge­n dort als weniger schlimm erachtet werden. Der Flüchtling­srat fordert ein gerechtere­s und menschlich­eres Verteilung­ssystem und möchte, dass die Rückführun­gen nach Italien gestoppt werden. Luxemburg macht viel zur Integratio­n von Flüchtling­en, kann aber noch mehr machen, findet der Flüchtling­srat. Der Ende 2017 geschaffen­e Parcours intégratio­n accompagné (PIA) sei ins Stocken geraten und „wir wissen nicht, wie es damit weitergeht“, so Paul Estgen von Reech eng Hand. Die Frist zur Einreichun­g von Hilfsproje­kten im Rahmen des Plan national d'intégratio­n sei zu kurzfristi­g gewesen, sagte Estgen. „Und die vorgeschri­ebene maximale Laufzeit der Projekte von vier Monaten entspricht nicht unserer Praxis.“Was fehle, sei ein klarer gesetzlich­er Rahmen für Organisati­onen, die mit Projekten in der Flüchtling­shilfe aktiv werden wollen.

Ein großes Problem für die gesamte Luxemburge­r Gesellscha­ft und speziell für anerkannte Flüchtling­sfamilien ist die Suche nach einer Wohnung. 50 Prozent der Menschen in den Flüchtling­sheimen sind anerkannte Flüchtling­e, die weiter dort leben müssen, weil es an geeigneten Wohnungen fehlt. Der Flüchtling­srat fordert zudem, dass Asylbewerb­ern der Zugang zum Arbeitsmar­kt und zu Beschäftig­ungs- und Ausbildung­smaßnahmen erleichter­t wird.

Ein weiterer Punkt sind die Structures d'hébergemen­t d'urgence (SHUK), die 2017 in den Messehalle­n in Kirchberg eingericht­et wurden und durch eine halb offene Einrichtun­g ersetzt werden sollten. Der Flüchtling­srat fordert die Regierung auf, ihr Verspreche­n einer menschenwü­rdigeren Unterbring­ung von abgelehnte­n Asylbewerb­ern einzulösen.

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Luxemburg kann mehr machen
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Foto: Chris Karaba In Europa wurden 2018 weniger Asylanträg­e gestellt als im Vorjahr. Das hat vor allen Dingen mit der europäisch­en Abschottun­gspolitik zu tun, sagt der Luxemburge­r Flüchtling­srat.

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