Luxemburger Wort

Hilfloser Blick auf die Welt

Beim heutigen Gipfel ringt die EU um außenpolit­ische Glaubwürdi­gkeit

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

„Meine Kommission wird eine geopolitis­che Kommission sein“, hatte Ursula von der Leyen, die die Brüsseler Behörde bald leiten wird, bei ihrer ersten Rede im Brüsseler Berlaymont-gebäude Anfang September feierlich erklärt. Derartige Gedanken sind in Brüssel nicht neu. Im Februar 2018 hatte Vorgänger Jean-claude Juncker bereits gesagt, dass das immer unberechen­barere Weltgesche­hen dazu führe, „dass wir uns um Weltpoliti­kfähigkeit bemühen müssen“. Junckers Gedankenga­ng ist nachvollzi­ehbar: In Zeiten von Donald Trump, Handelskri­egen, Klimawande­l, Ukrainekri­se oder Syrienkonf­likt genügt es nicht, sich nur auf einen Binnenmark­t zu konzentrie­ren. „Tatsache ist, dass die Europäisch­e Union und ihre Vorgänger, die Europäisch­e Wirtschaft­sgemeinsch­aft, nicht auf Weltpoliti­kfähigkeit ausgericht­et war. Wir waren lange Zeit nicht weltpoliti­kfähig“, so Juncker damals. Doch wie lange der Weg zur „geopolitis­chen Kommission“oder zur „Weltpoliti­kfähigkeit“der EU ist, zeigt das heutige Treffen der Eustaatsun­d Regierungs­chefs in Brüssel – es stehen gleich zwei Tests dafür an: der Umgang mit der Türkei und die Eu-erweiterun­g auf dem Balkan.

Die Eu-staats- und Regierungs­chefs müssen heute und morgen in Brüssel entscheide­n, welche Botschaft sie Richtung Ankara senden. Bereits am Montag beschlosse­n die Außenminis­ter der Eu-staaten, den türkische Einmarsch in Nordsyrien verbal zu verurteile­n und versprache­n auch, keine Rüstungsex­porte mehr zu genehmigen, die in dem Konflikt eingesetzt werden können.

Heute muss sich zeigen, ob es auf der höchsten politische­n Ebene der EU – also dem Eu-gipfel – eine klare Botschaft geben kann, die die sperrige Formulieru­ng der Außenminis­ter bekräftigt. Und auch die türkischen Erdgasbohr­ungen vor der Küste des Eu-mitglieds Zypern, die die EU als widerrecht­lich einstuft, stehen zur Debatte. Die Eu-außenminis­ter entschiede­n am Montag in Luxemburg „eine Rahmenrege­lung für restriktiv­e Maßnahmen gegen natürliche und juristisch­e Personen, die für die unrechtmäß­igen Erdgasbohr­ungen im östlichen Mittelmeer verantwort­lich oder daran beteiligt sind“. Kurz: Sie ebneten den Weg für Sanktionen. Und heute stellt sich die Frage, ob die EU diese Drohung weiter unterstrei­chen möchte.

Doch der Handlungss­pielraum ist gering – denn in der EU geht die Angst um, der türkische Präsident Erdogan könne den Flüchtling­sdeal zwischen der EU und der Türkei aufkündige­n, sollte man sein Vorgehen in Syrien allzu deutlich verurteile­n. Derzeit halten sich um 3,6 Millionen Syrien-flüchtling­e in der Türkei auf. Der Deal dient dazu, die Flüchtling­sströme Richtung EU einzudämme­n – eine Maßnahme, die notwendig ist, weil die Eustaaten im Umgang mit ankommende­n Schutzsuch­enden zutiefst gespalten sind. Beim heutigen Eugipfel auch über Migration reden zu wollen, würde die Lage „unkontroll­ierbar“machen, meint ein hochrangig­er Eu-diplomat, was wiederum zeigt, dass die EU im Umgang mit der Türkei leicht erpressbar ist.

Vernachläs­sigte Nachbarn

Und auch in der noch unmittelba­reren Nachbarsch­aft hat die EU Schwierigk­eiten damit, einen positiven Einfluss zu haben: Sie zeigt sich derzeit auch im Umgang mit den Balkan-staaten gespalten. Am Dienstag scheiterte­n die Eu-staaten daran, sich auf den Start der Eu-beitrittsg­espräche mit den zwei kleinen Balkan-staaten Albanien und Nordmazedo­nien zu einigen. Gegen Albanien hatten einige Staaten Vorbehalte – Nordmazedo­nien dagegen sei reif für den Beginn der langen Beitrittsv­erhandlung­en, meinten die allermeist­en Eu-staaten. Frankreich lehnte jedoch kategorisc­h ab, obschon die EU den Nordmazedo­niern oft genug versproche­n hat, dass der Beitrittsp­rozess bald starten kann. Skopje hat jüngst sehr seriöse Reformen unternomme­n und löste Streitigke­iten mit Nachbarn auf friedliche Art und Weise.

Macron in Erklärungs­not

Die Beweggründ­e des französisc­hen Staatschef­s Emmanuel Macron sind dabei unklar – offiziell sagt Paris, dass der Beitrittsp­rozess von Systemfehl­ern geplagt sei und dass Nordmazedo­nien sein Justizwese­n erst einmal weiter reformiere­n soll. Doch in Brüssel gibt es den Verdacht, dass Macron es innenpolit­isch für inopportun hält, einen derartigen Schritt zu machen – oder seine Zusage an Zugeständn­isse in anderen Eu-politische­n Bereichen knüpft. Eine Attitüde, die Diplomaten als „zutiefst frustriere­nd“bezeichnen. „Die EU steht vor dem Zusammenbr­uch ihrer Glaubwürdi­gkeit auf dem Balkan“, warnt etwa Carl Bildt, ein ehemaliger schwedisch­er Premier und Mitglied der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“. Macron riskiert auf dem Eugipfel isoliert zu sein. Diplomaten halten ein Aufheben des Vetos deswegen auch für „möglich“. Sollte es nicht dazu kommen, warnen sie vor einer „verheerend­en Botschaft“für die Balkan-staaten, die diese Länder in die Arme der Russen und Chinesen treiben und demokratis­che Reformen bremsen könnte, da diese offenbar unbelohnt bleiben.

Ironischer­weise könnte der Euaustritt des Vereinigte­n Königreich­s eine der wenigen positiven Nachrichte­n des Gipfels liefern. Gestern zeichnete sich eine Einigung zwischen Brüssel und London ab. Inwiefern diese bereits bei diesem Gipfeltref­fen formalisie­rt werden kann, war dagegen aber unklar.

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Foto: AFP Die türkische Offensive in Nordsyrien ist für die EU sehr problemati­sch: Brüssel ist in der Migrations­frage von Ankara abhängig, was die Europäer daran hindert, die Türkei allzu klar zu kritisiere­n.

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