„Strukturen müssen aufgebrochen werden“
Der scheidende Männernationaltrainer Dieter Scholl plädiert für mehr Professionalisierung
Dieter Scholl ist seit 20 Jahren als Trainer im Luxemburger Volleyball aktiv. Von 2014 an war der 50-Jährige für das Männernationalteam verantwortlich. Sein Vertrag läuft am 1. September aus und wurde auf seinen eigenen Wunsch nicht verlängert. Scholl zieht Bilanz. Dieter Scholl, was behalten Sie von Ihren fünf Jahren als Nationaltrainer in Erinnerung?
Die ersten drei Jahre waren eine tolle Zeit, mit vielen Erfolgen. Dazu kam 2017 die Wm-qualifikation, bei der sich das Team weiterentwickelt hat und das Maximum herausgeholt hat. Gegen Topgegner hat die Mannschaft – trotz der fünf Niederlagen – auf dem höchsten Niveau gespielt, das für Luxemburg möglich war. Wir sind an unsere Grenzen gestoßen. Sie haben von drei tollen Jahren gesprochen: Warum machen Sie diese Abgrenzung?
Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen die Strukturen professioneller werden. Dazu gehören auch die Spieler, die mehr investieren müssen. Dafür muss aber zuerst das Signal vom Verband kommen, dass dies erwünscht ist. Das ist aber nicht der Fall. Es wäre ein totaler Umbruch nötig. Ich muss dennoch die ehrenamtliche Arbeit im Verband loben. Dies hat zwar genügt, um das Maximum herauszuholen, doch um den nächsten Schritt zu machen, müssen die Strukturen aufgebrochen werden. Der Verband ist nicht auf meine Vorschläge eingegangen. Der Wille oder die Vision ist nicht vorhanden. Dies ist aber kein Problem für mich. Es hat mich dann nicht mehr gereizt, noch weitere fünf Jahre auf diese Weise weiterzuarbeiten. Warum ist der Wille und die Vision nicht vorhanden?
Es existiert vielleicht eine Angst, die gewohnten Automatismen zu verlieren. Ich habe keine klare Aussage bekommen, warum meine Anregungen nicht angenommen wurden. Ich bin der Meinung, dass eine Weiterentwicklung unter den aktuellen Bedingungen nicht möglich ist. Im Verband müssten zwei Posten mit starken Persönlichkeiten besetzt werden: ein Geschäftsführer und gleichzeitig auch ein Manager. Diese Personen müssen Visionen und Erfahrungen haben. Was wäre mit dem Männerteam möglich, wenn der nächste Schritt gemacht würde?
Das FLVB-TEAM braucht mehr Profis. Das geht aber nicht mit Spielern, die einen guten Job haben oder die Hoffnung haben, einen solchen zu bekommen. Die Perspektive für Luxemburger im Ausland Volleyball zu spielen, ist sehr uninteressant. Es müsste ein interessantes Paket geschnürt werden, in dem eine duale Karriere möglich ist. Burkhard Disch (ehemaliger Sportdirektor des Verbandes und ehemaliger Nationaltrainer, Anmerkung der Redaktion) hatte 2012 eine Idee, die ich später mit ihm zusammen ausgereift habe. Es sollte ein luxemburgisches Team in der Bundesliga spielen. Das wäre ein längerfristiges Projekt gewesen. Die Signale der Deutschen Volleyballliga waren sehr positiv. Wir haben jetzt etwa ein halbes Dutzend Spieler, die in der 2. und 3. Liga auflaufen. Wenn diese Spieler unter Profibedingungen trainieren, könnten sie auch in der 1. Liga spielen – mit Verstärkungen durch erfahrene Bundesligaspieler. Im Verband wurde in den vergangenen Jahren der gesamte Trainerstab ausgewechselt. Ist dies aus Ihrer Sicht ein normaler Vorgang?
Vielleicht ist es Zufall. Fakt ist aber, dass die Strukturen um das Team herum verschlechtert wurden. In Zukunft soll zum Beispiel die Fitnessarbeit vom Nationaltrainer übernommen werden. Bei den Frauen ist dies bereits der Fall. Beim Scouting hätte man sich auch weiterentwickeln können. Das wurde jedoch reduziert. Diese Strukturen sind aber notwendig. Es geht um Kleinigkeiten und dafür benötigt man Experten. Das sind alles Dinge, die die Attraktivität eines Projekts ausmachen. Die Nationalspieler bekommen keine finanzielle Entschädigung und sollen auch keine erhalten. Aber sie benötigen Wertschätzung. Blicken wir auf Ihr letztes Turnier bei den Spielen der kleinen europäischen Staaten in Montenegro zurück: Hatten Sie zu einem gewissen Moment Angst, ohne Medaille nach Hause zurückzukehren?
