Luxemburger Wort

„Ich halte nichts von einem Glasdach“

Experte Alex Langini über den Wiederaufb­au

- Von Michael Merten

An den Abend, als Notre-dame brannte, kann sich Alex Langini (68) noch gut erinnern. „Ich war eingeladen bei Freunden, als ich von einem Kollegen eine SMS mit der Nachricht erhielt“, erzählt der Geschichts­professor, der seit 2010 Diözesanko­nservator des Erzbistums Luxemburg ist. „Zuerst dachte ich, das könnte nicht schlimm sein, bis wir im Internet die Bilder sahen.“ Herr Langini, beim Brand von Notredame sollen nach Expertensc­hätzungen rund 450 Tonnen Blei geschmolze­n sein. Wie gefährlich ist der Bleistaub für die Arbeitskrä­fte auf der Baustelle?

Das ist gefährlich, auch für die Anwohner dort, die diesen Staub einatmen. Daher ist es nun die wichtigste Aufgabe, die Baustelle zu dekontamin­ieren. Es kam zunächst darauf an, das Gebäude zu einem großen Teil abzustütze­n, denn noch immer können Teile einstürzen. Es ist auch noch immer nicht klar, ob eventuell ein Teil des Gewölbes, das noch steht, doch abgerissen werden muss. Es ist nun also die Zeit für eine sorgfältig­e Analyse?

Ganz genau. Die frühe Ansage von Präsident Macron, dass die Kirche binnen fünf Jahren wieder aufgebaut werden soll, war wirklich überstürzt. Das war politisch motiviert, aber so schnell kann man da nicht vorgehen. Es nimmt alles Zeit in Anspruch, bis statische Messungen durchgefüh­rt werden können. Hat Macron damit Druck auf die Experten aufgebaut?

In der Tat. Da sind die einen, die in die Hände klatschen und sagen: Wir sind sehr tüchtig, wir schaffen das. Andere sagen: Wir müssen jetzt sehr genau überlegen. Und was heißt überhaupt aufgebaut? Man könnte auch die Frage stellen: War die Kathedrale überhaupt jemals fertig? War sie es?

Eine gotische Kathedrale ist eigentlich nie fertig. Ich erinnere mich, dass vor 20, 25 Jahren mal am Straßburge­r Münster kein Gerüst stand; das hatte noch kein Mensch erlebt. Auch bei anderen Kathedrale­n sind ständig Arbeiten fällig. Im Fall von Notre-dame hat man bis zum letzten Moment gefürchtet, dass die Türme einstürzen könnten. Nun kann man nicht einfach sagen: Sie sind stehen geblieben, dann ist ja alles in Ordnung! Auch die Orgel von Notredame hat nach den ersten Meldungen keinen Schaden erlitten. Aber selbst, wenn eine Kirche überheizt ist um fünf Grad, dann ist die Orgel manchmal kaputt. Diese Orgel dort hatte in einer Entfernung von vielleicht 20 Metern stundenlan­g Temperatur­en von bis zu 800 Grad Celsius auszuhalte­n. Da gibt es also viele übereilte Feststellu­ngen; wahrschein­lich wird man noch in Jahren bislang unbekannte Schäden entdecken. Dennoch hat die französisc­he Regierung ein Wiederaufb­augesetz mit zahlreiche­n Ausnahmere­gelungen beim Denkmalsch­utz, beim Umweltschu­tz, bei Ausschreib­ungen durchgeset­zt.

Ich finde das nicht besonders vorsichtig. Man sollte Notre-dame eine gewisse Priorität einräumen, aber die Vorschrift­en für den Denkmalsch­utz sind ja nicht unbegründe­t. Daher sollten sie auch nicht einfach so außer Kraft gesetzt werden. Aber in Frankreich ist alles auf den Präsidente­n ausgericht­et; wenn er das so will, wird das so umgesetzt. Ob es auch möglich ist, daran habe ich Zweifel. Noch nicht geklärt ist die Frage, wie Notre-dame wiederaufg­ebaut werden soll. Die einen wollen eine moderne Lösung, die anderen wollen es „originalge­treu“wiederhers­tellen. Was sagen Sie?

Notre-dame ist ein Weltkultur­erbe. Es ist möglich, es wieder so aufzubauen wie vorher, und man sollte das meiner Meinung nach auch tun. Ich halte nichts davon, der Kirche ein Glasdach aufzusetze­n. Alex Langini Es gibt aber auch Architekte­n, die noch viel gewagtere Entwürfe vorgestell­t haben, zum Beispiel ein energetisc­h ausgericht­etes Gewächshau­sdach mit Bienenstöc­ken.

Das sind Leute, die sich profiliere­n wollen. Ich glaube nicht, dass solche Pläne realistisc­h sind. Notre-dame kann und sollte man rekonstrui­eren. Man kann darüber diskutiere­n, welche Materialie­n verwendet werden und ob es bis ins letzte Detail nach mittelalte­rlichen Techniken geschehen soll, was ich nicht glaube. Der Innenraum der Kirche wird sicher umgestalte­t werden; ein Chorraum wird regulär eh mindestens alle 100 Jahre neu gestaltet. Es müsste auch nicht wieder mit Holzbalken gearbeitet werden?

Nun, das ist eine schwierige Frage. Es ist jedenfalls noch Holz da, das wurde sichergest­ellt. Sehen Sie, ein Metalldach­stuhl wie etwa beim Kölner Dom hätte nicht besser standgehal­ten als der hölzerne Dachstuhl von Notre-dame, wo übrigens der Vierungstu­rm auch aus Metall war. Er hätte aber nicht durch einen Kurzschlus­s Feuer gefangen, wie es wohl bei Notredame der Fall war.

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Foto: privat

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