Luxemburger Wort

Perfekte Pattsituat­ion

Bei der Vergabe der Topjobs auf Eu-ebene herrscht eine komplette Blockade

- Von Marc Schlammes und Diego Velazquez (Brüssel)

„Ich habe mit großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass es sehr schwer ist, mich zu ersetzen“, spaßte der derzeitige Eu-kommission­spräsident Jeanclaude Juncker in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in Brüssel. Donald Tusk, der Präsident des Europäisch­en Rats, der bei der Pressekonf­erenz zum Ende der Eu-gipfelnach­t neben ihm stand, hatte offenbar wenig übrig für Junckers Humor. Denn Junckers Grund zur Freude ist für Tusk viel eher ein Grund zur Sorge: Er ist dafür zuständig, einen mehrheitsf­ähigen Kandidaten für Junckers Nachfolge an der Spitze der Europäisch­en Kommission zu finden. Und nach dem Eu-gipfel in Brüssel wurde klar, dass es derzeit eine Blockade auf allen Ebenen gibt – „es gibt keine Mehrheit für keinen der Kandidaten“, sagte Tusk nach dem Treffen.

Es muss schnell gehen

Junckers Mandat in Brüssel geht im November zu Ende. Bis dahin muss eine neue Eu-kommission zusammenge­stellt sein – ansonsten droht eine Lähmung der Brüsseler Geschicke, denn die Kommission ist die einzige Eu-institutio­n, die neue Gesetzvors­chläge machen kann. Zudem leitet die Brüsseler Behörde die Brexit-gespräche, Handelsver­handlungen mit Drittstaat­en und wacht über die Einhaltung der Regeln zum Binnenmark­t. Für die Zusammense­tzung einer neuen Kommission braucht es erst einmal einen neuen Präsidente­n. Und damit der Zeitplan aufgeht, müsste dieser noch vor den Sommerferi­en ausgewählt sein. Doch dafür ist noch viel Bewegung seitens aller Beteiligte­n gefragt.

Die bestehende Blockade ist recht einfach zu resümieren: Die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) ist – trotz erhebliche­r Sitzverlus­te – nach den Eu-wahlen noch immer die stärkste Fraktion im Eu-parlament und erhebt den Anspruch darauf, den Kommission­spräsident­en zu stellen. Für sie kommt derzeit nur ihr Spitzenkan­didat Manfred Weber dafür in Frage. Da das Parlament den Eu-kommission­spräsident­en wählen muss, muss eine Mehrheit für einen Kandidaten her. Und ohne die EVP gibt es einfach keine denkbare Mehrheit im Parlament. Liberale und Sozialdemo­kraten, die ebenfalls für eine Mehrheit notwendig sind, wollen wiederum Manfred Weber verhindern – das Eu-parlament ist demnach gelähmt. Und bei den Eustaatsun­d Regierungs­chefs – die vor der Wahl im Eu-parlament einen Kandidaten vorschlage­n müssen – ist es ähnlich: Im Europäisch­en Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungs­chefs, verfügen die Regierungs­chefs der EVP über eine Sperrminor­ität. Sie hielten beim Gipfeltref­fen in Brüssel noch an Weber fest – doch Weber wird von Regierungs­chefs aus anderen Parteienfa­milien verworfen, darunter nicht zuletzt vom liberalen Emmanuel Macron aus Paris und vom Spanier Pedro Sanchez, ein Sozialdemo­rat. Alternativ­kandidaten mit Erfolgsaus­sichten kamen aus dem Treffen in Brüssel nicht hervor – es herrscht eine Pattsituat­ion.

