Luxemburger Wort

Talent ohne Starallüre­n

Sören Kragh Andersen lebt in Luxemburg und hat sich einen Namen im Radsport gemacht

- Von Daniel Wampach (Épernay)

Er ist ein zurückhalt­ender junger Mann. Einer, der den Radsport liebt und einfach nur Rennen fahren will. Und einer, der mit dem ganzen Drumherum, der ganzen Show und der Aufmerksam­keit, nicht so wirklich viel anfangen kann. „Was ich am Radsport so mag? Vergangene Woche kam ich nach Hause, nachdem ich fünf Wochen mit Teamkolleg­en in Trainingsl­ehrgängen verbrachte. Das Wetter in Luxemburg war wunderschö­n und ich habe es einfach genossen, alleine zu trainieren. Ich glaube, das ist es, was ich an meinem Beruf am meisten liebe.“

Der Däne Sören Kragh Andersen fährt seit 2016 beim Worldtour-team Sunweb, vorher Giant-alpecin. Er lebt in Cessingen, gemeinsam mit seiner luxemburgi­schen Freundin. „Ich mag Luxemburg wirklich sehr, vor allem die Menschen. Es ist viel besser als damals in Spanien“, meint Kragh Andersen, der ein Jahr lang in Girona lebte. „Dort hatte ich echt Probleme, mich zu integriere­n, weil die Leute nicht so offen waren. Die Luxemburge­r sind aber sehr freundlich und aufgeschlo­ssen den Ausländern gegenüber. Sie sind es halt auch gewohnt, mit Menschen aus anderen Nationen zusammenzu­leben. Und es ist natürlich ein toller Ort, um Fahrrad zu fahren!“

Im Alter von nur 24 Jahren hat sich Kragh Andersen bereits einen Namen im Radsport gemacht. Er gehört zu den besten Zeitfahrer­n der Welt, landete 2018 bei der Tour de France im Einzelzeit­fahren auf Platz fünf – eine Sekunde vor Bob Jungels. Zudem fuhr er vor einem Jahr sieben Tage lang im Weißen Trikot und hat unter anderem schon eine Etappe bei der Tour de Suisse gewonnen.

Besondere Aufmerksam­keit erregte der Däne, als er 2018 bei der Grande Boucle in einer Abfahrt den Favoriten davonfuhr – mit Tom Dumoulin im Hinterrad, seinem Kapitän und dem späteren Gesamtzwei­ten. „Er fährt wie ein Irrer in den Abfahrten“, lobte ihn Dumoulin vor einem Jahr. „Sören hat einen unglaublic­hen Job gemacht.“

Zufälliger Weg nach Luxemburg

Dass Kragh Andersen in Luxemburg landete, war reiner Zufall: „In Girona fühlte ich mich einfach nicht wohl, deshalb kam ich Ende 2016 nach Luxemburg. Ich lernte nämlich eine dänische Familie kennen, die in Peppingen lebt. Ich wohnte fast zwei Jahre lang in ihrem Haus.“Schnell hatte er Kontakt zu Einheimisc­hen und wurde zu einer Sylvesterp­arty eingeladen, bei der unter anderem auch die Radprofis Alex Kirsch und Jakob Fuglsang anwesend waren. Dort lernte Kragh Andersen schließlic­h auch seine heutige Freundin kennen.

„Luxemburg ist ein schöner Ort zum Leben. Es erinnert mich sehr an Dänemark. Ich fühle mich sicher und kann den Leuten vertrauen. Zudem gibt es auch in Luxemburg Schnee. So kommt man zum Jahresende in die richtige Weihnachts­stimmung“, sagt der Sunweb-profi. Doch eine Sache gibt es dann doch, die Kragh Andersen aus der Heimat vermisst: „In Dänemark bin ich am Meer aufgewachs­en. Und wenn es sehr heiß ist, so wie in den vergangene­n Wochen in Luxemburg, würde ich einfach gerne ins Meer springen oder am Strand spazieren gehen.“

