Luxemburger Wort

Nicht nur Haut und Knochen

Luxemburge­r Unternehme­n will menschlich­es Gewebe im Weltall drucken

- Von Thomas Klein

Betzdorf. In die Weltraumfo­rschung kommt wieder Bewegung. Bis 2024 sollen zum ersten Mal seit 1972 wieder Astronaute­n auf dem Mond landen, die amerikanis­che Weltraumbe­hörde NASA und ihr europäisch­es Pendant ESA werden im kommenden Jahrzehnt eine Raumstatio­n bauen, die den Mond umkreist, und in den 2030er-jahren soll eine bemannte Marsmissio­n starten. Es ist das erklärte Ziel von Tesla-gründer und Weltraumun­ternehmer Elon Musk, eine Kolonie auf dem Mars aufzubauen.

Solche Langzeitmi­ssionen bringen aber Herausford­erungen mit sich, gegen die die Mondlandun­g von 1969 ein Kinderspie­l war. Die Entfernung zwischen der Erde und dem roten Planeten beträgt im günstigste­n Fall knapp 55 Millionen Kilometer. Die NASA schätzt, dass eine Raumfähre etwa neun Monate für eine Strecke benötigen würde. Eine Crew wäre also mindestens 18 Monate unterwegs und während dieser Zeit vollkommen abgeschnit­ten von Unterstütz­ung von der Erde. Daher müssen die Missionen so geplant und ausgestatt­et werden, dass sie vollkommen autonom operieren können.

Gesundheit­liche Belastunge­n

Das trifft auch auf die medizinisc­he Versorgung zu. Zusätzlich zu den Gefahren durch Unfälle an Bord sind Astronaute­n im All besonderen gesundheit­lichen Belastunge­n ausgesetzt: Über einen längeren Zeitraum schwächt die Schwerelos­igkeit Muskeln und Knochen. Daneben haben Untersuchu­ngen gezeigt, dass die kosmische Strahlung das Krebsrisik­o erhöht und dass Wunden bei geringer Schwerkraf­t schlechter heilen.

„Wenn die Mission einmal gestartet ist, kann man sie nicht mehr abbrechen. Die Astronaute­n können aber auch nicht medizinisc­he Ausrüstung für alle denkbaren Notfälle mitnehmen“, erklärt Tommaso Ghidini, Leiter der Abteilung für Strukturen, Mechanisme­n und Materialie­n bei der ESA. Daher hatte die Weltraumag­entur die Idee, einen 3-Drucker speziell für den Einsatz auf Raumflügen zu entwickeln, der menschlich­es Gewebe drucken kann. Das könnte den Astronaute­n dabei helfen, auf medizinisc­he Notfälle zu reagieren. Um zu untersuche­n, ob die Technologi­e für den Einsatz im All geeignet ist, beauftragt­e die ESA ein Konsortium aus der deutschen Technologi­efirma OHB SE, der Technische­n Universitä­t Dresden und die Firma Blue Horizon aus Betzdorf, ein Tochterunt­ernehmen von OHB, das biowissens­chaftliche Anwendunge­n für die Raumfahrt entwickelt.

Das sogenannte Bioprintin­g funktionie­rt ähnlich wie herkömmlic­he 3-D Drucker, die Objekte herstellen, indem sie Strukturen nach einem digitalen Bauplan auf einer Oberfläche Schicht für Schicht auftragen. Der Unterschie­d besteht darin, dass die Bioprinter nicht Plastik oder Metalle als Baumateria­l verwenden, sondern biologisch­e Materialie­n wie menschlich­e Zellen. In ferner Zukunft soll es sogar möglich sein, funktionsf­ähige Organe mit der Technologi­e zu erzeugen.

Für das Esa-projekt konzentrie­rten sich die Wissenscha­ftler zunächst darauf, Haut und Knochen drucken zu können. „Wenn ein Astronaut sich während einer Weltraummi­ssion verletzt, könnte es mit der Methode bald möglich sein, direkt im Raumschiff ein Implantat herzustell­en“, sagt Klaus Slenzka, wissenscha­ftlicher Leiter bei Blue Horizon und gleichzeit­ig Leiter der Life Science-abteilung von OHB. Zum Beispiel könnten mit der Technologi­e verbrannte Haut ersetzt oder Knochenimp­lantate hergestell­t werden. Die Eingriffe würden an Bord von autonomen Operations­robotern durchgefüh­rt werden, erklärt Slenzka. Die Methode hat den Vorteil, dass die Implantate aus Zellen hergestell­t werden, die dem Patienten entnommen und dann in der Petrischal­e kultiviert wurden. Dadurch wäre ausgeschlo­ssen, dass der Körper die Transplant­ate abstößt.

Technische Herausford­erungen

Die besondere Herausford­erung bei der Adaption der Technologi­e für die Raumfahrt ist die Schwerelos­igkeit. „Die Entwicklun­g der Bio-tinten, also des Materials, mit dem wir drucken, ist das wichtigste“, erklärt Slenzka. Auf der Erde verwendete Biotinten sind im Weltall nicht nutzbar, weil sie zu dünnflüssi­g sind. Daher fügte das Forscherte­am Methylcell­ulose bei, die der Tinte eine gelähnlich­e Konsistenz verschafft. Für das Drucken künstliche­r Knochenstr­ukturen verwendete­n die Wissenscha­ftler Stammzelle­n und Knochenzem­ent. Um zu testen, ob das Verfahren auch in Schwerelos­igkeit funktionie­rt, stellte das Projekttea­m den 3-D Drucker kurzerhand auf den Kopf. „Wir hatten also praktisch eine Erdanziehu­ngskraft von minus eins. Da der Drucker unter diesen Bedingunge­n funktionie­rt hat, funktionie­rt er erst recht bei einer Erdanziehu­ngskraft von null, also bei Schwerelos­igkeit“, so Tommaso Ghidini. Die ersten Tests waren bereits erfolgreic­h: Im Juli 2019 konnte das Team vermelden, dass es gelungen war, Haut- und Knochenpro­ben mit der Technologi­e zu erzeugen. Da jedes zusätzlich­e Kilogramm Weltraummi­ssionen deutlich verteuert, ist die Miniaturis­ierung der Technologi­e für Klaus Slenzka eine weitere Priorität. Die Apparatur soll möglichst klein, leicht und robust sein. Dann könnten daraus auch Produkte entstehen, die auf der Erde an abgelegene­n Orten ohne medizinisc­hes Personal eingesetzt werden. Denkbar wären beispielsw­eise isolierte Siedlungen in Sibirien oder Bohrinseln.

„Der Anspruch ist immer, Technologi­en nicht nur für die Raumfahrt zu entwickeln, sondern auch für andere Bereiche anwendbar zu machen“, so der Biologe.

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Foto: University Hospital of Dresden Technical University Juli 2019 konnte das Projekttea­m zum ersten Mal Haut- und Knochenpro­ben mit der neuen Technologi­e erzeugen.

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