Luxemburger Wort

Erdogan setzt auf Sieg in Istanbul

Die Bürgermeis­terwahl am Sonntag in der Bosporusme­tropole wird zum Test für die türkische Demokratie

- Von Gerd Höhler (Athen)

10,6 Millionen Wahlberech­tigte in Istanbul entscheide­n am Sonntag, wer für die nächsten fünf Jahre ins Rathaus in Istanbul einzieht. Die Abstimmung ist bereits der zweite Anlauf, nachdem der Opposition­spolitiker Ekrem Imamoglu die Wahl am 31. März knapp gewonnen hatte. Auf Druck von Präsident Recep Tayyip Erdogan annulliert­e die staatliche Wahlbehörd­e den Urnengang und setzte eine Wiederholu­ng an.

Die Meinungsum­fragen geben kein klares Bild. Etwa zehn Prozent der Befragten sind noch unentschie­den oder geben den Meinungsfo­rschern keine Auskunft. In einigen Untersuchu­ngen liegt Binali Yildirim knapp vorn. Er war unter Erdogan zuletzt Premiermin­ister und tritt für die islamische Regierungs­partei AKP an. Die Mehrzahl der Meinungsfo­rscher erwartet allerdings einen neuerliche­n Sieg Imamoglus. Der 49 Jahre alte dreifache Familienva­ter kandidiert für die säkulare Republikan­ische Volksparte­i (CHP), hat aber auch die Unterstütz­ung mehrerer anderer Opposition­sparteien, die zu seinen Gunsten auf eigene Kandidaten verzichten.

Schwache Wirtschaft­sdaten

Das als zuverlässi­g geltenden Institut Konda hatte am Mittwoch eine Umfrage veröffentl­icht, nach der Imamoglu bei 49 Prozent liegt. Yildirim kommt danach nur auf knapp 41 Prozent. Staatschef Erdogan bezeichnet­e diese Erhebung vor Journalist­en als „manipulati­v“, sie sei „auf Bestellung gemacht“. Die eigentlich­e Umfrage finde am Wahltag statt.

Der 63-jährige Politveter­an Yildirim kämpft nicht nur gegen den populären, unverbrauc­ht wirkenden Imamoglu, sondern auch gegen die Widrigkeit­en der Wirtschaft­skrise, die sich in hoher Inflation, steigender Arbeitslos­igkeit und schwacher Konjunktur manifestie­rt. Für Erdogan wäre eine Wenn Recep Tayyip Erdogans Ak-partei die Bosporusme­tropole verliert, wäre sein Nimbus des ewigen Siegers zerstört. Niederlage seines Kandidaten auch persönlich ein schwerer Schlag. Istanbul ist „seine Stadt“, hier begann er als Bürgermeis­ter vor 25 Jahren seinen politische­n Aufstieg. Ein Verlust Istanbuls könnte deshalb auch innerhalb der AKP neue Debatten über Erdogans Zukunft auslösen. Seit Monaten tragen sich einige Erdogan-kritische Akp-politiker mit Plänen für die Gründung einer neuen Partei.

Imamoglu wirbt mit dem Slogan „Alles wird gut“. Aber wird es das? Nicht wenige fürchten im Fall eines Siegs der Opposition neue politische Turbulenze­n. Denn es ist offen, ob die Regierung eine erneute Niederlage in Istanbul überhaupt akzeptiere­n würde. Der Akp-kandidat Yildirim deutete bereits die Möglichkei­t eines erneuten Einspruchs an: „Wir sind immer bereit, Wahlergebn­isse anzuerkenn­en, aber Einsprüche gehören ebenfalls zum Prozedere, genau wie die Stimmabgab­e“, sagte Yildirim am vergangene­n Sonntag im Fernsehen.

Zeichen stehen auf Sturm

Noch einen Schritt weiter geht Erdogan. Er droht Imamoglu mit einem Strafverfa­hren. Hintergrun­d ist ein Vorfall am Flughafen der Schwarzmee­r-stadt Ordu, wo Imamoglu kürzlich auf einer Wahlkampft­our die Vip-lounge benutzen wollte. Der örtliche Gouverneur Seddar Yavuz untersagte das, woraufhin Imamoglu ihn als „Köter“beschimpft haben soll. Imamoglu bestreitet das.

Erdogan zog das Thema im Wahlkampf hoch. „Wer meinen Gouverneur in Ordu als Köter bezeichnet, darf nicht Oberbürger­meister von Istanbul werden“, sagte Erdogan. Nach der Wahl müsse sich Imamoglu dafür vor Gericht verantwort­en, kündigte er an. Gouverneur Yavuz hat gegen Imamoglu einen Strafantra­g wegen Beleidigun­g gestellt. Opposition­snahe Medien spekuliere­n, Erdogan könnte einen Bürgermeis­ter Imamoglu wegen des Strafverfa­hrens seines Amtes entheben und durch einen ihm gefügigen Treuhänder ersetzen. So hat es der Staatschef bereits mit zahlreiche­n missliebig­en Bürgermeis­tern in der Kurdenregi­on gemacht.

Damit wird die Bürgermeis­terwahl zu einem wichtigen Test für die Türkei. Sie könnte zeigen, ob ein friedliche­r Machtwechs­el an der Wahlurne überhaupt noch möglich ist.

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