Virtuelle Tanzreise
Vr-film „Sublimation“von Karolina Markiewicz und Pascal Piron feiert Weltpremiere in Venedig
„Tanz kann ein direktes visuelles Resultat sein und mehr als die Bewegung des Moments“, sagt Pascal Piron; Karolina Markiewicz formuliert den Antrieb für das aktuelle Projekt des Künstler- und Regie-duos so: „Uns interessiert, wie man durch Tanzkunst eine Welt erschaffen kann.“In ihrem neuen Werk verbinden Markiewicz und Piron mit Tanz, Musik und virtueller Realität nicht nur mehrere Künste – sie zeigen es auch an einem erlauchten Ort auch einem internationalen Publikum.
Morgen feiert ihre interaktive Vr-installation „Sublimation“auf den 76. Internationalen Filmfestspielen von Venedig ihre Weltpremiere. Das Werk wird im Rahmen des dritten „Biennale College Cinema – Virtual Reality“gezeigt und läuft in der offiziellen Auswahl außerhalb des Wettbewerbs. „Sublimation“ist eine Reise in die virtuelle Welt, in der ein Rendezvous mit einer japanischen Tänzerin wartet – nur eine Vr-brille und den eigenen Körper braucht es. Zumindest aus der Sicht des Publikums, denn hinter dem rund 15-minütigen Erlebnis stecken jede Menge Arbeit und ein rund 30köpfiges Team aus verschiedenen Bereichen.
Die Brille aufgesetzt, begegnet der Nutzer nach einem kurzen Prolog einem weißen Avatar, der zum Tanz bittet. Allerdings muss hier keiner Angstschweiß schwitzen, dass sich etwaige Patzer aus einem lang zurückliegenden Tanzkurs wiederholen könnten, oder, dass man für dieses Vr-erlebnis am besten ein zweiter John Travolta wäre. Es ist kein Tutorial und es wird nichts von prüfenden Tanzlehreraugen abgefragt, schon gar nicht Walzer oder Discofox.
Wie das japanische Blatt vom Baum fällt
Die mitzutanzende Choreografie stammt von der Tänzerin Yuko Kominami, die seit einigen Jahren in Luxemburg lebt und arbeitet. In ihrer Ausbildung hat sich die Japanerin unter anderem auf den Butoh-tanz aus ihrer Heimat spezialisiert. Butoh ist eine moderne, ritualähnliche Performancepraxis, welche sich in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat. Sie grenzt sich mit stark kontrollierten und nicht an klassischer Anmut orientierten Bewegungen klar von westlichen Tanzformen ab. „In Europa tanzt man das Blatt, das vom Baum fällt, in Japan ist man das Blatt, das vom Baum fällt“, sagt Markiewicz.
Das sehr expressive Tanztheater wurde seinerzeit auch als Reaktion auf die Amerikanisierung der japanischen Kultur verstanden. Weil die Tänzer ihren Körper für die Aufführungen mit weißer Farbe schminken, vollführt auch der Avatar von Markiewicz und Piron seine Bewegungen ganz in Weiß. Der Avatar selbst ist die virtuelle Hülle von Kominamis Bewegungen.
„Ihr Butoh ist sehr langsam, dabei entsteht etwas Meditatives. Das ist interessant für VR, denn bisher ist diese sehr actionlastig oder der Nutzer bekommt meist etwas Fertiges geliefert“, hat Markiewicz beobachtet. Eine Lücke, die das Duo füllen will. „Gerade die Kommunikation des realen Menschen mit der virtuellen Welt ist ja so interessant. Bei ,Sublimation‘ lässt jeder Nutzer eine bestimmte Welt mit neuen Variationen entstehen“, sagt die Künstlerin.
