Voran in die Vergangenheit
Madrids neuer Bürgermeister José Luis Martínez-almeida plant die Verkehrswende: freie Fahrt für Autos in der Innenstadt
José Luis Martínez-almeida hat etwas übrig für objektive Daten. „Wir haben die Daten der Luftverschmutzung“, sagte der frisch gewählte Madrider Bürgermeister am Montag. „Die objektiven Daten sind, dass es im ersten Quartal 2019 die schlechtesten Daten des Durchschnitts der vorangegangenen acht Jahre gegeben hat, und daher sind das Daten, die absolut objektiv sind.“
So spricht der neue Mann an der Spitze des Madrider Rathauses, 44 Jahre alt und ein Konservativer. Er hat gerade seine linke Vorgängerin Manuela Carmena beerbt, und weil sie eine Linke ist, muss ihre Politik wohl schlecht gewesen sein. Vor allem ihre Verkehrspolitik. Mit der will Martínez-almeida ganz schnell wieder Schluss machen.
Seit Dezember vergangenen Jahres darf die Innenstadt von Madrid, außer von Anwohnern, nur noch ausnahmsweise mit dem Auto befahren werden. Das Projekt unter dem Namen „Madrid Central“war ein voller Erfolg: Der Autoverkehr im Zentrum nahm, wie zu erwarten war, spürbar ab, ohne in den benachbarten Vierteln zuzunehmen – wie manche befürchtet hatten. Stattdessen stiegen viele Leute auf Busse oder Metro um. Und das schlug schließlich auf die Luftqualität durch, auch wenn sich das noch nicht bis zum neuen Bürgermeister herumgesprochen hat. Wahr ist, dass die Belastung mit Stickoxiden im gesamten Stadtgebiet in den ersten drei Monaten über den Durchschnittswerten der acht Vorjahre lag. Das hing vor allem am Wetter: Es hat in diesem Jahr bisher so gut wie nicht geregnet. In der Innenstadt aber, dort wo „Madrid Central“in Kraft getreten war, ging die Stickoxidbelastung trotz ausbleibendem Regen zurück. Und in den beiden folgenden Monaten sank sie auch im Rest der Stadt so weit, dass die Umweltschutzorganisation „Ecologistas en Acción“Anfang Juni begeistert vermeldete: „Madrid reduziert seine Verschmutzung im Mai auf historisch niedrige Werte“.
Egal: „Madrid Central ist gescheitert“, sagt Bürgermeister Almeida. Er sagte das schon im Januar, als es noch gar keine Daten über die Auswirkungen der innerstädtischen Zufahrtsbeschränkungen gab. Jetzt, als Bürgermeister, will er wieder freie Fahrt in die Innenstadt erlauben. Am 1. Juli sollen die Kameras ausgeschaltet werden, die die Zufahrt ins Zentrum kontrollieren. Unter den wachsamen Augen der EU Ganz so wie früher wird es wohl trotzdem nicht werden. Die Vorgängerin Carmena ließ nämlich die zentrale Ost-west-achse durch die Innenstadt, den Prachtboulevard Gran Vía, von sechs auf vier Fahrspuren zurückbauen. Wenn es schlimm kommt, wird Almeidas Verkehrswende vor allem Staus und Frust verursachen. Vielleicht aber haben sich die Madrider schon derart auf die gültigen Beschränkungen eingestellt, dass sie dem Zentrum auch fernbleiben, wenn sie eigentlich wieder hineinfahren dürften. Aus der Ferne wird Brüssel darüber wachen, was sich in Madrid tut. Einem Strafverfahren wegen Überschreitung der Eugrenzwerte für Stickoxide entging Spanien im vergangenen Jahr allein wegen der geplanten Einführung von „Madrid Central“.