No-deal-brexit stoppen
Britische Opposition entwickelt ihre Strategie – Die Zeit drängt
Die Opposition in London nähert sich langsam einer Strategie, wie der No-deal-brexit am 31. Oktober zu vermeiden ist. Die pro-europäischen Parteien werden zunächst versuchen, die Pläne der Regierung mit legislativen Mitteln zu stoppen; wenn das nicht gelingt, bleibt ein Sturz von Boris Johnsons Regierung durch ein Vertrauensvotum eine Möglichkeit.
Auf diesen Plan einigten sich hochrangige Vertreter der Oppositionsparteien gestern. Auf Einladung von Labour-chef Jeremy Corbyn hatten sich die Vorsitzenden und Fraktionschefs mehrerer pro-europäischen Parteien, darunter der Schottischen Nationalpartei (SNP), der Liberaldemokraten, der Grünen sowie der walisischen Plaid Cymru, zu Gesprächen getroffen, um nach Wegen zu suchen, wie der ungeregelte Euaustritt vermieden werden kann.
Bislang war ein gemeinsames Vorgehen der Brexit-gegner durch zwischenparteiliche Streitigkeiten blockiert worden; insbesondere weigerte sich die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, eine vorübergehende Labour-regierung unter Corbyn in Betracht zu ziehen. Die Gespräche gestern fielen weit positiver aus. Anstatt eine neue Übergangsregierung einzusetzen, besteht die Strategie nunmehr darin, die Brexit-politik der Regierung durch Gesetzesvorstöße im Parlament zu blockieren.
Swinson bezeichnete das Treffen als „sehr positiv“und bekräftigte die Entschlossenheit der Brexit-gegner, schnell zu handeln. Auch Schattenfinanzminister John Mcdonnell zeigte sich zuversichtlich; die Opposition werde „jeden zur Verfügung stehenden Mechanismus“ nutzen, um Johnson zu stoppen. Was für Möglichkeiten den Parlamentariern konkret offenstehen, bleibt allerdings noch unklar.
Dennoch stellt die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen einen Durchbruch dar. Dass sich die verschiedenen Parteien endlich dazu durchgerungen haben, hat auch mit den Drohungen Johnsons zu tun, den Brexit mit dem Brecheisen zu erzwingen. Am Wochenende ist publik geworden, dass sich der Premierminister bei seinem Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox erkundigt hat, ob das Parlament für einige Wochen aufgelöst werden kann. Auf diese Weise könnte die Regierung verhindern, dass die Opposition Anträge zur Blockierung des Eu-austritts rechtzeitig einbringen kann. So müsste das Parlament – der nominelle Souverän im Land – tatenlos zusehen, wie Großbritannien vertragslos aus der EU kracht.
Vernichtende Kritik
Bei Parlamentariern hat dies sogleich Empörung ausgelöst. Die Labour-politikerin Shami Chakrabarti, die bei der Opposition für Rechtsfragen zuständig ist, übte vernichtende Kritik: Eine sogenannte „Prorogation“käme einem „schweren Machtmissbrauch und einem Angriff auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen Großbritanniens“gleich. Sollte die Regierung diesen Schritt dennoch wagen, könnte der Entscheid umgehend gerichtlich angefochten werden, schrieb Chakrabarti am Montag in einem Gutachten.
Weiterhin ist die Gefahr groß, dass es Ende Oktober zu einem ungeregelten Eu-austritt kommt. Nach dem Treffen mit den G7-regierungschefs im französischen Biarritz gab sich Boris Johnson zwar optimistisch, dass eine Einigung mit der EU noch immer möglich sei. Aber er sagte auch, dass dies von der Bereitschaft Brüssels abhänge, Zugeständnisse zu machen. Solche Aussagen dürften nicht zuletzt den Zweck haben, im Fall eines Scheiterns der Gespräche die Schuld von sich weisen zu können. Auch gab Johnson keine Details zu einem möglichen Fahrplan für eine Wiederaufnahme der Gespräche – weiterhin wartet die EU auf detaillierte Vorschläge der Briten, was für Alternativen zum vorliegenden Brexit-plan sie sich vorstellen.
Umso dringlicher ist es für die Brexit-gegner geworden, einen No-deal-brexit auf jeden Fall zu unterbinden. Damit der Plan funktioniert, ist allerdings auch die Unterstützung von konservativen Abgeordneten nötig: Die Regierung verfügt über eine dünne Mehrheit, wenn also ein Anti-brexit-vorstoß im Parlament durchkommen soll, müssen auch einige Abgeordnete der Regierungspartei dafür stimmen. Um deren Unterstützung zu gewinnen, schrieb Jeremy Corbyn gestern einen Brief an mehr als hundert pro-europäischen Tory-abgeordnete, die schon zuvor gegen den harten Brexit gestimmt hatten. Er bitte seine Kollegen, „im Geist der Überparteilichkeit, einen praktischen Weg“zu finden, wie der No Deal verhindert werden könne.
Weiterhin ist die Gefahr groß, dass es Ende Oktober zu einem ungeregelten Eu-austritt kommt.