Die Musik, zu der das Publikum mit dem Avatar tanzt, stammt von Kevin Muhlen, Komponist und Direktor des „Casino – Forum d'art contemporain“. Das Voice-over, das durch die Narration führt, wird von der Schauspielerin Elisabet Johannesdottir eingesprochen. Darin sind poetische Überlegungen von Tatsumi Hijikata und Kazuo Ohno, den Hauptbegründern des Butoh, über Tanz, Leben und Tod, zu hören. Am Ende der Vrerfahrung folgt ein fünfminütiger Dokumentarfilm zur Entstehung des Projekts, in dem dann die Choreografin und Tänzerin Yuko Kominami auch ohne Avatarhülle vorgestellt wird.
Die Produktion haben Astrid Kahmke und Sönke Kirchhof von dem deutschen Vr-studio INVR Space übernommen; Fabrizio Palmas, Technischer Director des deutschen Virtual-training-unternehmens Straightlabs, stand als Vr-experte zur Seite.
Mit Kominami haben Piron und Markiewicz schon gearbeitet, doch mittels VR haben sie Butoh neu entdeckt. „Butoh ist eine Reaktion auf sehr starre Konventionen der Gesellschaft. Weil es keine Regeln wie bei klassischen Tänzen gibt, ist er eine gute Basis für VR, in der Nutzer sich ausprobieren“, erklärt Piron. „Wenn man Bewegungen des Avatars nachtanzt, entsteht eine Welt aus Fraktalen, dreidimensionalen geometrischen Formen“, führt er aus.
Jeder Nutzer macht Bewegung anders sichtbar
Doch je nachdem, wie Nutzer tanzen, verändern sie auch diese geometrischen Formen. „Normalerweise sieht man nur den Tänzer und seine Bewegungen, nicht die Metapher dahinter“, beschreibt Piron und schlussfolgert, „wir wollten das visualisieren und zeigen, dass man diesen komplizierten, ungewohnten Tanz einfach nachahmen kann.“
An den ersten drei Tagen kann das Publikum der Filmfestspiele die Installation sogar als Live-performance erleben, denn Elisabet Johannesdottir und Kevin Muhlen treten vor Ort auf.
Der Prototyp von „Sublimation“entstand im Vorjahr beim „European Creator's Lab“des Bayerischen Filmzentrums, von dort wurde das Duo nach Amsterdam zu den „VR Days“eingeladen, um am Projekt weiterzuarbeiten. In Amsterdam fiel die virtuelle Reise dann Vertretern der Biennale auf, die dem Duo eine Bewerbung vorschlugen. „Sublimation“wurde schließlich mit elf weiteren Projekten aus rund tausend ausgewählt. Im Januar arbeiteten die Künstler in einer Workshop-woche in Venedig mit Vr-experten und Mitbewerbern, im März folgte eine weitere Arbeitswoche für den Feinschliff. Die Biennale produzierte letztlich statt drei Vrprojekten aus den Workshops nur eines, Markiewicz und Piron fanden Unterstützung beim Filmfernsehfonds Bayern.
Dabei ist nach VR vor VR. Aus der Arbeit in Venedig hat sich das nächste Projekt ergeben: Mit dem polnischen Produzenten und Regisseur Jacek Naglowski ist das dreiteilige Werk „A Man With a VR Camera“, zu dem das Künstlerduo einen Teil beisteuert, geplant. Naglowski ist mit „Whispers“, unter Regie von Patryk Jordanowicz, beim „Biennale College Cinema – Virtual Reality“dabei. Chance auf einen Preis im Virtual Reality-wettbewerb von Venedig hat übrigens „Cosmos Within Us“von Tupac Martir und Benjamin Farry, eine vom Luxemburger Film Fund geförderte a_bahn-koproduktion mit Großbritannien.
Wann „Sublimation“in Luxemburg gezeigt wird, ist noch offen. Die Wartezeit können Vr-fans aber mit „Fever“, das im Mai in Cannes vorgestellt wurde, überbrücken. Dieses Werk des Duos läuft bis 15. September im Casino. „Sublimation“läuft von morgen bis zum 7. September auf den Filmfestspielen von Venedig.