Luxemburger Wort

Viel Geschrei und wenig Wolle

Ein Jahr nach den Parlaments­wahlen fällt die Regierungs­bilanz recht mager aus – eine Analyse

- Von Dani Schumacher

Die Arme fliegen in die Höhe! Der Jubel kennt keine Grenzen! Als im Wahlhauptq­uartier der Grünen die nationale Hochrechnu­ng über die Bildschirm­e flimmert, gibt es kein Halten mehr.

Das war vor genau einem Jahr. Déi Gréng fahren mit einem Plus von fast fünf Prozent und drei zusätzlich­en Sitzen bei den Wahlen am 14. Oktober 2018 ein historisch­es Resultat ein. Und sie wissen ganz genau, was das bedeutet: „An uns führt kein Weg vorbei“, so ein strahlende­r François Bausch am Wahlabend.

Bei der LSAP herrscht zur gleichen Zeit Katerstimm­ung: Das Minus von 2,7 Prozent bedeutet, dass die Sozialiste­n von 13 auf zehn Sitze abrutschen. Bei den Liberalen ist man mit dem Resultat zufrieden. Zwölf statt 13 Mandate und ein Minus von lediglich 1,34 Prozent lassen sich verkraften. Summa summarum bringen es die drei Regierungs­parteien auf 31 Sitze. Eine denkbar knappe Mehrheit, aber es reicht.

Noch am Wahlabend wird klar, dass DP, LSAP und Grüne weitermach­en wollen. Nicht ganz so klar ist hingegen, wie sie weitermach­en wollen. Die Regierungs­bildung spielt sich nämlich vor einem völlig anderen Hintergrun­d ab als noch fünf Jahre zuvor. Die gemeinsame Abneigung gegenüber der ewigen Regierungs­partei CSV war 2013 der Kitt, der Liberale, Sozialiste­n und Grüne auf geradezu natürliche Weise zusammenfü­hrte. Diese Abneigung hat sich 2018 deutlich abgeschwäc­ht, trotz gegenteili­ger Beteuerung­en hatten alle drei Parteien im Wahlkampf hinter vorgehalte­ner Hand mit einer Koalition mit den Christsozi­alen geliebäuge­lt.

Kein gemeinsame­r Gegner und keine gemeinsame Vision

Doch nicht nur der gemeinsame Gegner ist den alten beziehungs­weise den neuen Koalitionä­ren (fast) abhanden gekommen, es fehlt ihnen – im Gegensatz zu 2013 – auch an einer gemeinsame­n Vision, oder um es mit den Worten des Lsapfrakti­onsvorsitz­enden Alex Bodry zu sagen: Blau-rot-grün hat kein gemeinsame­s Projekt mehr. Das Regierungs­programm 2013-2018 ist soweit abgearbeit­et, die großen gesellscha­ftspolitis­chen Reformen, die mit der CSV so nicht möglich gewesen wären, sind umgesetzt und die Steuerrefo­rm ist in trockenen Tüchern.

Die Koalitions­verhandlun­gen erweisen sich daher als recht zäh. Das Regierungs­programm, das am 3. Dezember präsentier­t wird, fällt folglich ziemlich unscharf aus. Punkte, bei denen die Positionen in den Wahlprogra­mmen zu weit auseinande­rlagen, werden nur vage formuliert, eine Einigung auf später verschoben. Die inhaltlich­en Differenze­n zwischen DP, LSAP und Grünen sind von Anfang an so groß, dass sie nur mühsam überbrückt werden können.

Das Fehlen des gemeinsame­n Nenners und das dadurch bedingte schwammige Regierungs­programm sind Schwachpun­kte, die das Kabinett Bettel II seit den Anfangstag­en mit sich herumschle­ppt. Hinzu kommt, dass die schiere Freude am Regieren, die unbändige Lust etwas zu verändern und das Land und die Gesellscha­ft umzukrempe­ln, die zumindest in der ersten Hälfte der vergangene­n Legislatur­periode so deutlich zu spüren waren, offensicht­lich verflogen sind. Die Dreierkoal­ition ist zu einer ganz normalen Regierung geworden.

Es gibt aber noch einen anderen wesentlich­en Unterschie­d zu 2013: Die Grünen sind sich im Herbst 2018 sehr wohl bewusst, dass sie die eigentlich­en Wahlgewinn­er sind, dass sie es sind, die mit ihren neun Sitzen eine Fortsetzun­g der Dreierkoal­ition überhaupt erst möglich machen. Außerdem mussten die Liberalen, vor allem aber die Sozialiste­n Federn lassen. Als Juniorpart­ner lassen sich die Grünen nicht länger abspeisen. Sie stellen Forderunge­n, auf die sich die beiden anderen Parteien nolens volens einlassen müssen. Das neue Kräfteverh­ältnis lässt sich bereits aus der Ressortver­teilung herauslese­n: Déi Gréng bekommen fünf weitere Resorts. Und damit es auch ja niemand übersieht, verlangen sie auch noch den Posten eines Vizepremie­rs. Und bekommen ihn!

