Luxemburger Wort

Shooting statt Schuss

Nach einem Jahrzehnt auf Luxemburgs Straßen fand Marco Schmidt zurück ins Leben

- Von Marcus Stölb (Trier)

Zehn Jahre lang waren Luxemburgs Straßen Marco Schmidts Zuhause, schlief der junge Mann in Hauseingän­gen und auf Parkbänken, spielte sich sein Leben vor allem zwischen der „Gare“und der „Place de Paris“ab, oder in der Rue de Strasbourg, welche an die „Rue Joseph Junck“grenzt. „Eigentlich war es kein Leben mehr, es war nur Stress“, sagt Schmidt über die Zeit, in der alle Zeit der Welt zu haben schien; weil der gelernte Elektriker keinem Beruf nachging und keinen sozialen Verpflicht­ungen mehr nachkam. Der Stress der Straße sei ein anderer, klärt Schmidt auf: „Man wacht morgens auf, und der erste Gedanke ist, wie man an das Zeug kommt.“

Das Zeug: harte Drogen, Kokain, später Heroin –„ich habe alles durch“, sagt Schmidt; „von Schuss zu Schuss“habe er sich durch den Alltag gehangelt. Weiter reichten seine Gedanken nicht, auch nicht tiefer. Dass ein Shooting ihm den Weg zurück ins Leben bahnen könnte, auf diesen Gedanken wäre Schmidt nicht gekommen.

Ortswechse­l: Ein heißer Sommertag in Trier. Marco Schmidt ist pünktlich zur Verabredun­g gekommen, ein langer Arbeitstag liegt hinter ihm. In der Moselstadt aufgewachs­en, war Marco Schmidt als Jugendlich­er nach Luxemburg übergesied­elt, wo er bei seiner Mutter lebte, die Schule abschloss und erfolgreic­h eine Ausbildung zum Elektriker absolviert­e. Alles lief in geordneten Bahnen – bis es zur Trennung von seiner ersten Liebe kam.

„Ich hatte es verbockt“, mehr will Marco Schmidt dazu nicht sagen. Das Ende der Beziehung, läutete den Beginn seines Absturzes ein. Der heute 35-Jährige spricht von „falschen Freunden“, die ihn in Berührung mit Drogen brachten. „Wenn ich das Zeug nahm, habe ich mich besser gefühlt und musste weniger nachdenken“, erinnert er sich. Doch was nun folgte, war die typische Kettenreak­tion: Job weg, dann Wohnung.

Rasch war Schmidt abhängig, benötigte immer wieder Geld, an manchen Tagen bis zu 200 Euro. Beschaffun­gskriminal­ität? „Ich habe versucht, mir treu zu bleiben: nicht zu lügen, höflich zu bleiben und keinen großen Ärger zu bekommen“, sagt Schmidt, „ich hasse Gewalt.“Geschnorrt habe er, von morgens bis abends. Als Junkie hat er vieles gesehen – und viele: Süchtigen Ärzten sei er in Luxemburg ebenso begegnet wie Handwerker­n oder Architekte­n, und bisweilen fuhr auch eine dunkle Limousine mit „Cd“kennzeiche­n vor. Schmidt: „Niemand ist vor Obdachlosi­gkeit sicher!“

Sicher ist nur der Tod, und auch wenn es kein Leben mehr war – sterben wollte Schmidt nicht; nicht Heute Schmidt Trier. arbeitet Marco als Elektriker in schon mit Anfang 30, als er wiederholt ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurde „fast krepiert wäre“, wie er es ausdrückt. Die Aussicht auf frühzeitig­es Ableben war ein Weckruf, das nahende Ende seiner Aufenthalt­sgenehmigu­ng eine Weichenste­llung. Schmidt ging zurück nach Deutschlan­d. Ironie der Geschichte: Von Luxemburgs Straßen verschlug es ihn in Triers Luxemburge­r Straße. Hier hat das Benedikt-labre-haus seinen Sitz, eine Einrichtun­g g des Caritas Verbands Trier e.v., die Menschen ohne Wohnung Hilfen anbietet. So hatte Schmidt wieder ein Dach über dem Kopf und einige Regeln zu beachten. Zuvor meisterte er binnen zwei Monaten einen Entzug. Doch noch waren weder Job noch Wohnung in Sicht.

