Inszenierte Wirklichkeit
Die Fotografin Mary Frey und ihr an der Wirklichkeit inspirierter Kosmos um die Us-amerikanische Middle Class
„Als wir diese Bilder von Mary Frey in Köln gesehen haben, waren wir sofort begeistert – und hatten gefragt, ob eine Ausstellung in Düdelingen möglich wäre“, sagt Michèle Walerich vom Centre national de l'audiovisuel“(CNA). Nun ist es so weit: Norbert Moos vom Kölner Forum für Fotografie, der die Wiederentdeckung der Us-amerikanischen Künstlerin in Europa maßgeblich mit vorangetrieben hat, hat auch diese Schau persönlich mit der Hilfe von Walerich und dem CNA-TEAM kuratiert.
Aber was ist denn da das Besondere an diesen im Cna-ausstellungsraum „Display01“gezeigten Bildern, die auf den ersten Eindruck wie Schnappschüsse aus dem Fotoalbum einer Usamerikanischen Familie daherkommen? „Sie sehen lediglich wie Schnappschüsse aus, aber letztlich sind sie komplett inszeniert“, sagt Moos. Was? Alles nur Show? Das ist das herrlich Absurde in Freys Fotografie – sie scheint dokumentarisch, ohne es reell Dank des Kurators Norbert Moos finden Mary Freys Arbeiten in Europa ein Forum. zu sein. Die Fotos wirken schließlich doch so authentisch, weil es ihr gelingt, in den Bildern eine Art visuelle Tiefenpoesie einfließen zu lassen. Denn Frey schafft es, kleine Nebenhandlungen und Ebenen hinzuzufügen und mit der ausgewählten Umgebung und den jeweiligen Utensilien sowohl Konnotationen als auch bemerkenswerte Kontraste aufzuwerfen. „Sehen Sie die offenen Türen oder andere Details am Bildrand?“, fragt Moos Betrachter bei der Präsentation. Genau darin liegen dann diese Erzählungen vom scheinbaren Alltag. Das suggeriert Authentizität. Nicht zuletzt sind es echte Familienangehörige und Vertraute aus der Nachbarschaft von Frey, die sich ihr vor der Kamera präsentieren; keine Schauspieler oder Models.
So entsteht in ihren Arbeiten diese trügerische Konstruktion aus Schein und Sein, zwischen dem eingefangenen American Dream in der Vorstadt und der Bewertung des Betrachters, dass aus dieser Middle-class-hölle der 1970er- und 1980er-jahre zwischen Kitsch, Pop-idolen und dem angeranzten Interieur eigentlich kein Entkommen liegt. Die Schere zwischen dem von Frey aufgezeigten Selbstbild und dem sozialen Wertebild, das sich durch den abgebildeten Medienkonsum ihrer Charaktere formt, klafft deutlich auseinander. Die Fotoreihen von Mary Frey geben einen ungewöhnlichen Einblick in den Alltag der Usamerikanischen Middle-class in Massachusetts. Reine Dokumentation sind die Fotos nicht – im Gegenteil.
Sie fiktionalisiert und spricht dann doch über die Menschen ihrer Zeit und in ihrem Lebensumfeld. So ist Frey durchaus dokumentarisch, nämlich in ihrer ganz eigenen künstlerischen und fiktionalen Form und gleichzeitig als bewusster dekonstruktiver Entwurf in der dokumentarischen Fotografie einen gewissen Zeitgeist einzufangen – eben „Real Life Dramas“, die hart an der Wahrheit kratzen, aber keine sind. „Was ist Wahrheit? Was wissen wir von dem Bild und was erwarten wir?“– diese Fragen wirft Frey dann auf.
Vor Ort in Düdelingen lassen sich daraus auch neue Fragen an scheinbar gewohnte Bilder stellen. Da sind die Fotos aus Steichens „The Bitter Years“im Wasserturm gleich nebenan, die mit ihrem dokumentarischen Bild von Amerika und dem besonderen Blick auf die Menschen ihren speziellen Fokus haben. Können sie die Wahrheit zeigen? Oder sind sie doch subjektiv? Noch bis zum 25. November im Centre national de l'audiovisuel, 1B, Rue du Centenaire, Düdelingen, geöffnet, dienstags bis sonntags, von 10 bis 22 Uhr. Am 12. November ist Mary Frey persönlich im CNA zu einem Künstlergespräch zu Gast (Beginn 19 Uhr). Die ergänzenden Kataloge zum Werk der Künstlerin, „Reading Raymond Carver“(36 Euro) und „Real Life Dramas“(42 Euro), sind beim CNA erhältlich.