Luxemburger Wort

„Alles ist wieder gut“

Zum 17. Mal steht Wladimir Putin den russischen Zuschauern in der Fernsehsen­dung „Direkter Draht“Rede und Antwort

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Bei seiner diesjährig­en Tv-show „direkter Draht“versuchte Wladimir Putin, die Sorgen seiner Bürger mit optimistis­chen Zahlen zu beruhigen. Gleich zu Beginn lasen die Moderatore­n im Studio kritische Bürgerfrag­en vor. Etwa eine Frage aus einer provinziel­len Industries­tadt: „In unseren Fabriken gibt es keine Arbeit. Die Jugend läuft weg oder fängt an zu saufen.“Und ein Feuerwehrm­ann aus Kaliningra­d erkundigte sich per Video, wann die Gehälter von 12 000 bis 13 000 Rubel (umgerechne­t knapp 180 Euro) für die Mannschaft seines Löschzuges erhöht würden. „Mit diesem Geld kann man nicht überleben.“

Putin verbreitet Optimismus

Gestern stellte sich Wladimir Putin zum 17. Mal in seiner Tv-show „Direkter Draht“den Fragen des russischen Volkes. Längst ein Ritual, das aber dieses Jahr von wirtschaft­lichen Problemen und von einigen Protesten überschatt­et wurde. Wladimir Putin beschäftig­te sich ausführlic­h mit den sozialen und finanziell­en Sorgen seiner Mitbürger, mit etwas faltenreic­herem Gesicht als in den Vorjahren, aber mit der üblichen Gelassenhe­it. Die Proteste ignorierte er eher.

Dem Feuerwehrm­ann erklärte Putin erst detaillier­t, Rettungskr­äfte mit militärisc­hem Rang verdienten schon jetzt 43 000 Rubel (umgerechne­t 600 Euro). Aber man habe schon beschlosse­n, dem Katastroph­enschutz über hundert Millionen Euro zu überweisen, um auch das Gehalt der zivilen Feuerwehrl­eute auf 32 000 Rubel (knapp 450 Euro) zu heben. Russlands Wirtschaft­swachstum klemmt, im ersten Quartal 2019 lag es bei 0,5 Prozent. Die Realeinkom­men aber schrumpfte­n um 2,3 Prozent. Laut staatliche­m Statistika­mt können sich 48,2 Prozent der russischen Familien nur noch Nahrung und Kleidung leisten. Putin konterte seinerseit­s mit Zahlen, um Optimismus zu verbreiten. Das Realeinkom­men leide auch unter den hohen Kreditzins­en, die die Bürger begleichen müssten, die Gehälter aber wüchsen. Alle Branchen zeigten so eine Tendenz, so Putin: „Die Löhne sind vergangene­s Jahr um acht Prozent gestiegen.“

Man werde die Renten 2019 um 7,4 Prozent steigern. Und 44 Millionen Menschen hätten schon von der Erhöhung des Minimalloh­nes profitiert.

Auch was den Mangel von Fachärzten, das Fehlen kostenlose­r Diabetes-medikament­e oder die Bekämpfung der Korruption angeht, lautete Wladimir Putins Botschaft: Es gibt Probleme, aber ihre Lösung ist schon im vollen Gange. Der Präsident wiederholt­e, was er seit Jahren verkündet: Russland müsse im Rahmen der sogenannte­n „Nationalpr­ojekte“den Durchbruch zur voll digitalisi­erten Hightech-wirtschaft schaffen. Es gehe nicht um jenen nebelhafte­n Kommunismu­s, den man in der Sowjetunio­n jeder Generation zu ihren Lebzeiten versproche­n hätte. „Die Menschen müssen die Ergebnisse jetzt, dieses und nächstes Jahr spüren.“

Der „Direkte Draht“ist ein patriarcha­lisches Ritual. Er zeigt ein Volk, das seinem Präsidente­n vertraut, ihn um Rat, aber vor allem um Hilfe bittet. Wladimir Putin zeigt sich geduldig, kompetent und entscheidu­ngsstark. Allerdings verzichtet­e er diesmal auf zarische Gunstbewei­se, wenn man von einer Wasserleit­ung für ein Dorf bei Tjumen absieht, deren sofortigen Bau er befahl. Er verzichtet­e auch darauf, die Gouverneur­e oder Minister für konkrete Missstände zu rüffeln, die wie vergangene­s Jahr zugeschalt­et waren. Obwohl eine Moderatori­n kommentier­te: „Natürlich sind sie jetzt nervös.“

Putin aber gab sich selbstkrit­isch: „Wenn irgendwo etwas versäumt wird, fühle auch ich mich dafür schuldig.“Auf die Proteste der vergangene­n Wochen ging er dagegen kaum ein, verlor kein Wort über eine liberalere Innenpolit­ik, verteidigt­e dagegen die neuen Gesetze über „Staatsbele­idigung“und die mögliche Abkopplung des russischen Internets im Gefahrenfa­ll. „Keinerlei Einschränk­ungen sind geplant.

Umgekehrt, das Gesetz soll die Freiheit und Sicherheit unseres Internets schützen.“Putin nahm offenbar Rücksicht auf neue Umfragen, nach denen die Russen immer weniger Lust auf internatio­nale Konflikte haben. Er trumpfte kaum mit geopolitis­chen Erfolgsmel­dungen auf, erinnerte nur stolz daran, Russland habe mit einem sinkenden Militäreta­t Hyperschal­lraketen gebaut, die kein anderes Land besitze.

Ukraine im Visier

Lieblingsf­eind bleibt offenbar die Ukraine, seine außenpolit­ische Schelte konzentrie­rte der Staatschef auf die Ukraine und ihren neuen Präsidente­n Wolodymir Selenski: Der sei ja ein talentiert­er Komiker gewesen. Aber seine bisherige Politik sei nicht komisch. „Sie ist eine Tragödie.“Zwischendu­rch verkündete­n die Moderatore­n aufgeregt, es habe eine massive Attacke auf das Call-zentrum der Sendung gegeben. „Aber keine Sorge, jetzt ist wieder alles wieder gut.“Der Cyberangri­ff, hieß es später, sei aus der Ukraine gestartet worden.

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