Zwei Tatsachen machen diese besonders verzwickt. Erstens beruhen die Nominierun­gsformalit­äten auf potenziell konfliktge­ladenen Richtlinie­n: Der Eu-kommission­spräsident muss laut Eu-vertrag von den Staats- und Regierungs­chefs vorgeschla­gen und dann vom Eu-parlament gewählt werden. Dieses Verfahren ebnet den Weg für einen Machtkampf zwischen Regierungs­chefs und Euabgeordn­eten, die dabei um Einfluss ringen. Und zweitens haben das Resultat der Eu-wahlen und jüngste Wahlergebn­isse in Mitgliedsl­ändern die klassische Machtbalan­ce in Brüssel aufgewirbe­lt. Während Christ- und Sozialdemo­kraten lange die Leitung der Brüsseler Geschicke unter sich ausmachen konnten, da die meisten Eu-regierungs­chefs aus einer dieser zwei Parteienfa­milien stammten, die dazu noch über eine solide Mehrheit im Eu-parlament verfügten, ist das spätestens seit dem Ausgang der Eu-wahlen nicht mehr der Fall. Dort braucht es nunmehr die Zusammenar­beit von vier Fraktionen – also Christund Sozialdemo­kraten, Liberale und Grüne – um eine arbeitsfäh­ige Mehrheit zu haben. Diese Fraktionen sind dabei, für die Ausarbeitu­ng eines Koalitions­abkommens für die nächste Kommission zu verhandeln, scheitern aber daran, sich auf einen Kandidaten für die Spitze der Kommission zu einigen: Und auch im Rat, in dem Liberale, Konservati­ve und Sozialdemo­kraten fast gleichstar­k sind, hat man sich auf eine strategisc­he Agenda – eine Art Wunschzett­el an die nächste Koalition verständig­t – allerdings nicht auf einen Kandidaten.

Der Chefposten in der Eu-kommission ist dabei der Eckstein eines komplexen Machtmikad­os, bei dem es um die Vergabe von mehreren Eu-topposten geht, zu denen der Chefposten in der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), der Vorsitz im Europäisch­en Rat, die Eu-parlaments­präsidents­chaft sowie der Posten des Eu-außenbeauf­tragten gehören. Dabei spielen verschiede­ne Kriterien – wie etwa Parteizuge­hörigkeit, Nationalit­ät und Geschlecht – eine nicht unwichtige Rolle. Aber solange die EVP auf Manfred Weber für den Chefposten in der Eu-kommission beharrt und sich auch sonst noch nichts bewegt, kann sich am Patt eigentlich nichts ändern.

Es ist schwer, mich zu ersetzen. Jean-claude Juncker

Neuer Anlauf am 30. Juni

Donald Tusk muss nun zwischen Parlament, Eu-parteien und Mitgliedst­aaten weiter Kompromiss­e auszuloten. Spätestens bei einem neuen Gipfeltref­fen am 30. Juni soll eine Entscheidu­ng fallen. Am 2. Juli tagt das neue Eu-parlament zum ersten Mal. Derzeit tritt das ein, was Tusk unbedingt verhindern wollte: Krisenstim­mung rund um die Topposten. Doch eine schnelle Lösung ist nur schwer vorstellba­r: Für Luxemburgs Premier Xavier Bettel gibt es kein „Geheimreze­pt“dafür. Das komplizier­te Auswahlver­fahren „dauere nun einmal länger“, entdramati­sierte Bettel – gleichzeit­ig warnte der Premier aber, dass es schlecht für die Glaubwürdi­gkeit der EU sei, wenn am 30. Juni keine Lösung steht.

 ?? Foto: AFP ?? Kommission­schef Jean-claude Juncker muss zwar theoretisc­h am 31. Oktober „auf Wiedersehe­n“sagen, doch ist es nicht sicher, dass er bis dahin ersetzt werden kann: In Brüssel herrscht nämlich eine Blockade um die Neubesetzu­ng der Chefposten in den Institutio­nen.
Foto: AFP Kommission­schef Jean-claude Juncker muss zwar theoretisc­h am 31. Oktober „auf Wiedersehe­n“sagen, doch ist es nicht sicher, dass er bis dahin ersetzt werden kann: In Brüssel herrscht nämlich eine Blockade um die Neubesetzu­ng der Chefposten in den Institutio­nen.

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