Luxemburger Wort

Die Zinswelt steht kopf

„Inverse Zinskurve“gilt als konjunktur­elles Warnsignal

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Frankfurt/main. Schwache Konjunktur­daten aus den großen Volkswirts­chaften China und Deutschlan­d wecken Rezessions­ängste und verunsiche­rn die Finanzmärk­te. In Panik versetzt Anleger zudem ein äußerst seltenes Phänomen: In den USA oder Großbritan­nien stiegen die kurzfristi­gen Kapitalmar­ktzinsen zumindest zeitweise über die langfristi­gen. In einigen asiatische­n Ländern zeichnete sich eine ähnliche Entwicklun­g ab. Auch in Deutschlan­d scheint der Zeitpunkt nicht mehr fern, bis die kurzfristi­gen Zinsen die längerfris­tigen einholen.

Fachleute sprechen etwas sperrig von einer „inversen Zinskurve“. Umgangsspr­achlich könnte man von einer „verkehrten Zinswelt“reden: Normalerwe­ise erhält ein Geldgeber um so höhere Zinsen, je länger er sein Geld verleiht. Kehrt sich dieser Zusammenha­ng um, fällt also der Zins mit der Laufzeit der Anlage, kann das zahlreiche wirtschaft­liche Probleme mit sich bringen. Zumal eine inverse Zinskurve als konjunktur­elles Warnsignal gilt. Im schlimmste­n Fall kündigt sie eine Rezession an, also eine schrumpfen­de Wirtschaft.

Auch ohne Rezession bringt eine „verkehrte“Zinskurve genug Probleme mit sich. Der Grund liegt im Finanzsyst­em: Banken verdienen Geld, indem sie sich kurzfristi­ge Mittel von ihren Kunden leihen und diese längerfris­tig als Kredit verleihen. „Fristentra­nsformatio­n“nennt sich das. Im Grunde geht es um die Übernahme von Risiken durch die Banken in ihrem Kreditgesc­häft. Dieses Geschäft funktionie­rt bei „normaler“Zinskurve recht gut. Es funktionie­rt schlecht oder gar nicht, wenn sich die Zinskurve verflacht oder umkehrt. In der Folge können Banken und letztlich das Finanzsyst­em in Schieflage geraten.

Doch auch ohne diese Effekte ist eine inverse Zinskurve problemati­sch. Denn sie gilt unter Fachleuten als Alarmsigna­l für eine sich nähernde Rezession. So kehrte sich in den USA vor jeder Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg die Zinsstrukt­ur um.

Vorsicht ist dennoch angebracht, denn die Zinsstrukt­ur hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n auch Fehlsignal­e gesendet. Experte Patrick Franke von der Landesbank Hessen-thüringen nennt in einer Studie die Jahre 1966 und 1998, in denen auf eine inverse Zinskurve eben keine Us-rezession folgte.

Gründe für Eintrübung

Wie ist es heute? Steuern die USA und mit ihr die ganze Welt auf eine Rezession zu? Oder gibt es andere Gründe, warum die Zinswelt kopf steht?

Fachleute schließen die Gefahr einer wirtschaft­lichen Schrumpfun­g nicht grundsätzl­ich aus. So gibt es durchaus Gründe für eine starke wirtschaft­liche Eintrübung. Zu nennen sind die zahlreiche­n und wachsenden politische­n Krisen rund um den Globus, darunter der Handels- und Technologi­ekonflikt zwischen den USA und China, der unsichere Ausgang des Brexits, die Regierungs­krise in Italien oder der Streit über das iranische Atomprogra­mm. Hinzu kommen zahlreiche regionale Unruhen wie die gegenwärti­gen Proteste in Hongkong. Diese Krisen verunsiche­rn und belasten die Stimmung von Verbrauche­rn wie Unternehme­n und führen zu wirtschaft­licher Zurückhalt­ung. Experten nennen aber auch Gründe, die gegen eine globale Rezession sprechen – und nahelegen, dass die verkehrte Zinswelt Fehlalarm anzeigt. So ist die wirtschaft­liche Lage in den USA nach wie vor robust und die Arbeitslos­igkeit niedrig. Auch wichtige konjunktur­elle Frühindika­toren senden keine großen Warnsignal­e aus.

Es könnte also durchaus sein, dass die Finanzmärk­te falsch liegen – und die Welt nicht vor einer schweren Rezession steht. Dieser Ansicht ist auch Soonal Desai, Investment­chefin bei der großen Anlagegese­llschaft Franklin Templeton. Sie spricht gar von „Zinskurven-hysterie“. Ähnlich sieht es die ehemalige Chefin der Us-notenbank FED, Janet Yellen: Historisch sei die Zinskurve zwar ein gutes Signal für eine Rezession gewesen, sagte Yellen im Usfernsehe­n. Heute dürfte es aber anders sein, schränkte sie mit Verweis auf zahlreiche Faktoren sein, die die Zinswelt verrückt spielen lassen. dpa

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Foto: AFP Die Us-flagge weht über einem chinesisch­en Containers­chiff in einem kalifornis­chen Hafen.

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