„Ein System für die Luxemburger Wähler“
Die ausländischen Bürger können nicht wählen, bezahlen aber die meisten Steuern, sagt Uel-präsident Nicolas Buck
Anfang März – vor hundert Tagen – hat Nicolas Buck die Nachfolge von Michel Wurth an der Spitze der „Union des entreprises luxembourgeoises“(UEL) angetreten. Offensiv geht der neue Präsident des Dachverbands der Luxemburger Unternehmer Tabuthemen an – etwa die steuerliche Benachteiligung vieler in Luxemburg lebender Ausländer. Nicolas Buck, was sind nach der Parlaments- und nach der Europawahl die großen, sektorübergreifenden Themen, die den Dachverband der Luxemburger Unternehmen bewegen?
Die UEL konzentriert ihre Arbeit auf drei Bereiche: Arbeitsrecht, Sozialversicherungssysteme und ein neues Themengebiet – Steuerpolitik. Der Steuerpolitik ist kein Zweck an sich und sollte immer nur Mittel zum Zweck sein. Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Landes auf der einen Seite und soziale Gerechtigkeit auf der anderen Seite sind die Gradmesser einer langfristig orientierten Steuerpolitik. Die Steuerpolitik ist doch Sorge der Regierung und des Finanzministers. Die Arbeitgeber interessiert doch nur, wie viel Steuern sie bezahlen müssen?
Als kleines Land ist Luxemburg besonders abhängig vom Gesundheitszustand seiner Unternehmen. Der Staat und die Unternehmen bilden ein System, wo ein Teil den anderen trägt. Wir gehören zusammen. Wir Unternehmer sehen das Entrichten von Steuern nicht als unangenehme Pflicht, sondern als Notwendigkeit – der Staat behält die Steuereinnahmen ja nicht für sich, sondern finanziert über Umverteilung damit das soziale Netz und notwendige Infrastrukturen. Wie und auf welcher Grundlage Unternehmen und Menschen besteuert werden und was der Staat dann mit den Steuergeldern macht – das sind Fragen, die uns als UEL brennend interessieren. Fast die Hälfte der Einwohner Luxemburgs sind Ausländer, bezahlen Steuern, können aber nicht am politischen Entscheidungsprozess teilnehmen. Ist die Einführung des Ausländerwahlrechts noch immer ein Anliegen der Arbeitgeber?
Über das demokratische Defizit wird viel diskutiert und lamentiert. Dieses Defizit zeigt auch sein Wirken in der Steuerpolitik. Es ist noch immer zu 90 Prozent ausländisches Kapital, das die Vermögenssteuer für Unternehmen entrichtet. Die Besitzer dieser Firmen geben bei einer Wahl in Luxemburg keine Stimme ab. Das gleiche Argument trifft auf die Körperschaftsteuer zu. Ähnlich verhält es sich beim Besteuern der Arbeit. Durch die Reform wurde der Grenzsteuersatz stark abgeflacht, Gering- und Mittelverdiener bezahlen weniger Steuern dank der Steuerreform von 2017. Sie wollen sagen, dass die Reichen zu hoch besteuert werden?
Nicht die Reichen! Unter den 430 000 Arbeitsplätzen in Luxemburg gibt es etwa 10 000 Spitzenverdiener, die 30 bis 35 Prozent zum gesamten Lohnsteueraufkommen beisteuern. Wir können davon ausgehen, dass viele dieser Spitzenverdiener keine Luxemburger sind. Auf der anderen Seite wurde durch die Steuerreform die Luxemburger Wählerschaft entlastet. 80 Prozent der Wahlberechtigten sind Hausbesitzer, die Grundsteuer ist sehr niedrig, und die Besteuerung von Kapitalerträgen ist ja eher vorteilhaft. Demnach ist Ihrer Meinung nach das Steuersystem ungerecht?
Ich würde es anders ausdrücken – Arbeit und Unternehmensgewinne sollten entlastet werden und dies befreit von ideologischen Überlegungen. Im Laufe der letzten Jahre haben wir ein Steuersystem geschaffen, das die Luxemburger Wählerschaft bevorzugt, und den anderen Teil der Wirtschaft und der Bevölkerung vernachlässigt. Wenn die Gewerkschaften klagen, dass in Luxemburg die Arbeit höher als das Kapital besteuert wird, dann haben sie Recht und Unrecht zugleich. Unrecht in dem Sinne, dass für tausende von Arbeitnehmern die Steuerlast gesunken ist. Recht, weil für die „breiten Schultern“– z. B. Manager und Anwälte – die Steuerlast ungleich höher ist. Das Argument der „breiten Schultern“kann auch ad absurdum führen und schadet dann der gesamten Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes, schlussendlich uns allen. Diese zehntausend Großverdiener sind doch zufrieden, sonst wären sie nicht in Luxemburg? Sie bezahlen vielleicht hohe Steuern, haben dafür aber andere Vorteile.
Dadurch, dass diese Leute nicht in den politischen Prozess eingebunden sind, fühlen sie keine Verpflichtung, sollte es dem Land einmal schlecht gehen. Um sie und viele andere Ausländer zu integrieren, muss ihnen ermöglicht werden, sich schneller am politischen Prozess zu beteiligen. Die Wirtschaft funktioniert in Zyklen. Eines Tages wird es unserem Land wieder schlechter gehen. Dann wird es auf die Solidarität aller gesellschaftlichen Kräfte ankommen. Ein Land, wo Rentner und Mitarbeiter aus dem öffentlichen Sektor Wahlresultate entscheidend prägen, wird es noch schwerer als andere europäische Länder haben, auf Krisen entscheidend zu reagieren. Wie kann die Steuerpolitik Innovation unterstützen?