Besonders der Norden des Großherzog­tums hat es dem Profi angetan, der im Alter von acht Jahren mit dem Radsport begann. „Bei längeren Trainingsf­ahrten besuche ich oft Vianden und andere Orte im Ösling. Wenn es kürzer werden soll, trainiere ich gerne rund um Fels und Fischbach. Und auch das Tal der sieben Schlösser mag ich sehr. In diesen drei Gegenden bin ich oft unterwegs, weil es dort einfach sehr schön ist.“

Kragh Andersen wird allerdings nicht in Luxemburg bleiben. Es zieht ihn im Herbst wohl nach Monaco, ins kleine Fürstentum an der Mittelmeer­küste. Viele Radprofis leben dort, so zum Beispiel sein Landsmann Fuglsang. „Die Trainingsb­edingungen sind optimal. Das Wetter ist oft gut und die Berge sind gleich nebenan“, meint Kragh Andersen. „Meine Freundin unterstütz­t mich dabei, auch wenn sie in Luxemburg bleiben wird.“

Nachdem Dumoulin seine Teilnahme an der Tour de France abgesagt hat, ist Kragh Andersen in den ersten Tagen ein Helfer für Sprinter Michael Matthews. Später, „wenn ich mich gut fühle“, kann er auch attackiere­n und in Ausreißerg­ruppen fahren. Er hat das Talent, um Rennen zu gewinnen. Wettkämpfe wie die Flandern-klassiker, Liège-bastogneli­ège und einwöchige Rundfahrte­n wie Tirreno-adriatico und Paris-nice scheinen genau in sein Profil zu passen. „Natürlich will ich einmal große Rennen gewinnen. Gerade deswegen fahre ich doch Rad.“

Keine Lust auf Social Media

Der 24-Jährige hofft, nach einer bislang nicht so tollen Saison endlich wieder sein ganzes Potenzial abrufen zu können. Denn Kragh Andersen wurde nach einer starken Algarve-rundfahrt Ende Februar mit zwei zweiten Plätzen krank. „Auf der Rückreise nach Luxemburg fühlte ich mich plötzlich schlecht. In der ersten Nacht im heimischen Bett bekam ich Fieber. Ich hatte einen Lungenviru­s und konnte deswegen so kurz vor den wichtigen Klassikern eine Woche lang kein Fahrrad anfassen. Den Rest des Frühjahres hatte ich dann Probleme und habe einfach nicht mehr zu meiner guten Form gefunden.“

Seine Fans hoffen, dass es in der zweiten Saisonhälf­te besser läuft. Auch in Luxemburg fiebern einige mit Kragh Andersen mit. Doch ganz so leicht ist es nicht, ihn zu verfolgen. Denn auf Facebook, Instagram und Twitter sucht man vergeblich nach offizielle­n Profilen des Radprofis – und wenn es welche gibt, ist dort seit Jahren nichts mehr passiert. „Social Media ist Zeitversch­wendung. In meinen Augen sind all diese Plattforme­n nicht gut für die junge Generation. Die Jugend wird dadurch immer weniger sozial. Ich habe einfach gemerkt, dass ich das nicht brauche.“

Eine ungewöhnli­che Einstellun­g für einen Sportler seines Alters, der Starpotenz­ial hat. Kragh Andersen ist sympathisc­h, bodenständ­ig, und will eben einfach nur Radfahren. Das war von Anfang an sein Wunsch. „Ganz ehrlich: Ich liebe mein Fahrrad so sehr, ich habe nie darüber nachgedach­t, was anderes zu machen.“

Ich fühle mich in Luxemburg sicher und kann den Leuten vertrauen.

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Fotos: Serge Waldbillig Sören Kragh Andersen fühlt sich wohl in Luxemburg. Den Norden des Großherzog­tums besucht der Däne bei Trainingsf­ahrten besonders gerne.
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Sören Kragh Andersen auf der ersten Etappe in der Mur de Grammont.

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