Luxemburger Wort

Vom Brexit zum Exit

Immer mehr britische Firmen verlassen das Vereinigte Königreich und ziehen in die Niederland­e

- Von Helmut Hetzel (Den Haag)

Der Brexit rückt immer näher. Am 31. Oktober ist es soweit. Es droht ein No-deal-brexit, der Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der Europäisch­en Union (EU) ohne Vertrag.

Der Brexit droht ferner zu einem Exit britischer Firmen zu werden. Immer mehr Unternehme­n ziehen in ein Eu-land um. Sehr beliebt bei britischen oder in Großbritan­nien ansässigen ausländisc­hen Unternehme­n als neues Domizil sind die Niederland­e. Wie die „Foreign Investment Agency“(NFIA), die zum Haager Wirtschaft­sministeri­um gehört, mitteilt, haben inzwischen bereits 98 Unternehme­n ihren Umzug von Großbritan­nien in die Niederland­e eingeleite­t oder schon vollzogen. Im vergangene­n Jahr waren es erst 38 Firmen, die von Großbritan­nien kommend ihre Zelte in Holland aufgeschla­gen haben.

,,Je näher der Brexit rückt, desto mehr Unternehme­n müssen sich entscheide­n, ob sie in Großbritan­nien bleiben wollen oder aber ob sie ihren europäisch­en Hauptsitz in ein Eu-land verlegen“, stellt Nfia-direktor Jeroen Nijland fest. ,,Wir versuchen die im Vereinigte­n Königreich ansässigen Firmen, die dort weg wollen, davon zu überzeugen, dass für sie die Niederland­e der beste Standort in der EU ist. Wir haben eine hervorrage­nde Infrastruk­tur, auch in digitaler Hinsicht, gut ausgebilde­tes und Englisch- sowie mehrsprach­iges Personal sowie für Firmen eine attraktive Steuerpoli­tik. Außerdem bietet Holland eine hohe Lebensqual­ität.‘‘ Die NIFA ist nach Angaben von Nijland noch mit 325 weiteren Unternehme­n im Gespräch, die Großbritan­nien wegen des Brexits verlassen wollen. ,,Darunter sind auch einige große Namen,‘‘ so Nijland. Die ,,großen Namen‘‘ könne er aber noch nicht nennen.

Eine große europäisch­e Organisati­on hat ihren Umzug von London nach Amsterdam schon eingeleite­t. Es ist die Europäisch­e Medizin Agentur (EMA). Sie wird ihren Hauptsitz künftig in Amsterdam haben. Die EMA beschäftig­t 900 fest angestellt­e Mitarbeite­r und empfängt als medizinisc­he Aufsichtsb­ehörde der EU jährlich bis zu 40 000 Besucher. Der Umzug der EMA von London nach Amsterdam erfreut also auch die Amsterdame­r Hotels und die dortige Gastronomi­e.

Sogwirkung für Pharmakonz­erne

Der Ema-umzug nach Amsterdam übt eine Sogwirkung auf Pharmakonz­erne aus. So hat der französisc­he Pharmakonz­ern Sanofi angekündig­t, seine Europazent­rale direkt neben dem künftigen Gebäude der EMA im Südosten der niederländ­ischen Hauptstadt aufzubauen. Auch der Schweizer Pharmakonz­ern Novarits kommt nach Amsterdam. Er wird seine bisherige Hollanddep­endance (400 Mitarbeite­r) von Arnheim nach Amsterdam verlegen, kündigte Novartis an. Nach Amsterdam kommen wollen ferner die Us-pharmakonz­erne Kyte Pharma und Alnylam. Sie befinden sich in bester Gesellscha­ft. Denn auch die „US Food and Drugs Agency“, der amerikanis­che Gegenpol der EMA, wird demnächst eine Niederlass­ung in Amsterdam eröffnen.

Für Eu-bürger wird es in Großbritan­nien jetzt schon ungemütlic­h. So berichtet der preisgekrö­nte bretonisch­e Bäcker und Kochbuchau­tor Richard Bertinet, der in Bath eine Bäckerei und Kochschule betreibt, 31 Jahre in Großbritan­nien lebt und arbeitet, eine britische Frau und drei britische Kinder

Für Eu-bürger wird es in Großbritan­nien ungemütlic­h.

aber noch einen französisc­hen Pass hat, dass er nach einem Brexit ab dem 30. Juni 2021 Großbritan­nien verlassen muss. Denn Bäcker Bertinet hat nur einen sogenannte­n ,,Presettled Status.‘‘ Er habe versucht einen ,,Settled Status‘‘ zu erhalten. Den aber würden ihn die britischen Behörden bis heute vorenthalt­en, berichtet Bertinet in ,,Sky News.‘‘

Die Niederländ­er wiederum wollen sich mit einer ganz großen Geste von ihrem Nordsee-nachbarn Großbritan­nien verabschie­den. Ron Toekook (52) plant ein großes Happening am 31. Oktober am Strand von Wijk aan Zee. Dort wollen die Niederländ­er vom Strand aus in Richtung der britischen Insel ,,Winke, winke‘‘ machen und die Briten aus der EU verabschie­den. ,,Bye, bye UK‘‘, so das Motto des Abschiedsw­inkens. Mehr als 11 000 Niederländ­er haben sich bei Ron Toebook zum Abschiedsg­ruß an die Briten am Strand bereits angemeldet. So manche Träne wird dann wohl auch fließen. Denn Niederländ­er und Briten verbindet nicht nur die Nordsee, sie haben ein ganz spezielles Nachbarver­hältnis über das Wasser hinweg, kulturell, wirtschaft­lich (Royal Dutch Shell, Unilever, Freihandel), politisch – und auch in vielen persönlich­en und familiären Beziehunge­n.

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Foto: Shuttersto­ck ,,Bye, bye UK‘‘: Am 31. Oktober wollen die Niederländ­er eine große Abschiedsf­eier veranstalt­en.

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