„Ich halte nichts von einem Glasdach“
Experte Alex Langini über den Wiederaufbau
An den Abend, als Notre-dame brannte, kann sich Alex Langini (68) noch gut erinnern. „Ich war eingeladen bei Freunden, als ich von einem Kollegen eine SMS mit der Nachricht erhielt“, erzählt der Geschichtsprofessor, der seit 2010 Diözesankonservator des Erzbistums Luxemburg ist. „Zuerst dachte ich, das könnte nicht schlimm sein, bis wir im Internet die Bilder sahen.“ Herr Langini, beim Brand von Notredame sollen nach Expertenschätzungen rund 450 Tonnen Blei geschmolzen sein. Wie gefährlich ist der Bleistaub für die Arbeitskräfte auf der Baustelle?
Das ist gefährlich, auch für die Anwohner dort, die diesen Staub einatmen. Daher ist es nun die wichtigste Aufgabe, die Baustelle zu dekontaminieren. Es kam zunächst darauf an, das Gebäude zu einem großen Teil abzustützen, denn noch immer können Teile einstürzen. Es ist auch noch immer nicht klar, ob eventuell ein Teil des Gewölbes, das noch steht, doch abgerissen werden muss. Es ist nun also die Zeit für eine sorgfältige Analyse?
Ganz genau. Die frühe Ansage von Präsident Macron, dass die Kirche binnen fünf Jahren wieder aufgebaut werden soll, war wirklich überstürzt. Das war politisch motiviert, aber so schnell kann man da nicht vorgehen. Es nimmt alles Zeit in Anspruch, bis statische Messungen durchgeführt werden können. Hat Macron damit Druck auf die Experten aufgebaut?
In der Tat. Da sind die einen, die in die Hände klatschen und sagen: Wir sind sehr tüchtig, wir schaffen das. Andere sagen: Wir müssen jetzt sehr genau überlegen. Und was heißt überhaupt aufgebaut? Man könnte auch die Frage stellen: War die Kathedrale überhaupt jemals fertig? War sie es?
Eine gotische Kathedrale ist eigentlich nie fertig. Ich erinnere mich, dass vor 20, 25 Jahren mal am Straßburger Münster kein Gerüst stand; das hatte noch kein Mensch erlebt. Auch bei anderen Kathedralen sind ständig Arbeiten fällig. Im Fall von Notre-dame hat man bis zum letzten Moment gefürchtet, dass die Türme einstürzen könnten. Nun kann man nicht einfach sagen: Sie sind stehen geblieben, dann ist ja alles in Ordnung! Auch die Orgel von Notredame hat nach den ersten Meldungen keinen Schaden erlitten. Aber selbst, wenn eine Kirche überheizt ist um fünf Grad, dann ist die Orgel manchmal kaputt. Diese Orgel dort hatte in einer Entfernung von vielleicht 20 Metern stundenlang Temperaturen von bis zu 800 Grad Celsius auszuhalten. Da gibt es also viele übereilte Feststellungen; wahrscheinlich wird man noch in Jahren bislang unbekannte Schäden entdecken. Dennoch hat die französische Regierung ein Wiederaufbaugesetz mit zahlreichen Ausnahmeregelungen beim Denkmalschutz, beim Umweltschutz, bei Ausschreibungen durchgesetzt.
Ich finde das nicht besonders vorsichtig. Man sollte Notre-dame eine gewisse Priorität einräumen, aber die Vorschriften für den Denkmalschutz sind ja nicht unbegründet. Daher sollten sie auch nicht einfach so außer Kraft gesetzt werden. Aber in Frankreich ist alles auf den Präsidenten ausgerichtet; wenn er das so will, wird das so umgesetzt. Ob es auch möglich ist, daran habe ich Zweifel. Noch nicht geklärt ist die Frage, wie Notre-dame wiederaufgebaut werden soll. Die einen wollen eine moderne Lösung, die anderen wollen es „originalgetreu“wiederherstellen. Was sagen Sie?
Notre-dame ist ein Weltkulturerbe. Es ist möglich, es wieder so aufzubauen wie vorher, und man sollte das meiner Meinung nach auch tun. Ich halte nichts davon, der Kirche ein Glasdach aufzusetzen. Alex Langini Es gibt aber auch Architekten, die noch viel gewagtere Entwürfe vorgestellt haben, zum Beispiel ein energetisch ausgerichtetes Gewächshausdach mit Bienenstöcken.
Das sind Leute, die sich profilieren wollen. Ich glaube nicht, dass solche Pläne realistisch sind. Notre-dame kann und sollte man rekonstruieren. Man kann darüber diskutieren, welche Materialien verwendet werden und ob es bis ins letzte Detail nach mittelalterlichen Techniken geschehen soll, was ich nicht glaube. Der Innenraum der Kirche wird sicher umgestaltet werden; ein Chorraum wird regulär eh mindestens alle 100 Jahre neu gestaltet. Es müsste auch nicht wieder mit Holzbalken gearbeitet werden?
Nun, das ist eine schwierige Frage. Es ist jedenfalls noch Holz da, das wurde sichergestellt. Sehen Sie, ein Metalldachstuhl wie etwa beim Kölner Dom hätte nicht besser standgehalten als der hölzerne Dachstuhl von Notre-dame, wo übrigens der Vierungsturm auch aus Metall war. Er hätte aber nicht durch einen Kurzschluss Feuer gefangen, wie es wohl bei Notredame der Fall war.