Man sollte den Bogen weiterspannen und das Wort Innovation meiden. Um es einfacher auszudrücken: Mittels der Steuerpolitik sollten wirtschaftliche Aktivitäten unterstützt werden, die produktiv sind. Die uns allen zugute kommen. Risikobereitschaft sollte steuerlich gefördert werden. Unternehmertum sollte unterstützt werden, insbesondere Investitionen von Firmen und Privatpersonen, die die Nachhaltigkeit fördern. Brauchen wir ein neues Referendum zum Ausländerwahlrecht?
Das ist eine politische Entscheidung. Ehe das geschieht, sollten wir uns alle über die Notwendigkeit im Klaren sein, dass unsere Bevölkerung wachsen muss. Wenn nämlich unsere Wirtschaft nur noch wächst, weil immer mehr Grenzgänger kommen, dann werden wir auf Dauer vor zwei Problemen stehen. Erstens werden die großen Nachbarländer immer mehr Einfluss auf unsere Souveränität nehmen, indem sie uns die Spielregeln diktieren, was ihre Landsleute anbelangt, die bei uns zur Arbeit kommen. Dieser Prozess ist im vollen Gange. Sie denken an die Diskussion über das Zahlen von Arbeitslosengeldern?
Genau das sind Probleme, die bei einer grenzübergreifenden Wirtschaft entstehen. Zweitens wiegt der Umstand noch schwerer, dass wir astronomische Transferleistungen ins Ausland vollbringen müssen. Schon heute werden weit über eine Milliarde Euro an Sozialtransfers in Form von Kindergeld und Pensionen ins Ausland exportiert. Diese Gelder verlassen unsere Wirtschaft – sehr zum Leid vom Handel, Handwerk und Horesca. Diese Beträge werden exponentiell wachsen. Die Bevölkerung wächst, aber es fehlt an Fachkräften. Der Fachkräftemangel treibt alle Luxemburger Berufsvereinigungen um.
Bürger aus der Europäischen Union können in Luxemburg ohne Einschränkung arbeiten. Für Bürger aus Drittstaaten aber gilt die Regel, dass sie über einen Arbeitsvertrag verfügen müssen, ehe sie überhaupt nach Luxemburg kommen können. Das ist sehr kompliziert. Als UEL raten wir, uns an Deutschland zu inspirieren. Dort wurde vor kurzem ein Gesetz gestimmt, das es den deutschen Botschaften und anderen Einrichtungen im Ausland ermöglicht, die beruflichen Qualifikationen von Anwärtern zu prüfen, die dann eine sechsmonatige Aufenthaltsgenehmigung erhalten, während der sie in Deutschland auf Arbeitssuche gehen können. Luxemburg wäre mit einem ähnlichen System gut beraten. Sie wollen indische Programmierer nach Luxemburg holen?
Nicht nur Programmierer. Es sollte bei den Qualifikationen keine Beschränkung geben. Unsere Regelung sollte für die gesamte Wirtschaft gelten. Alle Berufe sind gefragt, vom Elektriker bis zum Physiker über den Koch. Das ist schon heute wichtig, wird es morgen noch mehr sein. Auch der Klimawandel kommt auf Europa zu. Wie bereitet die UEL die Luxemburger Unternehmen auf diese Veränderung vor?
Wir reden nicht über Energiewende, das ist Aufgabe der Verbände und der Handels- und Handwerkskammern. In unseren Kompetenzbereich als Dachverband fällt die Verbindung zwischen Klimapolitik Steuerpolitik und öffentlichen Finanzen. Da gibt es eine wesentliche Frage: Wie können wir über die nächsten dreißig Jahre aus dem Tanktourismus aussteigen?
Wir haben ein Steuersystem geschaffen, das die Luxemburger Wählerschaft bevorzugt. Der Ausstieg aus dem Tanktourismus muss wohlüberlegt sein.
Dreißig Jahre? Muss der Ausstieg nicht schon früher stattfinden?
Spätestens 2050 will Luxemburg Co2-neutral sein. Schon für 2030 hat sich unser Land ehrgeizige Ziele gesetzt. Die einzige Möglichkeit, sie zu erreichen, besteht in der Einschränkung des Spritverkaufs. Heute bringt der Verkauf von Diesel und Benzin etwa eine Milliarde Euro an Steuereinnahmen durch die Akzisen. Hinzu kommen noch 700 Millionen Euro durch den Verkauf von Alkohol und Tabak. Die Erhöhung der Akzisen um zwei Cent pro Liter Diesel ist ein erster Schritt beim Ausstieg. Jetzt geht es darum, festzulegen, wie viele Schritte folgen sollen. Die Einführung einer Co2-steuer würde den Tanktourismus sofort abwürgen. Wir hätten aber 1,7 Milliarden Euro weniger in der Staatskasse, mit all den sozialen Problemen, die das nach sich ziehen würde. Deshalb muss der Ausstieg wohlüberlegt sein.