Luxemburger Wort

Disneys düstere Literaturv­orlagen

- Von Tessy Klopp Sowa

Zurzeit verzaubert Disney Groß und Klein mit dem Remake des Klassikers „Der König der Löwen“. Nach Disney-tradition wird am Ende alles gut: Simba besiegt den mörderisch­en Onkel Scar und wird selbst König. Ein Realist fragt sich jedoch, ob Antilopen wirklich ihre Fressfeind­e verehren und ob sich Simba nach seiner Krönung noch von Käfern ernährt. Wem die ständige, oftmals realitätsf­erne „Hakuna Matata“-philosophi­e der Disneyfilm­e zu viel wird, sollte einen Blick auf die nicht so kinderfreu­ndlichen Literaturv­orlagen werfen. So ist der Aladdin aus „Tausendund­eine Nacht“ein gieriger Egoist. Er interessie­rt sich kein bisschen für Jasmine, sondern wünscht sich Reichtum, ein Schloss und die Prinzessin, um König zu werden. Er tötet sogar seinen Bruder, der ihm die Macht streitig macht. Im Märchen „Schneeweiß­chen“der Gebrüder Grimm ist es kein Kuss, der Schneewitt­chen wieder zum Leben erweckt, sondern das Stolpern eines Dieners beim Tragen des Sarges ins Schloss. Durch den Aufprall fällt das vergiftete Apfelstück aus dem Mund der Prinzessin. Was der Prinz mit dem scheinbar toten Mädchen vorhatte, bleibt der Fantasie überlassen. Daraufhin wird die böse Königin vom rachsüchti­gen Schneewitt­chen bestraft: Sie muss so lange in glühenden Schuhen tanzen, bis sie tot umfällt. In «Sonne, Mond und Thalia» von Giambattis­ta Basiles ist von Romantik auch nicht viel zu lesen. Anstatt vom Prinzen wachgeküss­t zu werden, wird Dornrösche­n von diesem vergewalti­gt. Die Schlafende gebärt Zwillinge und erwacht erst, als diese ihr den Flachsfade­n aus der Hand saugen. Anders als die Disneyfilm­e offenbart die Literatur also durchaus einige negative Eigenschaf­ten der Hauptchara­ktere.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg