„Katalonien braucht Ruhe“
Die spanische Arbeitsministerin Magdalena Valerio spricht über die angespannte Lage in der Region
Brennende Barrikaden, vermummte Aktivisten, Polizisten in Kampfmontur: Seit Montag herrscht in Katalonien Ausnahmezustand. Die Unabhängigkeitsbewegung der Region im Nordosten Spaniens hat zu „Märschen für die Freiheit“aufgerufen, um gegen die langjährigen Haftstrafen für neun katalanische Separatistenführer wegen des illegalen Abspaltungsreferendums von 2017 zu demonstrieren. Das Luxemburger Wort sprach mit der spanischen Arbeitsministerin Magdalena Valerio (60) über die Lage im Land nach den Urteilen im Separatistenprozess. Die Juristin gehört der sozialdemokratischen PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez an und ist seit Juni 2018 Ministerin für Arbeit, Migration und Sozialversicherung. Magdalena Valerio, haben Sie Verständnis für die Menschen in Katalonien, die gegen die Urteile des Obersten Gerichtshofes im Separatistenprozess demonstrieren?
Ich bin während der Francozeit, als es in Spanien verboten war, zu demonstrieren, auf viele Demonstrationen gegangen. Wir haben großen Respekt vor der Demonstrationsund Meinungsfreiheit. Es wäre allerdings gut, wenn diese Freiheit nicht auf aggressive, gewalttätige Weise genutzt würde. Was Katalonien jetzt braucht, ist Ruhe und Gelassenheit. Die Dinge scheinen gerade aus dem Ruder zu laufen.
Während einige friedlich demonstrieren, gibt es immer andere, die den Konflikt suchen, die zur Gewalt bereit sind. Das können wir nicht tolerieren. Hoffen wir, dass sich die Gemüter beruhigen. Der Oberste Gerichtshof hat sehr harte Urteile – bis zu 13 Jahre Haft – gefällt.
Das hängt vom Standpunkt ab. Aus Sicht der Unabhängigkeitsbewegung hätte es noch nicht einmal eine Anklage geben dürfen, Protestierende haben in Barcelona Müllcontainer angezündet. „Das können wir nicht tolerieren“, sagt die spanische Arbeitsministerin Magdalena Valerio. aus Sicht der extremen spanischen Rechten sind die Urteile viel zu lasch. In Katalonien wurde mit der Organisation eines Unabhängigkeitsreferendums das Recht gebrochen, und zwar von den Verantwortlichen politischer Institutionen. Sie sind nicht für ihre Ideen verurteilt worden, sondern für Taten, die nach dem spanischen Strafgesetz Delikte sind. Laut Europarat gehört Spanien zu den Ländern, in denen Verurteilte die längsten Haftstrafen abzusitzen haben.
Man kann über alles streiten. Wir haben das Strafrechtssystem, das wir haben, ich kann es für gut oder schlecht halten, aber wir müssen alle zusehen, uns innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu bewegen. Es gibt also keine Debatte über ein liberaleres Strafrecht?
Verurteilte haben das Recht auf Wiedereingliederung. Daher gibt es die Möglichkeit, nach Absitzen eines Teiles der Strafe das Gefängnis vorübergehend zu verlassen, um einer Arbeit nachzugehen, um die Familie zu besuchen... Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, die zu jeweils neun Jahren Haft verurteilt wurden, haben bald ein Viertel ihrer Strafe abgesessen und könnten solche Hafterleichterungen demnächst erhalten.
Wollen wir den Dingen nicht vorgreifen. Was kann die spanische Regierung tun, um die Lage in Katalonien zu entspannen?
Seit wir vor anderthalb Jahren die Regierung übernommen haben, vertreten wir die selben Grundsätze: Wir fordern Respekt vor der Verfassung und den Gesetzen und sind offen für den Dialog. Aber es reicht natürlich nicht, wenn eine Seite den Dialog will, die andere sich aber im Konflikt eingerichtet hat. Es kann nicht Teil des Dialogs sein, dass sie uns sagen, sie hätten ein Recht auf Selbstbestimmung und wollten ein Referendum veranstalten. Das ist unmöglich, denn es würde den konstitutionellen Rahmen unseres Landes sprengen. Pedro Sánchez, der Ministerpräsident, hat sich kurz nach seiner Regierungsübernahme mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra getroffen.
Er hat ihn hier in Madrid im Moncloa-palast empfangen, so wie er alle Regionalpräsidenten empfängt. Danach gab es ein Treffen in Barcelona. Vonseiten der spanischen Regierung hat es immer den Willen zur Annäherung gegeben. Aber ihr steht eine andere Seite gegenüber, die die verfassungsmäßige Ordnung in Frage stellt. Bleibt also nichts anderes übrig, als – wie José Ortega y Gasset vor fast 90 Jahren sagte – den katalanischen Konflikt zu erdulden?
Manche sagen, es wird ein Jahrzehnt brauchen oder zwei, um diesen Konflikt zu lösen. Ich glaube aber, dass er mit gutem Willen eher zu lösen ist. Denn er tut niemandem gut, weder der Gesamtheit Spaniens noch Katalonien.
Wir fordern Respekt vor der Verfassung und den Gesetzen und sind offen für den Dialog.