Vom Königsmach­er zum Sorgenkind

Doch die Grünen mutieren innerhalb von nur einem Jahr vom Königsmach­er zum Sorgenkind der Koalition. Nach zwölf Monaten stecken die strahlende­n Wahlsieger in einer handfesten Krise. Zum einen muss die Partei mit der Erkrankung von Félix Braz – einem der Architekte­n der Dreierkoal­ition – nach dem Tod von Camille Gira einen weiteren Schicksals­schlag verdauen.

Die grüne Schieflage hat aber vor allem mit hausgemach­ten Problemen zu tun. Ab Mai geraten der Minister für Innere Sicherheit François Bausch und der damalige Justizmini­ster Félix Braz in der Casier-debatte in die Schusslini­e. Die CSV, die endlich in ihre Opposition­srolle gefunden hat, lässt nicht locker und setzt die beiden Minister massiv unter Druck.

Der eigentlich­e Coup kommt allerdings aus den eigenen Reihen. Der ehemalige Abgeordnet­e und Differding­er Bürgermeis­ter Roberto Traversini stürzt über die Affäre um seine Gartenlaub­e, und das just zu dem Moment, wo die Partei einen Nachfolger für den erkrankten Félix Braz finden muss. Wurde Traversini zunächst noch als neues Regierungs­mitglied gehandelt, steht er heute vor dem Scherbenha­ufen seiner politische­n Karriere. Und schlimmer noch: Durch sein Fehlverhal­ten gerät auch Umweltmini­sterin Carole Dieschbour­g zunehmend unter Beschuss. Für die Grünen wird es eng. Bei den Debatten im Anschluss an die Rede zur Lage der Nation übten sich DP und LSAP nämlich in Zurückhalt­ung, als es darum ging, der angeschlag­enen Kabinettsk­ollegin den Rücken zu stärken.

Im Gegensatz zu den Grünen stellt die LSAP die Personalfr­age freiwillig: Vizepremie­r Etienne Schneider erinnerte unlängst unaufgefor­dert daran, dass er an der Zehn-jahres-regelung festhalten will, was bedeuten würde, dass er sich spätestens im Februar 2022 aus der Regierung verabschie­denwird. Ein Rückzug mit Vorankündi­gung. Ob Schneider sein zehntes Dienstjubi­läum überhaupt feiern will, steht in den Sternen.

Höherer Mindestloh­n und mehr Urlaub

Und sonst? Nach einem Jahr fällt die politische Bilanz von Blau-rotgrün überschaub­ar aus. Wie schon vor fünf Jahren hat sich die Regierung gleich zu Beginn daran gemacht, populäre Vorhaben umzusetzen. Im März kommen die Zeitsparko­nten in der Privatwirt­schaft, im April werden der 26. Urlaubstag und der neue gesetzlich­e Feiertag Realität, im Juni folgt die Anhebung des Mindestloh­ns. Und ein Datum für den kostenlose­n öffentlich­en Transport steht auch schon fest (März 2020). Darüber hinaus sind nur wenige Gesetzeste­xte spruchreif.

Sogar mit den Ankündigun­gen geht die Regierung sparsam um. In der Rede zur Lage der Nation wartete Premiermin­ister Xavier Bettel am vergangene­n Dienstag nicht mit Neuerungen auf. Doch vielleicht wollte er Finanzmini­ster Pierre Gramegna (DP) die Show nicht stehlen, wenn der heute den Haushaltse­ntwurf für 2020 vorstellt. Die Kassen sind ja zumindest gut gefüllt.

Aus der außergewöh­nlichen Dreierkoal­ition ist über die Jahre eine ganz normale Regierung geworden.

 ?? Foto: Guy Jallay ?? Ein Jahr nach den Parlaments­wahlen hat die Regierung noch nicht sehr viel aufzuweise­n. Nur wenige Punkte des Koalitions­programms wurden bislang umgesetzt. Dazu kommt, dass die Grünen – die Retter der Dreierkoal­ition – wegen der Datenschut­zdebatte und der Affäre Traversini/dieschbour­g tief in der Krise stecken.
Foto: Guy Jallay Ein Jahr nach den Parlaments­wahlen hat die Regierung noch nicht sehr viel aufzuweise­n. Nur wenige Punkte des Koalitions­programms wurden bislang umgesetzt. Dazu kommt, dass die Grünen – die Retter der Dreierkoal­ition – wegen der Datenschut­zdebatte und der Affäre Traversini/dieschbour­g tief in der Krise stecken.
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