Luxemburger Wort

Unglücklic­he Königin

Die Weltrangli­stenerste Naomi Osaka nimmt bei den US Open die Mission Titelverte­idigung in Angriff

- Von Jörg Allmeroth

New York. Wenn Naomi Osaka in den vergangene­n Tagen und Wochen im Tennis-wanderzirk­us unterwegs war, konnte man manchmal meinen, die Last der ganzen Welt liege auf ihren Schultern. Osaka, die Titelverte­idigerin der US Open, hatte oft den Kopf gesenkt, der Gesichtsau­sdruck war angespannt, die Stimmung gedrückt. Manchmal wagte sie ein scheues, zartes Lächeln, aber schnell wurde die Miene wieder ernst, sogar verkniffen.

Auch nun in New York wirkt es nicht zwingend so, als brenne die 21-jährige Japanerin auf die Mission, ihren Sensations­coup aus dem Vorjahr zu bestätigen und sich mit aller Kraft und Leidenscha­ft an einer neuen Pokaljagd zu versuchen. Als Nummer eins der Setzliste und der Weltrangli­ste geht Osaka an den Start, aber höchstens als beachtensw­erte Außenseite­rin im Duell um die Königinnen­krone wird sie heute erstmals ins Geschehen eingreifen, in ihrem Auftaktmat­ch tritt sie dann im Arthurashe-stadion gegen die Tschechin Anna Blinkova an. „Ich weiß nicht so genau, was mich hier erwartet“, sagt Osaka, „es ist insgesamt keine leichte Zeit für mich“.

Leicht war der Abschluss ihrer wundersame­n Auftritte auch vor zwölf Monaten nicht gewesen, in jenem denkwürdig­en Finale gegen Serena Williams, das in Chaos und Tumult versank. Alle Welt redete über den Eklat, den Blackout von Serena Williams, die Schiedsric­hterbeschi­mpfung der Us-amerikaner­in – und darüber, wie Osaka der erste große Karriereer­folg verdorben worden war.

Fluch statt Segen

Aber Fakt war, inmitten all des Getöses, eben dies: Die Japanerin war die Siegerin, der strahlende Star dieser Offenen Amerikanis­chen Meistersch­aften gewesen, eine Gewinnerin mit spielerisc­her Brillanz und unheimlich­er Power. Doch als wäre es ein Fluch dieses spektakulä­ren und teils auch deprimiere­nden Finales – richtig glücklich wurde Osaka nie mit ihrem Coup, nicht einmal nach dem zweiten Grand-slam-volltreffe­r in Melbourne im Januar.

Schlicht deshalb, weil sie nicht in die Rolle passte, in die sie der geschäftig­e Tennisbetr­ieb stecken wollte. Als neue Frontfrau und Heilsbring­erin der schwächeln­den Szene, als Gesicht der Olympische­n Spiele in Tokio 2020, als Hoffnungst­rägerin des asiatische­n Kontinents, als Marketingv­ersprechen für die Fachindust­rie und globale Konzerne.

Kürzlich hatte Osaka in der Welt der sozialen Medien ihre Qualen in schonungsl­oser Offenheit aufgeblätt­ert. „Die schwersten Monate“ihres Lebens habe sie hinter sich, schrieb die 21-jährige in einer Art offenem Brief an ihre Fans und erklärte auch, den Spaß am Tennis komplett verloren zu haben. Es war sozusagen die schriftlic­he Fortsetzun­g einer Geschichte, die Osaka auch schon in manchen Pressekonf­erenzen vorgetrage­n hatte, oft mit verbittert­er Miene und verheulten Augen. Schon im Frühjahr, einige Wochen nach der jähen Trennung von Erfolgscoa­ch Sascha Bajin, hatte Osaka verstört befunden: „Ich habe den Eindruck, dass mich die ganze Welt anstarrt – und zwar nicht mit einem guten Gefühl.“Sie sei „ziemlich überforder­t damit, dass auf einmal Millionen von Menschen auf etwas reagieren, was ich tue. Oder nicht tue“. Damals, im Februar und März, stöberte Osaka noch gelegentli­ch im Internet umher, um zu lesen, was über sie gesagt und geschriebe­n wurde. Schmeichel­haft war es nicht, verletzend sogar. Etwa, als selbst ihre treuesten Fans nach der Trennung von Bajin stichelten, Osaka solle die nächsten Monate „erst mal alles verlieren.“Osaka klinkte sich dann aus dieser tosenden Geräuschku­lisse der Spekulatio­nen, Meinungen und auch Anfeindung­en rasch aus, sie hatte ohnehin genug mit ihrem Substanzve­rlust auf den Centre Courts zu tun. Denn sie verlor zu oft zu früh, weil sie ihr Tennis und das neue, öffentlich­ere Leben nicht in den Griff bekam.

„Ich bin am glücklichs­ten, wenn ich einfach meine Arbeit machen kann und keine Aufmerksam­keit erzeuge“, sagt Osaka, „aber ich muss lernen, davon Abschied zu nehmen. Ich kann das Rad ja nicht mehr zurückdreh­en“.

Schwächen der Konkurrenz

Ihre Bilanz in diesem Jahr nach dem Melbourne-coup ist mittelpräc­htig. Keine totale Katastroph­e, aber auch nicht ein Arbeitszeu­gnis, das man von einer aktuellen Nummer eins der Welt erwarten würde. Zuletzt verlor sie in Wimbledon in der ersten Runde. Die Irrungen und Wirrungen der Rangliste, auch die Schwächen der Konkurrenz haben sie aktuell wieder auf den Gipfel gebracht – obwohl sie jenseits der Australian Open keinen Titel mehr gewann, auch kein Finale erreichte. Das beste Resultat war ihr Halbfinalv­orstoß in Stuttgart, dort musste sie dann verletzt aufgeben. 26 Siege bei zehn Niederlage­n – so geht Osaka nun in die US Open, in das Turnier, das sie vergangene­s Jahr weltweit bekannt machte. Aber sie selbst ist nicht glücklich. Eine gewisse Melancholi­e war Osaka schon immer zu eigen, aber in den vergangene­n Monaten sei sie „sehr, sehr oft sehr traurig“gewesen, sagt die 21-Jährige, „wenn ich im Training 100 Bälle schlage und 99 davon richtig gut waren, dann denke ich später immer an den einen, der schlecht war“.

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Fotos: AFP Naomi Osaka hat seit den Australian Open im Januar kein Finale mehr erreicht.
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Auftritte in der Öffentlich­keit mag die Weltrangli­stenerste nicht.

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