Nach dem ersten Spieltag habe ich zur Mannschaft gesagt: Wer dieses Jahr eine Medaille holt, hat sie sich auch redlich verdient. Das Turnier war gut besetzt, besser als sonst. Ich wollte unbedingt mit einer Medaille aufhören. Das hätte sonst einen Schatten auf die vergangenen fünf Jahre geworfen. Nach den JPEE in Montenegro gab es Gerüchte, dass die Stimmung im Team nicht so gut war wie in vorherigen Jahren. Können Sie dem zustimmen?
Ich würde sagen, dass die Stimmung besser war als sonst, aber nicht so fokussiert auf das Wesentliche. Es lag an der Gesamtsituation. Die Spieler wussten, dass ich aufhöre und dass es einen Neuanfang gibt. Das Team wollte um Gold mitspielen. Aber die Ansprüche, die sonst an uns gestellt wurden, wurden diesmal nicht an uns gestellt. Das ist ein schlechtes Zeichen. Fehlt dem Team ein Leader auf dem Platz?
Ja. Diesen Leader kannst du dir aber nicht aussuchen, dieser muss sich herauskristallisieren. Nach dem Schweden-spiel in der Emqualifikation im August 2018 hatte ich angedeutet, meinen Vertag nicht zu verlängern. Das war keine einfache Situation für das Team. Zudem ist die Struktur der Mannschaft sehr jung. In einer neuen Struktur muss sich ein Leader entwickeln. Es kann Gilles (Braas) oder Kamil (Rychlicki) sein, es kann Chris (Zuidberg) sein oder auch einer von den ganz Jungen. In Montenegro hatten Sie sich nach dem Sieg gegen Island genervt geäußert, dass Kamil Rychlicki nicht die richtige Motivation an den Tag gelegt habe. Was hatte es damit auf sich?
Ich stehe dazu. Vor dem Turnier spreche ich Dinge klar an und erwarte auch, dass ich mich darauf verlassen kann. Ich hatte eine Vereinbarung mit Kamil. Ich habe ihm gesagt: Wenn du in Montenegro dabei bist, stehst du als Spieler komplett zur Verfügung und du nimmst es nicht als Urlaub. Dieses Motivationsproblem gab es auch schon in Aserbaidschan (in der Em-qualifikation im Januar, Anmerkung der Redaktion). Da hat er auch nicht gut gespielt. Deshalb habe ich diesmal gesagt: Wenn du nicht motivierst bist, würde ich dich lieber nicht mitnehmen. Ich hätte kein Problem damit gehabt. Die Voraussetzung war aber klar: Er ist motiviert und er will spielen. Es gibt Spieler, die Freiheiten bekommen. Das ist in der Hierarchie einer Mannschaft notwendig und wird auch akzeptiert. Wenn aber dann die Leistung nicht gebracht wird, ist es schwierig. Wir hätten gegen Zypern gewinnen können. Ich erwarte mir von solch einem Spieler, dass er Verantwortung übernimmt. Das habe ich ihm auch gesagt. Er hat sich das wohl zu Herzen genommen.
Im Verband müssten zwei Posten mit starken Persönlichkeiten besetzt werden: ein Geschäftsführer und ein Manager. Ich habe Kamil gesagt: Wenn du in Montenegro dabei bist, stehst du als Spieler komplett zur Verfügung und nimmst es nicht als Urlaub.
Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Rychlicki für das polnische Nationalteam spielen will. Wird er weiter für Luxemburg auflaufen?
Dies hängt zum großen Teil vom neuen Trainer ab. Man muss sehr vorsichtig sein, was man mit ihm bespricht – nicht weil er hochnäsig wäre, sondern das Gesamtpaket ist schwierig zu schnüren. Er muss integriert werden, aber es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er jedes Mal spielt, wenn er nominiert wird. Die einzige Person, die das entscheiden kann, ist er selbst. Für Polen wird er vorerst nicht spielen: Eine Nation darf nur mit einem Spieler auflaufen, der die Nationalität gewechselt hat. Polen hat Wilfredo Leon (ein gebürtiger Kubaner, Anmerkung der Redaktion). Aktuell kommt Kamil nicht an ihm vorbei.