Risikoberuf Politiker
In Frankreich nehmen Angriffe auf Abgeordnete und Bürgermeister zu
Weiße Haare, beleibte Figur, laute Stimme: Der Bürgermeister der südfranzösischen Kleinstadt Signes war in seiner Gemeinde eine geachtete Persönlichkeit. Bis zum 5. August. Da überfuhren zwei 20 und 23 Jahre alte Männer Jeanmathieu Michel mit ihrem Transporter, nachdem er sie am illegalen Abladen von Bauschutt hindern wollte. Ob es nun ein Unfall war oder ein Gewaltakt, muss die Justiz klären.
Doch der Tod des 76-Jährigen hat auf einen Schlag gezeigt, wie wenig Respekt die Franzosen noch für ihre Bürgermeister haben. Waren die „Maires“mit der blauweiß-roten Schärpe vor der Brust vor ein paar Jahren noch eine Institution, der sich niemand zu widersetzen wagte, sind sie nun Ziele von Angriffen geworden.
Laut Innenministerium wurden im vergangenen Jahr 361 Bürgermeister oder ihre Stellvertreter attackiert – mehr als in den Jahren zuvor. „Der Respekt für die kommunalen Behörden und ihre Amtsträger schwindet von Jahr zu Jahr“, sagt der Vorsitzende der Vereinigung der Bürgermeister Frankreichs (AMF), François Baron, der Zeitung „Journal du Dimanche“.
Hälfte der Bürgermeister will im Frühjahr nicht mehr antreten
Kein Wunder also, dass der Job des Bürgermeisters gerade in kleinen Gemeinden wie Signes kaum noch Interesse weckt. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Cevipof will die Hälfte der Bürgermeister der insgesamt 35 000 französischen Kommunen im Frühjahr nicht mehr kandidieren. Dabei haben 83 Prozent der Franzosen eine gute Meinung von den Stadtoberhäuptern. Sogar Emmanuel Macron, der in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit die Lokalpolitiker vernachlässigte, wurde sich inzwischen der Bedeutung der Männer und Frauen an der Spitze der Kommunen bewusst. Den Sinneswandel bewirkte bei ihm die durch die Gelbwesten ausgelöste Krise, die ihm zeigte, wie fern er im Elysée-palast in Paris den Sorgen seiner Landsleute in der Provinz ist.
Die Bürgermeister als Verbindungsglieder in die Kommunen wurden deshalb seine bevorzugten Gesprächspartner in der „großen Debatte“, jener landesweiten Diskussionsveranstaltung, die er nach den Protesten der Gelbwesten begann.
„Nach der Krise der Gelbwesten hat der Präsident erkannt, dass die Bürgermeister die Säulen der Republik sind“, bemerkt Senatspräsident Gérard Larcher. Der Senat, der überwiegend von Gemeindevertretern gewählt wird, nimmt sich nun der Sorgen der Bürgermeister ganz offiziell an. Die zweite Parlamentskammer begann diese Woche eine Umfrage, um deren Probleme zu ermitteln. Im Herbst soll ein Gesetz folgen, das die Rolle der Bürgermeister stärkt.
Die Gemeindevorsteher sind allerdings nicht die Einzigen, die Ziel von Angriffen werden. Seit den Protesten der Gelbwesten richtet sich der Zorn auch gegen die deutlich unbeliebteren Abgeordneten, denen nur 33 Prozent der Franzosen vertrauen. Ziel sind vor allem die Büros der Parlamentarier von Macrons Partei La République en Marche (LREM). 121 Abgeordnete Opfer „böswilliger
Handlungen“in zwei Jahren Besonders spektakulär war der Angriff auf die Vertretung des Abgeordneten Romain Grau, wo eine Gruppe von „Gilets jaunes“Feuer legte. Insgesamt wurden in den vergangenen zwei Jahren laut einer Zählung der Zeitung „Le Figaro“121 Abgeordnete Ziel von „böswilliger Handlungen“. Das entspricht einem guten Fünftel der Nationalversammlung. Die Palette der Bedrohungen reicht von eingemauerten Büros und eingeschlagenen Fensterscheiben bis zu Drohbriefen mit Kugeln im Kuvert.
Täter sind nicht nur „Gelbwesten“, sondern auch Landwirte, die gegen das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada protestieren. Die Bauern fürchten durch das Abkommen, für das die Nationalversammlung Ende Juli stimmte, gegen die kanadische Konkurrenz im Nachteil zu sein.
„Es ist nicht normal, unter Drohungen und Forderungen Gesetze zu verabschieden“, sagt die Abgeordnete Monique Iborra, die vor ihrem Büro zwei Tonnen Mist vorgefunden hatte. Für sie und ihre Kollegen ist mit solchen Aktionen die Demokratie in Gefahr. „Wir sind dabei, uns an das nicht Hinnehmbare zu gewöhnen“, warnten 20 Abgeordnete in einem offenen Brief.
Täter sind nicht nur „Gelbwesten“, sondern auch Landwirte.