Zweifel an der Verurteilung
Enthüllungen deuten auf politischen Prozess gegen Brasiliens Ex-präsident Luiz Inácio da Silva hin
Dieser Blick. Grimmig, entschieden. Sérgio Moro schaut auf Fotos immer so, als wolle er mit allem Bösen aufräumen. Zumindest die Jagd auf alle Bestechlichen Brasiliens hat er sich zur Lebensaufgabe gemacht. Der 47-Jährige war in den vergangenen Jahren so etwas wie „Richter Gnadenlos“des südamerikanischen Landes. Er hat 160 Politiker und Unternehmer vor den Kadi und in den Knast gebracht. Mehr als 2 000 Jahre Haft hat Moro verhängt.
Gegen niemanden ermittelte er dabei so scharf wie gegen Ex-präsident Luiz Inácio da Silva, den er im Juli 2017 nach einem Indizienprozess zu langer Haft verurteilte. Womöglich war das aber vor allem ein politisch gewolltes Urteil, das auf rechtsstaatlich zweifelhafte Weise zustande kam. Wie die Enthüllungsplattform „The Intercept“nun aufgrund geleakter Kurznachrichten behauptet, gab Moro Ermittlern und Staatsanwälten Tipps, wie Belastungsmaterial gegen Lula am besten zu sammeln sei. Zudem riet er seinen Kollegen von der Anklagebehörde, dem linken Ex-präsidenten (2003 bis 2011) den Zugang zur Presse zu verwehren. Übergeordnetes Ziel war es laut „The Intercept“, Lulas neuerliche Präsidentschaftskandidatur zu verhindern. Lula führte in allen Umfragen mit großem Abstand. Am Ende durfte er vergangenes Jahr nicht antreten, und es siegte der rechtsradikale Kandidat Jair Bolsonaro, die politische Antithese zu Lula. Und Bolsonaro machte Moro zum Justizminister. Aus Dankbarkeit etwa?
Die Brasilianer verehren Moro noch immer für sein hartes Vorgehen gegen Lula und die linke Arbeiterpartei PT. Schon bei den Straßenprotesten 2013 und 2014 gegen Präsidentin Dilma Rousseff, die Nachfolgerin Lulas, feierten die Brasilianer den Richter mit überlebensgroßen Supermann-puppen, denen sie Moros Gesicht verpasst hatten.
Diese Puppen sah man auch Ende Mai in vielen Städten Brasiliens wieder, als Anhänger von Moro und Präsident Jair Bolsonaro auf die Straße gingen. Dieses Mal, um den schon nach einem halben Jahr im Amt arg unter Druck stehenden rechtsradikalen Präsidenten zu unterstützen. Bolsonaro hat mehrere Minister verloren und muss harte Kritik für seine rücksichtslose Umweltpolitik, seine fehlende Kompetenz und die Freigabe des Waffenbesitzes einstecken. Zudem geht die Wirtschaft weiter an Krücken. Da käme der Verlust seines Starministers ganz schlecht. Brasiliens Linke sieht hingegen ihre Auffassung eines politisch motivierten Prozesses gegen Lula bestätigt. Auch wenn der bloßgestellte Ex-richter Moro behauptet, derartige Absprachen seien in der Justiz üblich. Forderungen nach Rücktritt wies er jedenfalls zurück.
Lula schöpft derweil nach den Enthüllungen neue Hoffnung, vor Ablauf seiner Haftstrafe das Gefängnis verlassen zu können. Zu zwölf Jahren Haft wurde er im Januar 2018 in zweiter Instanz verurteilt. Die Richter sahen es damals trotz fehlender Beweise als erwiesen an, dass Lula in seiner Amtszeit den Baukonzern OAS bevorteilte. Dafür habe er von dem Unternehmen im Gegenzug eine teure Penthouse-wohnung im Seebad Guarujá, 100 Kilometer südlich von São Paulo aufwendig renovieren lassen. Die Liegenschaft gehört zwar weder Lula noch seiner Familie, aber die umfangreichen baulichen Veränderungen sollen nach den Wünschen seiner im Februar 2017 verstorbenen Frau Letizia vorgenommen worden sein.
Jedenfalls hat die Geschichte von „Richter Gnadenlos“und dem angeblich korrupten Ex-präsidenten, die Brasilien tief spaltet, mit den Enthüllungen eine unerwartete Wendung genommen. Und der Ausgang ist ungewiss. Lula hofft nun bestenfalls auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ihn. Aber schon kommende Woche kann der 73-Jährige zumindest auf Hafterleichterung hoffen. Erst kürzlich wurde seine Strafe auf neun Jahre reduziert.
Und für Bolsonaro kann sich diese Justizaffäre noch zu einer Legitimationskrise auswachsen. Denn „The Intercept“liegt nach Aussagen von seinem Chef, dem Us-journalisten Glenn Greenwald noch weiteres Material vor, das er bisher zurückhält. Sollte sich erweisen, dass Bolsonaro damals schon von den Absprachen zwischen Moro und den Staatsanwälten wusste, ist der Fall Moro ganz schnell ein Fall Bolsonaro.
Sérgio Moro war in den vergangenen Jahren so etwas wie „Richter Gnadenlos“.