Perfekte Pattsituation
Bei der Vergabe der Topjobs auf Eu-ebene herrscht eine komplette Blockade
„Ich habe mit großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass es sehr schwer ist, mich zu ersetzen“, spaßte der derzeitige Eu-kommissionspräsident Jeanclaude Juncker in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in Brüssel. Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rats, der bei der Pressekonferenz zum Ende der Eu-gipfelnacht neben ihm stand, hatte offenbar wenig übrig für Junckers Humor. Denn Junckers Grund zur Freude ist für Tusk viel eher ein Grund zur Sorge: Er ist dafür zuständig, einen mehrheitsfähigen Kandidaten für Junckers Nachfolge an der Spitze der Europäischen Kommission zu finden. Und nach dem Eu-gipfel in Brüssel wurde klar, dass es derzeit eine Blockade auf allen Ebenen gibt – „es gibt keine Mehrheit für keinen der Kandidaten“, sagte Tusk nach dem Treffen.
Es muss schnell gehen
Junckers Mandat in Brüssel geht im November zu Ende. Bis dahin muss eine neue Eu-kommission zusammengestellt sein – ansonsten droht eine Lähmung der Brüsseler Geschicke, denn die Kommission ist die einzige Eu-institution, die neue Gesetzvorschläge machen kann. Zudem leitet die Brüsseler Behörde die Brexit-gespräche, Handelsverhandlungen mit Drittstaaten und wacht über die Einhaltung der Regeln zum Binnenmarkt. Für die Zusammensetzung einer neuen Kommission braucht es erst einmal einen neuen Präsidenten. Und damit der Zeitplan aufgeht, müsste dieser noch vor den Sommerferien ausgewählt sein. Doch dafür ist noch viel Bewegung seitens aller Beteiligten gefragt.
Die bestehende Blockade ist recht einfach zu resümieren: Die Europäische Volkspartei (EVP) ist – trotz erheblicher Sitzverluste – nach den Eu-wahlen noch immer die stärkste Fraktion im Eu-parlament und erhebt den Anspruch darauf, den Kommissionspräsidenten zu stellen. Für sie kommt derzeit nur ihr Spitzenkandidat Manfred Weber dafür in Frage. Da das Parlament den Eu-kommissionspräsidenten wählen muss, muss eine Mehrheit für einen Kandidaten her. Und ohne die EVP gibt es einfach keine denkbare Mehrheit im Parlament. Liberale und Sozialdemokraten, die ebenfalls für eine Mehrheit notwendig sind, wollen wiederum Manfred Weber verhindern – das Eu-parlament ist demnach gelähmt. Und bei den Eustaatsund Regierungschefs – die vor der Wahl im Eu-parlament einen Kandidaten vorschlagen müssen – ist es ähnlich: Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, verfügen die Regierungschefs der EVP über eine Sperrminorität. Sie hielten beim Gipfeltreffen in Brüssel noch an Weber fest – doch Weber wird von Regierungschefs aus anderen Parteienfamilien verworfen, darunter nicht zuletzt vom liberalen Emmanuel Macron aus Paris und vom Spanier Pedro Sanchez, ein Sozialdemorat. Alternativkandidaten mit Erfolgsaussichten kamen aus dem Treffen in Brüssel nicht hervor – es herrscht eine Pattsituation.
Zwei Tatsachen machen diese besonders verzwickt. Erstens beruhen die Nominierungsformalitäten auf potenziell konfliktgeladenen Richtlinien: Der Eu-kommissionspräsident muss laut Eu-vertrag von den Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen und dann vom Eu-parlament gewählt werden. Dieses Verfahren ebnet den Weg für einen Machtkampf zwischen Regierungschefs und Euabgeordneten, die dabei um Einfluss ringen. Und zweitens haben das Resultat der Eu-wahlen und jüngste Wahlergebnisse in Mitgliedsländern die klassische Machtbalance in Brüssel aufgewirbelt. Während Christ- und Sozialdemokraten lange die Leitung der Brüsseler Geschicke unter sich ausmachen konnten, da die meisten Eu-regierungschefs aus einer dieser zwei Parteienfamilien stammten, die dazu noch über eine solide Mehrheit im Eu-parlament verfügten, ist das spätestens seit dem Ausgang der Eu-wahlen nicht mehr der Fall. Dort braucht es nunmehr die Zusammenarbeit von vier Fraktionen – also Christund Sozialdemokraten, Liberale und Grüne – um eine arbeitsfähige Mehrheit zu haben. Diese Fraktionen sind dabei, für die Ausarbeitung eines Koalitionsabkommens für die nächste Kommission zu verhandeln, scheitern aber daran, sich auf einen Kandidaten für die Spitze der Kommission zu einigen: Und auch im Rat, in dem Liberale, Konservative und Sozialdemokraten fast gleichstark sind, hat man sich auf eine strategische Agenda – eine Art Wunschzettel an die nächste Koalition verständigt – allerdings nicht auf einen Kandidaten.
Der Chefposten in der Eu-kommission ist dabei der Eckstein eines komplexen Machtmikados, bei dem es um die Vergabe von mehreren Eu-topposten geht, zu denen der Chefposten in der Europäischen Zentralbank (EZB), der Vorsitz im Europäischen Rat, die Eu-parlamentspräsidentschaft sowie der Posten des Eu-außenbeauftragten gehören. Dabei spielen verschiedene Kriterien – wie etwa Parteizugehörigkeit, Nationalität und Geschlecht – eine nicht unwichtige Rolle. Aber solange die EVP auf Manfred Weber für den Chefposten in der Eu-kommission beharrt und sich auch sonst noch nichts bewegt, kann sich am Patt eigentlich nichts ändern.
Es ist schwer, mich zu ersetzen. Jean-claude Juncker
Neuer Anlauf am 30. Juni
Donald Tusk muss nun zwischen Parlament, Eu-parteien und Mitgliedstaaten weiter Kompromisse auszuloten. Spätestens bei einem neuen Gipfeltreffen am 30. Juni soll eine Entscheidung fallen. Am 2. Juli tagt das neue Eu-parlament zum ersten Mal. Derzeit tritt das ein, was Tusk unbedingt verhindern wollte: Krisenstimmung rund um die Topposten. Doch eine schnelle Lösung ist nur schwer vorstellbar: Für Luxemburgs Premier Xavier Bettel gibt es kein „Geheimrezept“dafür. Das komplizierte Auswahlverfahren „dauere nun einmal länger“, entdramatisierte Bettel – gleichzeitig warnte der Premier aber, dass es schlecht für die Glaubwürdigkeit der EU sei, wenn am 30. Juni keine Lösung steht.