Eine Sprache wie jede andere
Studentin Claire Bergem will Gebärdensprache-dolmetscherin in Luxemburg werden
Luxemburg. „Ein komplexes System von Hand-, Körper- und Kopfbewegungen samt Syntax und Grammatik.“So definiert die 20jährige Studentin Claire Bergem aus Consdorf die Gebärdensprache. Vor einem Jahr hat sie mit dem Studium „Dolmetschen für Deutsche Gebärdensprache“in Köln begonnen. Nach ihrem Universitätsabschluss will sie ins Großherzogtum zurückkehren und als Dolmetscherin arbeiten. Ihr Ziel ist es späterhin, die Mehrheit über das Handicap, das in Luxemburg etwa 300 Menschen betrifft, zu sensibilisieren. Auf das Thema aufmerksam wurde sie eher zufällig.
Als Bergem im „Luxemburger Wort“über die Situation der Gehörlosen-gemeinschaft in Luxemburg liest, ist sie erstaunt, dass es nur zwei Gebärdensprach-dolmetscher in Luxemburg gibt. „Ich habe dann einfach mal ,Gebärdensprache studieren‘ im Internet eingegeben und bin auf Treffer gestoßen. Ich wusste sofort, dass dieses Fach das richtige für mich ist“, erklärt die Studentin.
Bergem besucht zu dem Zeitpunkt eine A-sektion, ist sehr spracheninteressiert und geht bereits in Abendkurse, um sich der Sprache zu nähern. Außerdem will sie im Berufsleben mit Menschen in Kontakt treten. Für etwas Abwechslung wollte sie unbedingt in einer Großstadt studieren, so Bergem.
Mit Gestik und Mimik
Die meisten der Dozenten in Köln sind Muttersprachler, dies mache die Kurse viel authentischer: „Wir durften uns nicht davor scheuen, Hände und Füße zu benutzen, um uns auszudrücken. Es wurde am Anfang aber auch viel aufgeschrieben und mit dem Fingeralphabet kommt man bereits weit.“So empfiehlt sie ebenfalls Menschen, die die Gebärdensprache nicht beherrschen, auf Gehörlose zuzugehen: „Man darf keine Berührungsängste haben. Es ist wichtig, Augenkontakt zu halten, deutlich zu reden und eine Reaktion abzuwarten. Gehörlose passen sich auch gerne an, da sie sich freuen, wenn andere sich bemühen, um mit ihnen zu kommunizieren.“
Die Sprache besteht aus einzelnen Gebärden; gesprochen wird mit Gestik sowie Mimik. „Das Studium vermittelt uns ebenfalls, dass Gehörlose, die später unsere Kunden sein werden, mit Schwierigkeiten aufgewachsen sind und diesen auch im Berufsleben begegnen“, sagt Claire Bergem.
Gebärdensprache ist eine natürliche und lebendige Sprache, wie jede andere. Sie besitzt sogar oft den Vorteil, dass sie sehr bildlich ist. Beispielsweise sind Wegbeschreibungen einfacher räumlich zu „zeigen“. Ein weiteres Merkmal der Gemeinschaft ist das periphere Die Sprache besteht aus vielen einzelnen Gebärden und ist sehr bildlich. Blickfeld, das den Menschen eine reiche visuelle Welt bietet.
In Luxemburg besteht Bergem zufolge viel Aufklärungsbedarf: „Die wenigsten, mit denen ich über mein Studium rede, wissen, was Gebärdensprache ist. Es besteht allgemein ein großer Mangel an Dolmetschern; die Hörgeschädigten-beratung der Vereinigung ,Solidarität mit Hörgeschädigten‘ sucht zum Beispiel zurzeit einen.“Obendrein werden hörgeschädigte Kinder aus Luxemburg in Deutschland eingeschult, weil es keine luxemburgische oder internationale Gebärdensprache gibt. Das ist auch der Grund, weshalb man mit Gehörlosen Deutsch sprechen soll.
Man könne von einer Kultur reden, die sich innerhalb der Gehörlosen-gemeinschaft entwickelt hat, sagt Bergem. Die Menschen identifizieren sich mit dem Begriff „Deaf“, übersetzt „Taub“und die Community ist von einer starken Solidarität geprägt. „Der Sprachgebrauch ist sehr individuell. Vielleicht gibt es sogar Slang-ausdrücke, die nur von luxemburgischen Gebärdensprachlern benutzt werden“, so Bergem.
So fühlen sie sich jeden Tag
Die Vereinigung Daaflux ist aktiv im Prozess der Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache (DGS) in Luxemburg. Die Einschreibung der DGS in das luxemburgische Sprachengesetz erfolgte erst im vergangenen Jahr und gewährt Gehörlosen das Recht, in staatlichen Institutionen einen Dolmetscher gestellt zu bekommen.
Hierzulande werden im Zuge der „Semaines de sensibilisation“Museumsführungen für Gehörlose angeboten. Zudem helfen Ticketschalter mit deutschem Text, Untertitel auf Netflix und Feueralarme mit grellem Licht den Gehörlosen im Alltag. „Aufzüge vermeiden sie, da im Fall, dass diese stecken bleiben, ja nur eine Sprechverbindung hergestellt wird. In Fast-food-restaurants können sie aber problemlos auf die ausgehängten Fotos zeigen. ,Drivethroughs‘ entfallen jedoch“, erläutert Bergem.
Zusätzlich werden Kulturfestivals für Gehörlose organisiert, etwa das „Vi-fest“in Berlin oder das „Clin d'oeil“in Reims: „Wir haben als Klasse solch ein Festival besucht und fühlten uns ausgeschlossen in der Minorität, da wir auf einmal Dolmetscher gebraucht haben, um die Moderatoren zu verstehen. Diese Erfahrung hat mir echt die Augen geöffnet; so fühlen diese Menschen sich jeden Tag.“
Claire Bergem wünscht sich, dass man in Zukunft im Lyzeum oder gar in der Grundschule mit der Aufklärung anfängt, um das Handicap zu normalisieren. Außerdem könne man die Sprache in Optionskursen unterrichten, damit jeder Grundkenntnisse besitzt und die Gehörlosen sich nicht mehr ausgeschlossen fühlen, schlägt sie vor.
„Ansonsten würde ich es toll finden, wenn mehr Webseiten ihre Texte auch in ,leichte Sprache‘ übersetzen würden, da Gehörlose unnötig komplizierte Konjunktionen oder verschiedene Ausdrücke, wie zum Beispiel ,hätte, hätte, Fahrradkette‘, oftmals nicht kennen. Dies würde das Verständnis ebenfalls für geistig behinderte Personen deutlich vereinfachen“, betont die Studentin.
Eine Version dieses Artikels in „leichter Sprache“ist online zu finden auf: ►
Man darf keine Berührungsängste haben. Claire Bergem