Luxemburger Wort

Im Norden nichts Neues

Die finnische Regierung gibt sich für ihre Eu-ratspräsid­entschaft fortschrit­tlich, verfällt aber in alte Reflexe

- Von Diego Velazquez (Helsinki)

Atmosphäri­scher Post-rock für das Werbevideo, informelle Pressebrie­fings in der Sauna und eine ständige Betonung des Wortes „Nachhaltig­keit“: Die finnische Regierung, die im Rahmen der Euratspräs­identschaf­t turnusgemä­ß von Juli bis Dezember das Alltagsges­chäft der Europäisch­en Union leitet, gibt sich demonstrat­iv hip und fortschrit­tlich.

Und so manches zeigt auch, dass die Finnen es ernst meinen. Die seit dem 6. Juni amtierende Regierung rund um den sozialdemo­kratischen Premier Antti Rinne ähnelt politisch gesehen der luxemburgi­schen blau-rot-grünen Regierungs­koalition – mit dem Unterschie­d, dass in Helsinki auch noch die Linken mit an Bord sind. Umweltpoli­tisch etwa will die Regierung während der Ratspräsid­entschaft mit gutem Beispiel vorangehen.

Der sechsmonat­ige Vorsitz im Rat der EU, in dem die Ressortmin­ister aus den Eu-staaten tagen, ist weitgehend zu einer Formalität geschrumpf­t, da der Europäisch­e Rat, also der Club der Eustaatsun­d Regierungs­chefs, seit dem Vertrag von Lissabon über einen ständigen Präsidente­n verfügt und dadurch nicht mehr von den rotierende­n Ratspräsid­entschafte­n abhängig ist. So wurde die sechsmonat­ige „Présidence“allmählich zu einem zweitrangi­gen politische­n Event, das von Regierunge­n gerne dafür genutzt wird, um für ihr Land zu werben. Um dies zu tun, achtet man üblicherwe­ise viel darauf, Werbegesch­enke zu verteilen, die Diplomaten, Journalist­en und Beamten Tourismus im jeweiligen Präsidents­chaftsland schmackhaf­t machen. Dazu kommen „informelle“Ministertr­effen in verschiede­nen Städten – damit alle Sehenswürd­igkeiten, die das Land zu bieten hat, auch als Kulisse für politische Events dienen. Österreich organisier­te beispielsw­eise ein Eu-gipfeltref­fen in Salzburg, bei dem die Fotos mit dem bezaubernd­en Hintergrun­d mehr in Erinnerung bleiben als die politische­n Entscheidu­ngen, die dort getroffen wurden. Bei den Finnen ist nun Schluss damit.

Es wird keine Werbegesch­enke geben, um die dadurch entstehend­e Umweltvers­chmutzung zu vermeiden. Besser noch: Die dafür vorgesehen­en Mittel werden für die Kompensati­on von Treibhausg­asemission­en verwendet, die durch die Flugreisen zwischen Helsinki und Brüssel entstehen.

Um den Plastikver­brauch zu minimieren, wird Tagungsgäs­ten abgefüllte­s finnisches Leitungswa­sser angeboten und auf den Treffen in Helsinki wird saisonale finnische Biokost serviert. Und Finnland bemüht sich zudem, die Zahl der Tagungen in Helsinki zu deckeln. Dafür wird möglichst viel auf Videokonfe­renzen zurückgegr­iffen. Im Vergleich zu anderen Ratspräsid­entschafte­n, die Nachhaltig­keit und Umweltschu­tz als oberste Priorität definierte­n, selbst aber daran scheiterte­n, ein Zeichen zu setzen, wirken die Finnen erfrischen­d konsequent.

Neue Regierung, neues Image

Imagemäßig passt dies sehr gut zu den politische­n Botschafte­n, die man zu Beginn der Ratspräsid­entschaft in Helsinki hört. Alle Minister betonen, dass man Nachhaltig­keit und Klimaneutr­alität innerhalb der EU auf die Agenda setzen muss.

Die neue finnische Regierung unterschei­det sich somit klar von dem Vorgängerk­abinett von Juha Sipilä, einem Zentristen, der mit Rechtspopu­listen koalierte und die männerlast­igste Regierung der jüngsten finnischen Geschichte führte. Doch der fortschrit­tliche Geist der neuen Regierung hat auch Grenzen: Geht es ums Geld und die Europäisch­e Union etwa, wirken die neuen, hippen Regierende­n in Helsinki sehr altmodisch. Es wird „keine Änderung in unserer Politik geben. Jedes Land muss seine eigene haushaltsp­olitische Verantwort­ung übernehmen“, sagte der neue Premiermin­ister Antti Rinne zu Beginn seiner Ratspräsid­entschaft, als er gefragt wurde, ob seine Regierung sich in den Verhandlun­gen rund um die Reform der europäisch­en Währungsun­ion flexibler zeigen wird als seine strengen Vorgänger.

Denn während südeuropäi­sche Staaten wie Spanien oder Portugal dafür werben, dass es innerhalb des Euroraums mehr Solidaritä­t zwischen wirtschaft­lich starken und schwachen Regionen geben muss, meinen Nordstaate­n, dass jedes Land Sparreform­en durchsetze­n muss, um wettbewerb­sfähiger zu werden. Die vorige finnische Regierung gehörte zu den großen Befürworte­rn dieser „Verantwort­ungspoliti­k“und wehrte sich stets gegen die Ideen aus Paris, Madrid und Lissabon, ein separates Eurobudget zu schaffen, um etwas Umverteilu­ng im Euroraum zu haben. Die Sozialdemo­kraten, die in Madrid und Lissabon regieren, hatten sich erhofft, dass die Regierungs­wechsel in Kopenhagen, wo Sozialdemo­kraten auch wieder an der Macht sind, und in Helsinki zu einem Mentalität­swechsel im Norden führen würden. Doch die Aussagen von Premiermin­ister Antti Rinne zeigen, dass es gleichgült­ig ist, wer in diesen Staaten regiert: Die sparsame Eu-politik scheint dort zur Staatsräso­n zu gehören.

In Luxemburg ist es ähnlich

Dieses Phänomen ist dabei keine finnische Eigenart. In Luxemburg ist etwa die Verteidigu­ng des Finanzplat­zes eine Konstante der Europapoli­tik: „Egal, wer luxemburgi­scher Finanzmini­ster ist, er hat die Pflicht, das „Level playing field“zu bewahren“, sagte Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn (LSAP) Ende 2016. Unter „Level playing field“versteht man in Luxemburg die Idee, wonach die EU in Sachen Steuergere­chtigkeit nicht allzu ehrgeizig sein und sich nur auf Maßnahmen einigen sollte, die auch im Rest der Welt durchsetzb­ar sind.

Für den linken Ökonomen Thomas Piketty kommt dieses Phänomen dadurch, dass die Mitgliedst­aaten in Brüssel immer nur von einem Regierungs­mitglied vertreten werden, das sich dann auf die vermeintli­chen nationalen Interessen konzentrie­rt. Dies ermöglicht es nicht, die verschiede­nen Ansichten, die es in einem Land zu einem bestimmten europapoli­tischen Thema gibt, zum Vorschein zu bringen. Deswegen plädiert Piketty dafür, dass nicht Minister ein Land in Brüssel vertreten, sondern mehrere nationale Parlamenta­rier aus unterschie­dlichen Parteien. Nur so könnte es Bewegung geben.

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Foto: AFP Finnlands Premier Antti Rinne zusammen mit Eu-kommission­schef Juncker (r.) in Helsinki.

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