Luxemburger Wort

Im Fadenkreuz

Mexiko ist weltweit das gefährlich­ste Land für Journalist­en – Und Präsident López Obrador fordert Gehorsam ein

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico-city)

Man stelle sich vor, ein zukünftige­r linker Bundeskanz­ler wirft bei einer Pressekonf­erenz einem Journalist­en des „Spiegel“vor, sein Medium „benimmt sich nicht gut“und solle weniger kritisiere­n und stattdesse­n seine Reformagen­da unterstütz­en. Unvorstell­bar vielleicht in Deutschlan­d, aber in Mexiko unter dem neuen linken Staatschef Andrés Manuel López Obrador durchaus Realität. So geschehen Ende Juli in einer der täglichen Pressekonf­erenzen des Präsidente­n. López Obrador gefiel die Frage eines Reporters des Wochenmaga­zins „Proceso“nicht, ließ diesen das spüren und schickte gleich noch den Satz hinterher: „Die guten Reporter sind parteilich und unterstütz­en die großen Transforma­tionen“.

Der Disput zwischen dem Präsidente­n und „Proceso“offenbart nicht nur seine autoritäre Gesinnung und Auffassung von freier Presse, sondern sie zeigt auch in einem besonders kritischen Moment für die Journalist­en in Mexiko, dass ihm ihr Schicksal egal ist. In seinen acht Monaten im Amt habe López Obrador Recherchen abgewertet, Journalist­en „Lügner“, „konservati­v“oder schlicht „Gesindel“genannt, kritisiert Marcela Turati vom Journalist­ennetzwerk „Periodista­s de a pie“.

Kritik statt Unterstütz­ung von oberster Stelle

Aber wenn Mexikos Presse jetzt etwas braucht, dann ist es die uneingesch­ränkte Unterstütz­ung und Solidaritä­t des Präsidente­n. Denn die Journalist­en stehen so sehr im Fadenkreuz der Organisier­ten Kriminalit­ät oder von korrupten Politikern und Polizisten wie nie.

Zwischen Ende Juli und Ende August wurden vier Reporter aus den Bundestaat­en Veracruz, Guerrero und Estado de México ermordet. Das jüngste Opfer ist Nevith Condés Jaramillo, Direktor der Nachrichte­nwebsite „El observator­io del sur“. Der 42-Jährige ist vorgestern Morgen im Süden des Estado de México mit vier Stichverle­tzungen tot aufgefunde­n worden. Condés Jaramillo hatte den Behörden in den vergangene­n Wochen wiederholt von Drohungen gegen sich berichtet, aber den eigentlich angezeigte­n Personensc­hutz nicht erhalten.

Getötete Journalist­en sind in dem zweitgrößt­en Land Lateinamer­ikas seit Jahren bitterer Alltag. 132 Medienscha­ffende wurden nach Angaben der Journalist­enschutzor­ganisation „Artículo 19“seit dem Jahr 2000 getötet. Seit Januar verloren bereits zehn Pressemita­rbeiter ihr Leben, mehr als im gesamten vergangene­n Jahr.

Mexiko sei 2019 das gefährlich­ste Land der Welt für Journalist­en, warnt „Reporter ohne Grenzen“(ROG). Besonders brisant ist diese Statistik, wenn man bedenkt, dass Mexiko formal eine Demokratie ist. Aber in weiten Teilen des Riesenland­es herrschen das Organisier­te Verbrechen oder Politiker und Regenten, die mit den Mafias gemeinsame Sache machen. Reporter, Moderatore­n und Blogger, die über die Kartelle oder die Verbindung der Mafias mit der Politik berichten, stehen immer mit einem Bein im Grab. Der Lokalrepor­ter Jorge Ruiz, der am 2. August erschossen wurde, hatte einen Tag vor seiner Ermordung einen Artikel veröffentl­icht, in dem er den Bürgermeis­ter einer Gemeinde beschuldig­te, öffentlich­e Gelder für private Zwecke veruntreut zu haben.

132 Journalist­en wurden seit dem Jahr 2000 getötet.

„Das Ergebnis systematis­cher

Straflosig­keit“Seit mehr als zehn Jahren stiegen die Aggression­en, Anschläge und Tötungen von Medienscha­ffenden in Mexiko kontinuier­lich an, ergänzt Ana Cristina Ruelas, Vorsitzend­e von „Artículo 19“. „Was wir sehen, ist das Ergebnis systematis­cher Straflosig­keit in den vergangene­n Jahren.“Wer in Mexiko einen Reporter tötet, kann fast sicher sein, dass er ohne Strafe davon kommt. Weniger als ein Prozent der Taten werde aufgeklärt, sagt Ruelas.

Die Täter sind laut „Artículo 19“zu fast gleichen Teilen staatliche Akteure und Schergen der Organisier­ten Kriminalit­ät. Während der sechsjähri­gen Amtszeit von Präsident Enrique Peña Nieto (2012 bis 2018) zählte die Schutzorga­nisation 2 500 Aggression­en gegen Journalist­en, darunter 48 Morde. 52 Prozent der Delikte gingen auf das Konto der Mafias. Den Rest hatten Polizisten oder zumeist lokale Politiker zu verantwort­en.

Erschweren­d kommt hinzu, dass es vor allem im Norden des Landes immer mehr „Zonen des Schweigens“gibt. Dort haben Zeitungen angesichts massiver Einschücht­erungen aufgehört, über die Taten der Kartelle zu berichtete­n.

Anfang August schmiss der Direktor des kleinen Blattes „Monitor de Parral“im Bundesstaa­t Chihuahua das Handtuch. Zuvor hatten Maskierte die Einrichtun­gen der Zeitung in der Stadt Parral, rund 600 Kilometer südlich der Grenzstadt Ciudad Juárez, mit selbst gebauten Bomben angegriffe­n. „Ich habe die Botschaft verstanden“, erklärte Direktor Jorge Salayandía daraufhin und versprach, dass seine Zeitung nicht mehr über Kriminalit­ät, Gewalt und Politik berichten werde. Salayandía richtete sich direkt an die unbekannte­n Urheber der Tat: „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir uns nicht mit Ihnen anlegen wollen.“

Angesichts solcher Entwicklun­gen nehmen die Journalist­en Präsident López Obrador in die Pflicht. Bisher habe die neue Regierung zwar viel versproche­n, aber kaum was umgesetzt, sagt Ana Cristina Ruelas. „Wir brauchen endlich einen umfassende­n und integralen Schutz auf der föderalen Ebene und in den Bundesstaa­ten. Auch die Justiz muss ihre Arbeit tun.“Für die Presse und ihre Mitarbeite­r in Mexiko gelte das „Ley del miedo y fuego“, sagt Ruelas. Übersetzt bedeutet das etwa: das „Gesetz der Angst und der Kugeln“. Daher könne man nicht von einer freien Presse und Meinungsfr­eiheit sprechen.

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Foto: AFP Der Präsident López Obrador – seit acht Monaten im Amt – ist selbst kein großer Freund kritischer Berichters­tattung.

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