Caritas-aktion „Repicturin­g Homeless“bringt die Wende

Die Wende brachte eine Aktion der Caritas, initiiert von Nina Petry, der Leiterin der Stabsstell­e Kommunikat­ion des Verbands. „Repicturin­g Homeless“hieß das Projekt, im Kern ging es darum, wohnungslo­se Menschen einen Tag in eine andere Rolle schlüpfen zu lassen und sie hierfür entspreche­nd zu stylen und zu kleiden. Die Verwandlun­g machte Marco Schmidt einen Nachmittag und ein Shooting lang zum feschen Barkeeper. „Obdachlose werden oft einseitig und negativ betrachtet, aber es sind Menschen wie wir alle, wie du und ich, und Wohnungslo­sigkeit kann jeden treffen. Egal wie ein Mensch äußerlich wirkt, es geht darum, die Wahrnehmun­gen zu hinterfrag­en und die Möglichkei­ten in den Vordergrun­d zu stellen“, erklärt Nina Petry die Intention von „Repicturin­g Homeless“.

Ein Konzept, das im Fall von Schmidt voll aufging: „Marco hat nach dem Shooting neues Selbstvert­rauen gewonnen und wieder gespürt, wie er mal gelebt hat. Das gab ihm Ansporn und Mut, seine Situation zu verändern. Schon am Tag des Shootings war er in seinem neuen Outfit wie ausgewechs­elt“, beschreibt sie die Veränderun­g. Mit Unterstütz­ung fand Marco Schmidt eine Bleibe, er lebt nun in einer städtische­n Wohnung. Doch den endgültige­n Durchbruch brachte der Kontakt zu Winfried Kornberg.

Kornberg ist geschäftsf­ührender Inhaber der Pro Musik Veranstalt­ungstechni­k Gmbh. Ein Mann, der mit viel Fleiß etwas aufgebaut und sich einen Namen in der Branche gemacht hat; und der sagt, dass die Kirche nach wie vor „eine wichtige Institutio­n“sei, ohne die es zahlreiche soziale Einrichtun­gen nicht gäbe „und viele Randgruppe­n verloren wären.“Der Unternehme­r sagt auch, dass „grundsätzl­ich jeder seines eigenen Glückes Schmied“sei, was dem Betroffene­n jedoch wenig helfe, wenn er erst einmal keinerlei Perspektiv­e mehr sehe.

Er verhehlt nicht, dass er bei Marco Schmidt „lange gehadert und sich mit Bedenken auseinande­rgesetzt hat“, und dass auch ihm Vorurteile nicht fremd seien; Alkohol, Drogen, Hygiene und Umgang – ein Wagnis. Doch nach zwei Vorstellun­gsgespräch­en und Probearbei­t gab Kornberg Schmidt eine Chance: „Er passt zu uns, gelernter Elektriker, ein Faible für Veranstalt­ungstechni­k. Und alles, was er uns beim ersten Gespräch sagte, was er verändern wollte, hat er tatsächlic­h gemacht!“Nun sei Schmidt wieder seines eigenen Glückes Schmied, sagt Kornberg noch, und dass die Zeit zeigen werde, ob er seine Chance nutzen wird.

„Ich bin ein Stehaufmän­nchen“, sagt Marco Schmidt und erklärt seinem technisch wenig beschlagen­en Gegenüber, warum Dmxund Nf-kabel zwar gleich aussehen, aber doch etwas sehr Unterschie­dliches sind; und dass auch deshalb sein neuer Job vor allem Gewissenha­ftigkeit und Ordnungssi­nn verlange. Es scheint, als laufe Marco Schmidts Leben wieder in geordneten Bahnen.

Schon am Tag des Shootings war er in seinem neuen Outfit wie ausgewechs­elt.“Nina Petry von „Repicturin­g Homeless“

 ?? Foto: Edouard Olszewski ?? Für einen Nachmittag schlüpfte Marco Schmidt in die Rolle eines Barkeepers, das Shooting war Teil der Aktion „Repicturin­g Homeless“. Der Erlös aus der Vermarktun­g der Nutzungsre­chte dieser sogenannte­n Stockbilde­r über die Bildagentu­r „Getty Images“kommt der Wohnungslo­senhilfe des Caritasver­bands zugute.
Foto: Edouard Olszewski Für einen Nachmittag schlüpfte Marco Schmidt in die Rolle eines Barkeepers, das Shooting war Teil der Aktion „Repicturin­g Homeless“. Der Erlös aus der Vermarktun­g der Nutzungsre­chte dieser sogenannte­n Stockbilde­r über die Bildagentu­r „Getty Images“kommt der Wohnungslo­senhilfe des Caritasver­bands zugute.
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